Über unsere Verhältnisse

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Begriffsverwirrung allerorten, ideologische Scheuklappen bei einem Teil der SPÖ, peinliches Herumlavieren der ÖVP: eine Bestandsaufnahme.

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Begriffsverwirrung allerorten, ideologische Scheuklappen bei einem Teil der SPÖ, peinliches Herumlavieren der ÖVP: eine Bestandsaufnahme.

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1993 beschloß die NATO die "Partnership for Peace" (PfP), und Österreich entschloß sich, als einer der letzten der eingeladenen Staaten, dieser 1995 beizutreten. Das österreichische PfP-Beitrittspapier beschloß die Zusammenarbeit für die Bereiche klassisches "Peacekeeping", Such- und Rettungsdienst und humanitäre Hilfe.

Österreich galt seitens der NATO als verläßlicher und kompetenter PfP-Staat, mit hervorragend ausgebildeten und motivierten Soldaten. Wir waren für alle ehemaligen Oststaaten Vorbild. Damit begann zwischen der NATO und Österreich eine Kooperation, die von beiden Seiten von der Erwartung getragen wurde, daß Österreich bei der ersten Erweiterungsrunde als NATO-Mitglied aufgenommen werden würde. Jedoch, dazu kam es nicht.

Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß sich das Verhältnis Österreichs zur NATO seit Frühjahr 1998 gewandelt hat. Fairerweise muß man hinzufügen, daß schon unter Bundeskanzler Franz Vranitzky die Beziehung nicht immer ungetrübt war, aber Vranitzky hatte gegenüber der NATO keine Berührungsängste. Die jüngsten Vorgänge werden von der NATO mit Erstaunen registriert, auch von jenen Staaten, die Österreich mit Durchfahrverboten konfrontiert, denn diese sind auch EU-Mitglieder oder unsere Nachbarn. Die Belastungen im Verhältnis wurden ja in keinem einzigen Fall von der NATO verursacht, sondern ausnahmslos von Wien, und hier im speziellen Fall durch das Bundeskanzleramt. Eine Änderung in diesem Verhalten ist nun unausweichlich. Man verfaßt nun ein Papier über neue Modalitäten im gegenseitigen Verkehr. "NATO-Panzer tümmeln" sich jedenfalls - so eine jüngste Kritik an der Kooperation - keine in Österreich.

Wie Oliver Rathkolb in seinem Buch "Washington ruft Wien" ausführte, gab es in der SPÖ in den fünfziger Jahren eine nicht unerhebliche Strömung für eine stärkere Bindung Österreichs an den Westen, und so ist in einigen Kreisen auch die Frage eines NATO-Beitritts diskutiert worden. Die katholisch geprägte ÖVP stand dem "liberalen" Westen damals distanzierter gegenüber.

1990 forderte der damalige Außenminister Alois Mock die Obsoleterklärung des Staatsvertrages. Die SPÖ beharrte jedoch auf einer Beibehaltung des Staatsvertrages, weil sie erkannte, daß man damit auch die Neutralität für obsolet erklären würde, an der man aus ideologischen Gründen festhalten wollte. So wurde diese historisch einmalige Chance, Ballast des Kalten Krieges abzuwerfen, vertan. Schon kurze Zeit später wurde uns dafür die Rechnung präsentiert: Rußland betonte die Bedeutung von Staatsvertrag und Neutralität und präsentierte diese Betonung dann als Forderung. Intern begann die NATO-Diskussion um 1990. 1992 meinte Thomas Klestil, Österreich sollte der NATO beitreten. Hierin wurde er von Robert Lichal, Alois Mock, Franz Fischler und Werner Fasslabend und sogar von mehreren Politikern aller anderen Parteien unterstützt.

Es ist interessant, die Zeitungsmeldungen seit 1990 hinsichtlich der NATO, der Annäherung Österreichs an die NATO, der PfP und der NATO-Erweiterung durchzusehen. Zunächst gab es Neugier, Verschiebung des Beitritts auf Ende der neunziger Jahre, erst zuletzt seitens einiger Proponenten der SPÖ schroffe Ablehnung samt betont antiwestlichen Positionen. Diese Repräsentanten der SPÖ fanden bei den Grünen und radikalen Randgruppen Unterstützung. Dabei verstiegen sich einige dazu, die NATO als "Aggressionspakt", "Interventions-Allianz" etc. zu bezeichnen oder etwa zu meinen, österreichische Soldaten müßten für die USA in den Krieg ziehen oder in Österreich würden A-Waffen gelagert. Die extreme Linke in der SPÖ konnte jedenfalls die Debatte bestimmen und dies auch, weil die "Mainstream-SPÖ" nicht zu Wort kam.

Die ÖVP lavierte: Als Mock abtrat, wurde eine neue Führungsgarnitur mit dem NATO-Beitrittsproblem konfrontiert. Erhard Busek war auf Mitteleuropa hin orientiert, die NATO war für ihn sekundär. Dann kam Wolfgang Schüssel, und dieser erkannte, daß die SPÖ-Linke das Thema NATO zur Koalitionsfrage machen würde, was er nicht riskieren wollte. Um Auswege bemüht, verfiel die ÖVP auf eine Reihe von Diskussionsbeiträgen, die teilweise von falschen Voraussetzungen ausgingen. Schüssel erklärte, man könne der NATO und WEU beitreten und dennoch neutral bleiben, was von der NATO und WEU sofort zurückgewiesen wurde. Dann wurde erklärt, man brauche eine Volksabstimmung, dann wieder, man könne auf diese verzichten. Zuletzt verfiel man auf Formeln wie "Kern-", "Rest-" und "Solidarneutralität". Der Generalsekretär im Außenministerium, Albert Rohan, meinte noch 1996, daß sich bei einem Beitritt zu NATO und WEU die "Neutralitätsfrage nicht stellen muß". Ein Irrtum, denn man kann nicht einem militärischen Bündnis angehören und neutral bleiben.

Die Gegner eines NATO-Beitritts verweisen auf die Bedeutung der Neutralität für den Frieden; die Neutralität sei ein Sicherheitssystem, heißt es. Was übersehen wird, ist die Tatsache, daß es weder im Ersten noch im Zweiten Weltkrieg neutralen Staaten gelang, ihre Neutralität aufrechtzuerhalten, und dies deswegen, weil alle Kriegführenden die Neutralität verurteilten. 1914 wurde Belgien von Deutschland angegriffen (Großbritannien plante eine Besetzung), nach 1939 wurden Holland, Belgien, Dänemark, Norwegen, Luxemburg besetzt oder angegriffen, die Schweiz und Schweden schweren Pressionen ausgesetzt, die Türkei wurde noch 1945 von den Alliierten gezwungen, dem Deutschen Reich den Krieg zu erklären. Laos und Kambodscha konnten ab 1954 ihre Neutralität nicht aufrechterhalten. Die Sowjetunion bezog Österreich in ihre Angriffspläne ein - trotz unserer Neutralitätserklärung. Neutralität bringt keine Sicherheit.

Österreich hat seit 1955 zahlreiche Akte gesetzt, die man als mit der dauernden Neutralität unvereinbar erachten kann, beginnend mit dem UN-Beitritt. Andererseits legt Österreich die Neutralität sonderbar aus: Viele übersehen, daß die Neutralität - auch die dauernde - ein Zustand ist, der völkerrechtlich erst auflebt, wenn andere Staaten sich im Kriegszustand befinden. Dieser Kriegszustand ist im Frieden nicht und bei NATO-Manövern schon gar nicht gegeben.

Frankreich hatte 1990 Einwände gegen einen EG-Beitritt eines neutralen Österreichs und verlangte Zusagen bezüglich der Inhalte des Maastrichter Vertrages, besonders wegen des Titels V, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). In diesem Titel finden sich jene Bestimmungen, die postulieren, daß die GASP ein Ziel der kommenden EU und die WEU der militärische Arm der EU sein solle, und dies in enger Abstimmung mit der Atlantischen Allianz. Österreich erkannte, daß der EG-Beitritt unter Umständen nicht zustandekommen könnte und fügte in das B-VG den Artikel 23(f) ein, mit dem es sich auch verfassungsrechtlich den Beschlüssen der GASP unterwirft. Nun wird erklärt, dieser Artikel sei "gar nicht verbindlich", denn man habe nur eine "Mitwirkung" versprochen. Nur, auch eine Mitwirkung ist nicht neutralitätskonform!

Die SPÖ forderte seit 1993 immer eine "Reform der NATO", ein "Abkommen der NATO mit Rußland", "eine stärkere Europäisierung der NATO" etc. Obgleich solche Forderungen Wiens in Brüssel kaum gehört werden dürften, hat sich die NATO seit 1990 unentwegt gewandelt, genau in die geforderte Richtung. Aber: je mehr die NATO sich den Vorstellungen Wiens annäherte, desto feindseliger steht man in Wien der NATO gegenüber. Die SPÖ hat sich auch stets negativ zur NATO-Erweiterung geäußert, und einige ihrer Proponenten vertreten ganz offen Ziele der russischen Europapolitik. Es ist aber nicht die SPÖ, sondern eine kleine Gruppe, die im Namen der SPÖ sehr erfolgreich ihre Position zur offiziellen österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik macht. (Es soll in Erinnerung gerufen werden, daß der ehemalige Stv. Außenminister Rußlands, Sergej Krylow, wegen seiner Aussage, die Neutralität sei "eine interne Angelegenheit Österreichs", seiner Funktion enthoben wurde.) Warum aber diese Gruppe sich zum Fürsprecher der russischen Politik macht, ist eine Frage, die einmal Historiker zu beantworten haben.

Der Autor ist Politologe und Autor im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik.

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