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Überfluß an Göttern

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Während der Zeit des Imperialismus war die Religionsfreiheit in Japan beschränkt durch die Einführung eines Staats-Shinto als offizieller Religion, der als ideologische Basis die Politik der Expansion über weite Teile Asiens festlegte, mit der Theorie, daß die Japaner dank direkter Abstammung von der Sonnengöttin berufen seien, der ganzen Welt die Herrlichkeit eines Regimes von Göttern darzustellen. Begründet war dieser Staats-Shinto nicht nur in den alten Mythen Japans, sondern auch in der Hegel'schen Geschichtstheorie, wonach sich der göttliche Geist in der Geschichte (vor allem Preußens) offenbare.

Dieser künstlich aufgeplusterte Staats-Shinto wurde von den Besatzungsbehörden aufgehoben, wobei auch jede Form von Religionsunterricht aus den Schulen verbannt wurde, wo heute nur noch eine farblose Ethik vermittelt wird.

Religionen genossen nun Steuerfreiheit und andere Privilegien, sofern sie die Anerkennung der Behörden, meist auf regionaler Ebene, erreichten. Damit setzte nach 1945 eine Hochkonjunktur für Götter ein.

Tausende von religiösen Vereinen bewarben sich nun um diese Anerkennung. Sowohl der Buddhismus als auch der Shinto hatten im Laufe der Zeit, vor allem während des 19. Jahrhunderts, Sekten entwickelt, die sich um gruppendynamische Aktivitäten in Richtung auf seelsorgerische Betreuung, Gesundbeten, Exorzismus,

Erwerbung okkulter Fähigkeiten et cetera bemühten. Diese setzten sich nun als eigene Religionen ab. Unternehmungslustige und charismatisch begabte Frauen und Männer suchten dabei auch nach neuen Formen religiöser Praxis. Im Dunstkreis der Esoterik und New Age bildeten sich auch Formen aus, die in die Randgebiete zum Kommerziellen, Psychopathischen und Kriminellen abglitten.

Musterbeispiel ist die Sekte des Gift-Gurus Asahara, die Aum-Shinri-kyo, die sich „letzte Wahrheiten” zu vermitteln anerbot, nach dem Scheitern in einer legitimen Wahl aber mit Terror die politische Macht zu erobern trachtete, indem sie 30 Tonnen Sarin-Nervengas produzierte und auch androhte, diese (mit Helikoptern) über Tokyo zu streuen, falls ihr Guru nicht zum Ministerpräsidenten berufen würde. Heute sind der Guru und über hundert seiner Anhänger vor Gericht verschiedener Verbrechen angeklagt. Die Regierung diskutiert eine Änderung der Gesetzgebung, die strengere Kontrolle dieser „anerkannten” Religionen gestatten würde, eventuell sogar die Auflösung der Gift-Sekte vorzunehmen, ein Vorgang ohne Präzedenz in der Nachkriegszeit.

Der Überfluß an Göttern illustriert die geistige Leere der japanischen Gesellschaft, in der die traditionellen Religionen auf soziale und festliche Funktionen reduziert sind. Nach dem Zusammnbruch des Marxismus stehen auch die radikalen, dem Terror ergebenen Studentengruppen nicht mehr bereit zur Aufnahme der frustrierten Jugendbewegten.

Die Polizei tat sich schwer, in diesen „Dschungel” einzudringen. Als vor sechs Jahren ein Advokat mit Frau und Kind aus seiner Wohnung verschwand, verfolgte die Polizei keine Spur, obwohl am Tatort ein Abzeichen der Aum-Sekte gefunden wurde, denn die Kanzlei dieses Advokaten hatte einen Prozeß gegen die Polizei wegen illegaler Abhorchung von Telefonverbindungen kommunistischer Politiker geführt und gewonnen.

Kürzlich mußte der Justizminister zurücktreten, der das neue Gesetz bezüglich der Religionen vorbereitete, denn er hatte von einer buddhistischen Sekte an die 20 Millionen Schilling angenommen.

Für den Dialog der Religionen wäre es unbedingt erforderlich, genauer zu definieren, was man als Bona-Fide-Religion anerkennen kann, um sich gegen solche Perversionen abzudecken. Viele der” japanischen „Päpste” strebten gierig danach, vom Papst im Vatikan empfangen zu werden, wobei die Massenmedien die Begrüßung des fernöstlichen „Papstes” durch den katholischen Papst ins „rechte Licht” rückten. In der Euphorie nach dem Zweiten Va-tikanum wurde im Rom offenbar jeder, der unter der Flagge der Religion heransegelte, ernst genommen und feierlich empfangen. Kritische Unterscheidung ist das Gebot der Stunde, nicht nur für die japanischen Behörden.

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