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Um wen wird geworben?

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Auflösung des Nationalrates. August. Die Berufspolitiker gehen in die Ferien. Um sich zu erholen, um sich auf den Wahlkampf vorzubereiten. Wer im letzten Jahr das Schaugepränge bei den Staatsempfängen der Republik Österreich für Königinnen und Könige, für ausländische Staatsoberhäupter beobachtet hat, mochte meinen: du glückliches Österreich! Mögen andere streiten, wir feiern.

Auf Staatskosten.

Wer zum anderen in derselben Zeit beobachtet, wie da der Staatssäckel bedrängt wird, von immer noch mehr Interessenten, mag sich fragen: wer soll das bezahlen?

„Ich fürchte, unsere junge Demokratie befindet sich bereits wieder in einer Krise, auch wenn Parlamente und Parteien das nicht zugeben wollen. Denn was bei uns politisch praktiziert wird, ist nicht bloß schlechter Stil. Es ist etwas viel Schlimmeres: eine Funktionärs- oder Gefälligkeitsdemokratie.“

So schrieb am 15. Juli 1962 der politische Kommentator einer in Millionenauflage erscheinenden deutschen Revue.

Überlegen wir kurz, inwieweit diese Betrachtung auch uns in Österreich angeht.

Es ist nämlich durchaus nicht der heiße, leidenschaftliche Drang, Volk und Staat in Österreich in einer gefährlichen Zeit möglichst heil widerstandskräftig nach allen Seiten in die Zukunft zu führen, sondern es ist schlicht und selbst etwas sehr anderes: unsere Großparteien richten sich von Tag zu Tag mehr nach dem Muster von Werbeunternehmungen im Großmanagement, in der Industrie ein — wobei pikanterweise, aber nicht zufälligerweise Politiker, die über Mittel und Erfahrungen der verstaatlichten Industrie verfügen, beispielgebend vorangehen. So ist auch in Österreich eine Funktionärs- und Gefälligkeitsdemokratie entstanden, die nicht nur dem Finanzminister Sorge bereitet, sondern dem Volk eine immer schwerere Last aufbürdet und den Staat immer unerträglicher belastet.

Nun mag der nichtgelernte Österreicher mitunter ineinen: warum soll es denn nicht so sein? Ist es denn so schlimm, wenn sich in einer gewissen ..Amerikanisierung“ unsere Großparteien in wirtschaftspolitische Großunternehmungen verwandeln, die für möglichst viele große und kleinere Gruppen möglichst viel herauszuschlagen suchen?

Fördert das nicht den Lebensstandard? Ist es nicht schön, vor dem Sommer, im Sommer und nach dem Sommer so viele braungebrannte Menschen aus Griechenland, Ägypten, Spanien, von den Balearen und natürlich aus Italien rückkehren zu sehen?

Der geplagte Familienvater, der sieht und spürt, wie von Monat zu Monat die Lebenskosten steigen, mag im Mai und Oktober etwas verstört auf diese Braungebrannten, Wohl-dtuierten von Steuergeschenken „Belasteten“ sehen.

Die Ausformung unserer Großparteien als wirtschaftscolitische Großunternehmungen hat aber noch eine andere bedenkenswerte Seite. Seit dreizehn Jahren, genauer: seit den Vorbereitungen für die Nationalratswahlen 1949, befinden sich die beiden führenden wirtschaftspolitischen Großunternehmungen im Werbewettkampf Kopf an Kopf um die Gewinnung der ehemaligen Nationalsozialisten, Großdeutschen, „Nationalen“. Die beachtenswerte Erfindung des damaligen Innenministers, die „Wahlpartei der Unabhängigen“, erfüllte nicht ganz alle Hoffnungen und Berechnungen ihrer Wahl-Väter.

Da vor allem aus außenpolitischen Gründen eine „kleine Koalition“, also mit dem VdU, dann der FPÖ, für die Volkspartei, und, aus außen- und innerparteilichen Gründen, eine kleine Koalition von SPÖ und FPÖ nicht ernsthaft, bis jetzt, in Frage kam, konzentrierten sich die beiden wirtschaftspolitischen Großverbände auf die Werbung in dieser Interessentengruppe, und haben sich hier hochbeachtliche Verdienste erworben. In Stadt und Land wurde in sorglicher Arbeit der nationale Volksgenosse aufgesucht, bewirtet und umworben. Und es gelang, ihn und seine Familien und Clans in einträglichen Führungsposten in der verstaatlichten Industrie, in den Ämtern und Ministerien, in den Schulen und Hochschulen, in den Aufsichtsräten und wirtschaftlichen Gremien in führenden und maßgebenden Stellen unterzubringen. In Positionen, die jetzt, nicht zuletzt in der Neuorientierung der österreichischen Wirtschaft, in der Abstimmung mit der EWG von großer staatspolitischer Bedeutung sind.

Nach dem Gelingen dieser Aktion ließe sich aber nun fragen:

Erstens: Womit haben unsere beiden wirtschaftspolitischen Großunternehmungen, die ÖVP und die SPÖ, diese Leistung bezahlt? Und: Womit bezahlen sie weiterhin für das gute Funktionieren (nicht zuletzt bei den Wahlen, aber auch vorher und nachher) dieses Importes von Stimmen?

Zweitens: Wäre es nicht baid an der Zeit, sich nun um den dritten Mann in Österreich zu kümmern? Um — den Österreicher? Um den Menschen, der unbedankt, selbstverständlich, oft mißverstanden, als Österreicher gelebt, gearbeitet hat — eben dieser unbekannte Österreicher, auf den im Ernstfall alles ankommt und auf dem, in breiten Schichten der Bevölkerung, die Last der Steuern und des Staates liegt?

Zur Frage eins — sie ist in jeder Weise eine Existenzfrage ersten Ranges für Österreichs Unabhängigkeit und Selbstbehauptung — läßt sich feststellen: SPÖ und ÖVP haben gemeinsam durch eine Reihe von Gefälligkeiten und Rücksichtnahmen zu Lasten des Staatsinteresses für die Gewinnung beziehungsweise Erhaltung je ihrer „nationalen“ Wahlstimmen bezahlt.

Bezogen auf jede Großpartei für sich, läßt sich die Frage nach dem heutigen Stand der Dinge so darstellen: Die SPÖ nimmt innenpolitisch vor allem im Bund sozialistischer Akademiker, in Stadtverwaltungen, in zahlreichen Gremien sorgfältig Rücksicht auf die deutschnationalen und antiklerikalen Ressentiments und Interessen „ihrer“ Nationalen. Ihre Parteiführungen in den Bundesländern vertreten teilweise sehr nachdrücklich diese Kreise gegenüber Ministern und deren kritischen Äußerungen. Als Gesamtpartei bemüht sich die SPÖ jedoch, von Jahr zu Jahr akzentuierter, eine österreichische Linie herauszuarbeiten und auch publizistisch ein bedingungsloses Bekenntnis zu Österreich darzustellen. Es könnte sein, daß, einem wachen Instinkt folgend, die SPÖ bereits jetzt das Ringen um den dritten Mann, den übersehenen Österreicher, erfolgreich begonnen hat.

Soll ein bedingungsloses Bekenntnis zu einem freien und unabhängigen Österreich vorzüglich ein Wahlschlager, ja ein Parteiinteresse des demokratischen Sozialismus in Österreich sein? Die verstärkte österreichische Linie in der SPÖ sollte — zumindest aus Konkurrenzgründeh — die ÖVP aufhorchen lassen. Diese erste österreichische Volkspartei, die in den letzten Wahlkämpfen gerne schamhaft verschwiegen hat, daß einige ihrer Gründer und führenden Politiker für Österreich im Lager, im Kerker waren, sollte sich doch erinnern lassen, daß eben diese Partei eine ältere Tradition zu vertreten hätte, dazu eine katholische, soziale Reformbewegung, wie einst im Mai.. .

Neben der schleichenden Inflation des Schillings ist nichts so gefährlich wie die schleichende politische Inflation, der Substanzverlust der politischen österreichischen Währung. Nun hat gerade die Volkspartei um ihre Substanz besorgt zu sein; um so gefährlicher die immer neuen Versuche und aufreibenden Bemühungen, durch noch mehr Aufweichen, durch hochtonige. unverbindliche Phrasen in falscher Weise „allen alles“ zu werden.

Gewisse ÖVP-Kreise haben bis heute nicht verstanden, daß es nicht genügt, „nationale“ Stimmen zu gewinnen, sondern daß es darauf ankommt, unsere Nationalen als Menschen, als Staatsbürger — auch wir stehen ihnen mit harter, nüchterner Liebe gegenüber — für Österreich zu gewinnen. Es ist, das muß hier nachdrücklich festgestellt werden, nicht die Schuld so mancher Nationaler: man hat gerade in bestimmten ÖVP-Kreisen gern sich mit unverbindlichen Formeln von* „Heimat“ und „Volkstum“ begnügt, statt eine Verpflichtung für ein freies, unabhängiges Österreich einzufordern.

Wer wenig fordert, wird überfordert. Und zuletzt verlacht. Und stets mißbraucht. Stille Resignation begleitet von freundlichen Phrasen, sollte der Führung der ersten Regierungspartei nicht genug sein. Der Partei eines Figl, Hurdes, Raab; und eines Fähnleins von Aufrechten. In diesem Sinn können auch verschiedene Initiativen der letzten Zeit, den „Kern“ der Partei zu sammeln und neu zu formieren, nur begrüßt werden.

Kehren wir zum Beginn der Vor-Wahlkampfzeit zurück: ÖVP und SPÖ, die beiden wirtschaftspolitischen Großunternehmungen, sind eingeladen, ein gutes Klima und einen guten Stil zu gewinnen, indem sie sich beide als österreichische Parteien, verantwortlich für Volk und Land und Staat, verstehen — und in ihrem Kampf um ein halbes Dutzend Großgruppen und zwei Dutzend kleinere Interessenverbände den dritten Mann nicht übersehen: den Österreicher, der nicht will, daß die schleichende Inflation weitergeht, daß unser Boden, unser Land verkauft, unsere Wirtschaft in fremde Führung übergeht — und unsere Politiker verlegen und untätig dies decken und verdecken oder resigniert den Dingen ihren Lauf lassen.

Es ist an der Zeit, in Österreich um Österreicher zu kämpfen.

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