7128664-1997_16_02.jpg
Digital In Arbeit

Umkämpftes Wähleireservoir

Werbung
Werbung
Werbung

Die freiheitlichen Versuche, sich als christliche (oder auch katholische) Partei zu profilieren, brauchen niemanden zu überraschen. Schon im Wahlkampf 1994 ist Jörg Haider in einer Privataudienz vom Papst empfangen worden - ein spektakulärer Fototermin, den der Vatikan normalerweise keiner Partei vor Wahlen einräumt. Da müssen schon einflußreiche Bischöfe behilflich gewesen sein. Und zur FPO-Strategie paßt es, sich sowohl in die Nachfolge Kreiskys als auch in die der Christlichsozialen zu stellen. Das Motto ist: Wer allen etwas gibt, wird viele Stimmen ernten - falls die Rechnung aufgeht.

Die dadurch ausgelöste Debatte zeigt an, daß sich am Verhältnis zwischen der Kirche, der (fast) 80 Prozent der Menschen in Osterreich angehören, und der Politik einiges verschoben hat. Zwei wichtige Rahmendaten bestimmen das Verhältnis, völlig unabhängig von politischer Strategie oder Partei-Taktik:

■ Die Zahl der „aktiven" Katholikinnen und Katholiken (sozialstatistisch definiert als regelmäßige Besucher des sonntäglichen Gottesdienstes) in Osterreich war noch nie so klein wie heute, und der Trend zeigt weiter in die absteigende Richtung.

■ Die politische Heterogenität sowohl innerhalb der „aktiven", als auch innerhalb der in vielen Schattierungen nicht-aktiven Katholiken war noch nie so groß: Grün-Wählerinnen) sind ebenso Teil des katholischen „Aktivsegments" wie Freiheitliche, Sozialdemokraten und Anhänger(innen) der Volkspartei.

Das erste Rahmendatum bedeutet, daß der gesellschaftlich prägende Einfluß der Klerus-Kirche in Österreich nicht sehr hoch eingeschätzt werden darf. Was auf Kanzeln gepredigt wird, erreicht heute viel weniger Menschen als je zuvor. Das zweite Rahmendatum aber bedeutet, daß die Klerus-Kirche - will sie nicht Teile des „Aktivsegments" vor den Kopf stoßen - sehr vorsichtig mit dem Wettbewerb der politischen Parteien umgehen muß. In diesem Sinne ist die Formel von der „Äquidistanz" nicht nur aus der Vergangenheit des Politischen Katholizismus und der Verstrickung der Katholischen Kirche in Bürgerkrieg und Diktatur zu verstehen, sondern auch als - verständliche - Reaktion auf den politischen Pluralismus der Gläubigen.

Doch diese Äquidistanz kann natürlich nicht für die im politischen Leben stehenden Katholikinnen und Katholiken gelten, die Interessen haben und Werte repräsentieren - Interessen und Werte, die freilich auch und gerade innerhalb des Aktivsegments nur zu oft einander entgegengesetzt sind. Für die Laien-Kirche gibt es keine Äquidistanz - weder vom Anspruch her noch in der Wirklichkeit.

In der politischen Realität gibt es nämlich sehr wohl Parteien, deren Wählerschaft überproportional aus aktiven Katholiken besteht; und solche, bei denen der Anteil der aktiven Katholiken unterdurchschnittlich ist. Zur ersten Gruppe zählt nach wie vor die ÖVP - aber sie hat ihr Monopol verloren. Alle Untersuchungen zeigen, daß auch die Grünen überdurchschnittlich erfolgreich das katholische Aktivsegment ansprechen. Zur zweiten Gruppe zählt nach wie die SPÖ - aber eben auch, traditionell und aktuell, die FPÖ; und, nicht zufällig, das Liberale Forum.

Das ist die strategische Ausgangsüberlegung einer Partei, die sich daran macht, zur erfolgreichsten „Catch All "Partei der Gegenwart zu werden: Mit dem Anspruch, als wahre Sozialdemokratie die Interessen der Arbeiter zu vertreten, erreicht sie schon heute einen nicht unerheblichen Teil vor allem männlicher und vor allem jüngerer Arbeiter. Mit dem neu artikulierten Anspruch, als wahre christlichsoziale Partei die Interessen der gläubigen Christen zu vertreten, will die FPÖ nun auch ihr strategisches Defizit innerhalb des katholischen Aktivsegments wettmachen.

Die Frage bleibt, ob und wie dieses anscheinend in sich widersprüchliche Vorhaben umgesetzt wird. Die Chancen sind - auf den ersten Rlick - nicht so schlecht. Denn den meisten jungen Arbeitern sind Fragen, die das katholische Aktivsegment bewegen, ziemlich egal. Und den Teil des Aktivsegments, den die Freiheitlichen erreichen wollen, stört die sozialpolitische Profilierung der FPÖ auch nicht.

Welcher Teil des Aktivsegments aber ist es, den die FPÖ erreichen kann? Hier gibt die unterschiedliche Reaktion der Rischöfe eine klare Antwort: Die Katholikinnen und Katholiken wird die FPÖ sicher nicht ansprechen, die sich - zum Reispiel -für das Kirchenvolks-Regehren massiv eingesetzt haben Die Untersuchungen von Denz und Zulehner zeigen deutlich, daß in diesem „progressiven" Milieu die ÖVP eher mit den Grünen (schwächer auch: mit der SPÖ) wetteifert. Es ist exakt der andere „Flügel" der Laien-Kirche, den zu erreichen die FPÖ ganz gute Chancen hat: Diejenigen, denen eigentlich schon das Zweite Vaticanum zu weit gegangen ist; diejenigen, die von der Mitsprache der Laien nichts halten und die solche Dinge wie eine feministische Theologie entschieden ablehnen; diejenigen also, denen der Rischof von St. Pölten aus der Seele spricht, wenn er gelegentlich durchblicken läßt, die ÖVP sei ihm „zu liberal" - und der auch seine Rereit-willigkeit demonstriert, medienwirksam als Verteidiger des FPÖ-Obman-nes aufzutreten.

In diesem Sinne spiegelt die Debatte die Fragmentierung der Kirche in Österreich. So ist die Kirche in Österreich von demselben Muster geprägt, das auch die Parteien beherrscht- „catch all". Das mag der inneren Konsistenz nicht förderlich sein - weder im einen, noch im anderen Fall. Das ist aber die Realität moderner Gesellschaften.

Der Autor ist

Politikwissenschaftler in Innsbruck, derzeit an der Stanford University in Kalifornien tätig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung