Natur - © Foto: iStock / 35007

UN-Weltklimarat-Bericht: Wo bist du, Adam?

19451960198020002020

Der Bericht des Weltklimarates wirft ein bezeichnendes Licht auf eine Gesellschaft, die für den Eigennutz die Zukunft ihrer Enkelkinder vergiftet.

19451960198020002020

Der Bericht des Weltklimarates wirft ein bezeichnendes Licht auf eine Gesellschaft, die für den Eigennutz die Zukunft ihrer Enkelkinder vergiftet.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Kleine Zeitung vom 8. August hatte eine sehr beziehungsreiche Titelseite. Oben rechts wurden die beliebtesten Vornamen des Geburtsjahrgangs 2020 präsentiert, Marie und Jakob. Im Zentrum der Titelseite stand der Bericht des UN-Weltklimarates mit der Prognose, die Welt werde im Jahr 2100 zu einem katastrophalen Lebensraum werden, viele dazu beitragende Entwicklungen seien bereits unumkehrbar eingeleitet.

Die vielen Maries und Jakobs werden im Jahr 2100 achtzig Jahre alt sein, und für sie werden Waldbrände, Überschwemmungen, Dürren, Hungersnöte und Flüchtlingswellen auf der Tagesordnung stehen: Urlaubsparadiese in Flammen, Flutwellen, Unwetter, Tornados. Die Ausnahmen von heute werden 2100 Regel geworden sein.

Wie werden diese Menschen dann über ihre Eltern- und Großelterngeneration denken? Es wird wohl auf eine biblische Frage hinauslaufen – auf die erste Frage, die Gott an den Menschen Adam stellte: „Wo bist du?“ beziehungsweise „Wo warst du?“, gleichbedeutend mit: „Was hast du getan?“. Und so wie Adam in der Bibel antwortet, „ich habe mich versteckt, denn ich hatte Angst“, werden auch wir antworten müssen, wir haben uns versteckt, weil wir Angst hatten.

Angst davor, unseren Reichtum und unseren Luxus aufs Spiel zu setzen, Angst davor, weniger zu konsumieren, uns weniger zu leisten. Angst davor, unsere Mode und unsere Art des Wachstums aufs Spiel zu setzen, unser System der Ablenkungen und Illusionen (Arbeit inklusive) zu gefährden, das System des Wettbewerbs zu hinterfragen und im übertragenen Sinn – gleich Adam – unsere Nacktheit zu erkennen.

Ungleich Adam erkennen wir aber schon das Ende – die Selbstvertreibung aus dem Paradies. Und wir, die heute regierenden, regierten, mitlaufenden und steuernden Menschen, sind dafür selbst und in vollem Ausmaß verantwortlich.

Der Bericht des Weltklimarates wirft ein bezeichnendes Licht auf eine Gesellschaft, die für den Eigennutz die Zukunft ihrer Enkelkinder vergiftet.

Weil wir technologisch brillante Energieeinsparungen mit immer noch nutzloseren neuen Energieverschwendungen zunichtemachen. Weil wir Politikern erlauben, noch schnell die angeblich letzte Autobahn, die letzte Flughafenstartbahn in die Landschaft zu pflastern.

Weil wir erlauben, dass Grünland für immer neue Einkaufszentren und Einfamilienhaussiedlungen preisgegeben wird. Weil Parteien gewählt werden, die explizit keine Klimastrategie entwickeln, die irgendwelche entscheidenden Effekte hätte. Weil wir Menschen Glauben schenken, die orakeln, der rettende Fortschritt werde schon noch kommen, also könnten wir weitermachen wie gehabt. Weil wir, die alle Mittel für eine mögliche Trendumkehr seit Jahren kannten, diese Mittel nicht nutzten, sondern Veraltetes bewahrten, Schädliches förderten und sich Millionen Konsumenten über Werbung verführen ließen. Weil wir ganz konkret Handelsabkommen tolerieren, die Ökosysteme in Südamerika für Autoexporte und billiges Fleisch vernichten. (Und wie zynisch wird sich dagegen die „grüne“ Initiative von VW ausnehmen, in der Werkskantine auf Currywurst zu verzichten?)

Wie also werden die Maries und die Jakobs über uns denken? Vielleicht werden einige von ihnen den Kopf schütteln, andere weinen und wieder andere auf unsere Gräber spucken. Und sie alle hätten damit recht. Das können wir uns vor Augen halten, während wir nun weiterhin nichts, zu wenig oder das Falsche tun.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung