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Unions- oder Führerpartei?

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Die Ereignisse seit den Bundestagswahlen des 17. September haben die schwere Krise, in der sich die Regierungspartei befindet, noch einmal in den Hintergrund treten lassen. Wieder einmal konnte die überragende Persönlichkeit Adenauers die Sprünge und Risse übertünchen, die sich im Gefüge dieser großen bürgerlichen Sammelpartei zeigten. Man deutet die Entscheidung der CDU/CSU für Adenauer nicht falsch, wenn man sie als eine Notlösung betrachtet, die einen Dia- dochenkampf aller gegen alle um dessen Nachfolge verhindert hat. Der Verlust von 28 Abgeordnetensitzen erinnerte die CDU/CSÜ daran, daß die Wähler nicht mehr länger gewillt sind, das Problem der Nachfolge auf die leichte Schulter zu nehmen, das bisher von der Partei unter der strahlenden Sonne der Prosperität nicht in Angriff genommen wurde. Die sieben Wochen der Regierungsbildung enthüllten, daß der Vorwurf, den viele CDU-Politiker gegen das deutsche Volk erheben, es habe in der Zeit der Wirtschaftsblüte alle viere gerade sein lassen, in erster Linie auf sie selbst zutrifft. Die auch von vielen CDU/CSU-Politikern als notwendig erkannte Ablösung Adenauers kam nicht zustande, weil die Partei nicht imstande war, neben Adenauer eine Alternativlösung zu entwickeln. Was sich den erstaunten Wählern in diesen letzten Wochen innerhalb der CDU/CSU aber bot, waren keine politischen Lösungen, sondern Sumpfblasen wilder Intrigenkämpfe, die schließlich die Wiederwahl Adenauers noch als die beste Lösung erscheinen ließen. Die Abwärtsbewegung der CDU in den Bürgerschaftswahlen in Hamburg zeigt, daß die deutschen Wähler das wohl erkannt haben.

Die kommenden Jahre des vierten Kabinetts Adenauer, von dem niemand weiß, wie lange es amtieren wird, sind die letzte Chance der CDU/CSU, das Vertrauen der 45 Prozent der deutschen Wähler zu rechtfertigen. Es gilt, unter Adenauer eine so überzeugende Alternativlösung zu entwickeln, daß nach dessen Ausscheiden keine Diskussion über seine Nachfolge mehr einsetzen kann, die der Einheit der Partei gefährlich wird. Die Partei muß in der nächsten Zeit zeigen, daß es sie gibt. Sie muß versuchen, neben Adenauer an Profil zu gewinnen. Weder in der Präsidentschaftskrise 1959 noch in diesem Herbst ist ihr das gelungen, und es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß diese Aufgabe in einer Partei, deren Hügel so weit in ihren Ansichten auseinandergehen, das schwierigste Problem überhaupt ist. Es ist um so schwerer zu lösen, als die Partei trotz ihrer beträchtlichen Niederlage weiter in der Regierungsverantwortung steht. Die Gefahr, im bisherigen Schlendrian weiterzumachen und die eigene Sub- stanzlosigkeit hinter Regierungserfolgen zu verstecken, liegt nahe. Wie groß die Vertrauenskrise inzwischen schon geworden ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, daß ein nicht geringer Teil der „Erhard-Wähler“ am 17. September zur FDP ihre Zuflucht nahm. Erhards Chancen auf den Kanzlerposten liegen, insbesondere nach seinem Versagen in diesem Herbst, zum großen Teil nicht mehr in seiner Partei, sondern hängen von dem Einfluß ab, den die FDP auf die künftige Kanzlerwahl gewinnen wird.

Die rivalisierenden „jungen Männer“

Sehr vieles spricht dafür, daß die Entscheidung über die Kanzlernachfolge nicht so sehr bei den alten Männern liegen wird, zu denen neben Erhard noch der langjährige Frakti’ons- vorsitzende der CDU/CSU, Krone, zu zählen ist, sondern bei den jungen, konkret gesprochen bei Schröder und Strauß. Beide sind aus dem Wirbel um die Regierungsbildung als stark profilierte Persönlichkeiten hervorgegangen und haben Positionen erreicht, von denen der Sprung an die Macht nicht unwahrscheinlich ist. Der bisherige Innenminister und nunmehrige Außenminister Gerhard Schröder, von dem man bisher im Zusammenhang mit der Kanzlernachfolge kaum gesprochen hatte, scheint sich dabei in die bessere Position geschoben zu haben. Beide sind außergewöhnlich intelligente Männer mit starkem Machtbewußtsein und Sinn für Poli tik, beide sind jedoch Typen, die es im Ausland nicht leicht haben werden, Vertrauen zu gewinnen. Ihre Chancen innerhalb der CDU/CSU sind um so höher zu werten, als es in den sieben Wochen der Regierungsbildung offenbar wurde, daß die nach vielen Seiten auseinanderstrebende Partei sich nur einer so herrischen Person wie Adenauer unterwirft. Die Möglichkeiten für einen Mann des Ausgleichs, sich an die Spitze zu setzen, scheinen nach diesen Erfahrungen nur gering zu sein.

Das hieße, daß die CDU/CSU auch in diesem Sinn eine Kanzlerpartei ist, daß sie eine starke Persönlichkeit an ihrer Spitze braucht. Darin liegt aber eine nicht gering zu schätzende Gefahr. Das Herausstellen einer starken Persönlichkeit geht immer auf Kosten der Organisation und der Ideen. Die CDU/CSU wird aber auf die Dauer nur dann eine Union verschiedener politischer Richtungen und damit d i e bürgerliche Partei in Deutschland bleiben können, wenn es ihr gelingt, diese Einheit von der Substanz und nicht von der Parteispitze her glaubhaft zu machen. Adenauer gehörte nie zu einem Parteiflügel, er war die Partei schlechthin. Schröder und Strauß verfügen über Anhänger und Gegner. Ihr Sieg wäre gleichbedeutend mit der Niederlage eines Teiles der Partei. Das Herausstellen eines der beiden kann daher nie ein Ersatz für die Reorganisation der Partei sein, deren Einheit durch nichts so gefährdet wird, wie durch das Sammeln von Anhängern durch die beiden Kontrahenten.

Brentano bleibt die Hoffnung

Von den beiden Genannten hat Franz Joseph Strauß am klarsten aus gesprochen, daß er die Ablösung Adenauers für das Gebot der Stunde hält, während Gerhard Schröder mit größtem Erfolg seine bisherige Rolle des treuesten Gefolgsmannes Adenauers weiterspielte. Die Chancen dieser beiden nehmen daher in dem Maße zu oder ab, in dem sich die neue Koalition durchzusetzen vermag. Strauß setzte auf Erhard, dessen Chancen, Kanzlernachfolger zu werden, nicht zuletzt schon deshalb nur noch gering sind, weil sich weder Strauß noch ein anderer noch einmal der Ge fahr einer Blamage aussetzen wird. Strauß mußte weiter erleben, daß die bayrische CSU keine Hausmacht ist. Der Vorsitzende der CSU-Landes- gruppe, Hermann Höcherl, machte dem CSÜ-Parteivorsitzenden Franz Joseph Strauß auf eine drastische Weise deutlich, wie wenig die Partei bereit ist, ihm zur Macht zu verhelfen. Zusammen mit dem immer mehr hervor- tretenden Abgeordneten Karl Theodor Freiherrn zu Guttenberg zeigte sich Höcherl eher bereit, einer großen Koalition unter Adenauer zuzustimmen, als einer kleinen unter Erhard. Wie sehr die Anti-Strauß-Richtung in Bonn zur Zeit honoriert wird, zeigte sich in Höcherls überraschender und von diesem selbst nicht erwarteter Ernennung zum Bundesminister.

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