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Unruhiges Syrien

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Her jüngste syrische Putsch unterscheidet sich in nichts von den vielen vor ihm, die seit 17 Jahren das Land ständig in Atem gehalten und seine ruhige Entwicklung verhindert haben. Unzufriedene Offiziere marschieren auf die Hauptstadt, besetzen die öffentlichen Gebäude, stellen die bisherigen Machthaber vor ein Sondergericht, und die anfänglich Unentschlossenen stimmen zu, sobald einigermaßen feststeht, daß der Putsch geglückt ist. Die Bevölkerung — sieht man einmal von den Schülern und Studenten, dem Vortrupp jedes Putsches im Orient, ab — verhält (Sich äußerlich gleichgültig und nimmt die ihr aufgezwungenen Änderungen gelassen hin. Auch das äußere Bild ist sich stets mehr oder weniger gleich: ein paar Feuergefechte, einige zerschossene Häuser, Panzerwagen und schwerbewaffnete Soldaten in den Straßen, Ausgehverbot, Isolierung von der Außenwelt, Kommuniques, Ergebenheitsadressen und militärische Märsche im Rundfunk.

Bei diesem jüngsten syrischen Putsch schien es zeitweise, als ob die Chancen für Gelingen oder Fehlschlag offenbledben sollten. Der Rundfunk Aleppos, der großen Stadt des Nordens, kündigte die Organisation eines Widerstandes der umliegenden Garnisonen, der Arbeiter und der baasistischen Miliz an und forderte die Aufnahme von Verhandlungen über die Freilassung aller Inhaftierten und einen Schiedsspruch der obersten Parteiinstanzen. Diese Verhandlungen wurden aber schon am Abend ergebnislos abgebrochen. Inzwischen hatten die Putschisten ihre Lage in Damaskus weiter konsolidiert. Am Morgen des Donnerstag wechselte ein Teil des Nordens zu dem neuen Regime über; Radio Aleppo stellte seine feindseligen Sendungen ein und unterhielt die Hörer mit patriotischen Liedern. Der noch verbliebene Widerstand konnte den Erfolg des Putsches kaum noch in Frage stellen.

Die Rache der Druseh

Er ist die Revanche jener extremistischen Offiziere und Baas-Politiker, die im September und Dezember letzten Jahres von dem General Hajes und seiner Gruppe überspielt und aus allen Stellungen von einigem Einfluß hinausgedrängt worden waren. Von dem Schub wurden am meisten jene Offiziere betroffen, die der alaouitischen und der drusischen Minderheit angehörten. Gewiß zählten sie, wie der General Salah Dschedid, zu den radikalsten Vertretern des extremistischen Parteiflügels, aber zweifellos sollte die Maßnahme auch dazu dienen, den gefährlich angeschwollenen Einfluß dieser beiden Minderheiten innerhalb der Armee auf ein erträgliches Maß zurückzuführen.

Das neue Regime nennt sich „Provisorisches Nationales Kommando des Baas”. 16 Militärs spielen die Hauptrolle. Neuer Verteidigungsminister 1st der General Assad, der bisherige Befehlshaber der Luftwaffe. Auch der General Sueidan, der bisherige Chef des militärischen Abwehrdienstes, scheint eine maßgebliche Rolle zu spielen. Vertreten sind natürlich alle Offiziere, die bei den Auseinandersetzungen der letzten Monate immer wieder genannt wurden: die Obersten Obeid, Jundi und Talas. Welche Aufgabe den zwei Zivilisten, dem früheren Stellvertreter des Präsidenten, Nureddin Atassi, und dem ehemaligen Regierungschef Zouayen zugedacht ist, läßt sich noch nicht ausmachen. Darüber kann nämlich kaum noch ein Zweifel sein, daß es sich um ein Militärregime handelt, das lediglich aus politischen Erwägungen nach außen hin baa- slstisch verbrämt ist. Der führende Kopf des Putsches und des neuen Regimes, General Dschedid, ist bis jetzt kaum in Erscheinung getreten. Er ist Alaouit, und in Damaskus wird gesagt, man habe ihm dringend geraten, vorläufig einmal im Hintergrund zu bleiben, um die große sunnitische Mehrheit des Landes nicht zu beunruhigen.

Der Putsch ist zweifellos der Sieg der radikalen Gruppe gegen die alte Parteigarde des Baas, und die ersten neuen Schlagwörter aus Damaskus lassen befürchten, daß es sich um die am meisten nach links gerichtete revolutionäre Bewegung handelt, die bis heute die arabische Welt gesehen hat. Anzeichen deuten darauf hin, daß Rotchina ihr nicht fremd gegenübersteht und Chan Shen, der chinesische Botschafter in der syrischen Hauptstadt, nicht nur ein Diplomat, sondern auch ein brillanter Spezialist revolutionärer Bewegungen ist.

Querschuß gegen Kairo

Der Putsch ist in einem Augenblick vorgenommen worden, in dem von Hafes die Fäden für eine Annäherung an Kairo gesponnen wurden und Nasser sich um die Herstellung einer ägyprtisch-syrisch-ira- kischen Abwehrfront gegen König Feisal und seine Pläne eines Zusammengehens islamischer Staaten bemüht. Von einer syrischen Beteiligung an diesem Kairoer Projekt kann jetzt keine Rede mehr sein. Die Extremisten des Baas sind erklärte Gegner jedes engeren Zusammengehens, das nicht unter der Fahne des Baas steht. Es ist sogar anzunehmen, daß die sich abzeichnende Annäherung zwischen Damaskus und Kairo die Durchführung des Putsches beschleunigt hat.

Für Syrien hat der Putsch weder eine endgültige Lösung der schweren innenpolitischen und wirtschaftlichen Probleme noch die Stabilität gebracht. Das Land tritt vielmehr in den vielleicht ernstesten und unruhigsten Abschnitt seiner schon so unruhigen Geschichte ein.

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