Unterschätztes Wahlkampfthema

Werbung
Werbung
Werbung

Das war knapp. Nur einige Tausend Stimmen haben darüber entschieden, wie wir international wahrgenommen werden. Medienvertreter aus der halben Welt waren angereist, um die erste Wahl eines rechtspopulistischen Staatsoberhauptes in Europa zu kommentieren. Einige konnten ihre Enttäuschung darüber kaum unterdrücken, dass das Resultat zunächst offen blieb. Als dann klar wurde, dass doch Van der Bellen gewonnen hatte, fühlten sich nicht wenige um die erwartete Sensation betrogen. Wie leicht doch die Reputation eines ganzen Landes zum Spielball halbinformierter Beobachter wird!

Die Profi-Kommentatoren aus der Politikwissenschaft waren am Wahlabend zum Ratespiel verdammt, wer es letztlich werden könnte, und hatten viel zu viel Zeit, verwegenste Theorien über die angebliche Polarisierung des Landes zu entwickeln. Doch die vermeintliche Spaltung zwischen einer Fraktion der von Abstiegsängsten geplagten Wenigergebildeten und einer anderen, in der sich die weltoffenen Urbanen versammeln, ist kein taugliches Erklärungsmuster.

Weit unterschätzt wird hingegen der Einfluss der europäischen Entwicklungen auf diese zur Zitterpartie gewordenen Präsidentenwahl. Dass Norbert Hofer einem Parteienbündnis zugehört, das sich unter Federführung von Marine Le Pen auf die Fahnen heftet, "dieses Europa zu zerstören", konnte er im Wahlkampf durch gemäßigte Antworten auf Europa-Fragen geschickt unterspielen. Das bescherte ihm im Schlussduell Stimmen auch jener, die sich nicht als grundsätzliche Europa-Gegner sehen, wohl aber Auswüchsen des Brüsseler Zentralismus kritisch gegenüberstehen.

Die Keule der Europa-Feindlichkeit

Eine europäische Wirtschaftsregierung etwa, die ihre Entscheidungen unter Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips auch gegen den Willen von Mitgliedsländern treffen könnte, muss auf den Widerspruch von Befürwortern eines von Subsidiarität geprägten Europas stoßen. Kritik an einem solchen Konstrukt ist legitim und lässt sich nicht mit der Keule der Europa-Feindlichkeit vertreiben.

Würden die objektiv feststellbaren Versäumnisse der nicht nur in der Flüchtlingsfrage offensichtlich überforderten EU-Politik endlich auch von den traditionellen Volksparteien der Mitte beim Namen genannt, wären die meisten dieser Skeptiker wohl zurückzugewinnen. Setzt man hingegen die konfliktscheue Tabuisierung unangenehmer Wahrheiten fort, dann stärkt das politisch jene, die Realitäten benennen - selbst wenn sie daraus die falschen Schlüsse ziehen.

Eine nüchterne Zwischenbilanz ist überfällig: Wem dient die europäische Sache, vom alles entscheidenden Friedenszweck einmal abgesehen? Wie können wir sie so organisieren, dass sie wieder als ein Projekt wahrgenommen wird, das der gemeinsamen Anstrengung wert ist? Kommissionspräsident Walter Hallstein prägte schon 1967 den Satz: "Das Europa-Fahrrad muss in Bewegung bleiben, damit es nicht umfällt." Nun genügt nicht mehr, dass es in Bewegung bleibt. Wir brauchen auch neue Einigkeit über das Fahrziel.

Wilfried Stadler

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung