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Urahne des organisierten Verbrechens

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Die internationalen Mauas - das organisierte Verbrechen - sind heute zu einer der größten Gefahren im gesellschaftlichen Zusammenleben geworden.

Kaum merklich unterwandern oder infizieren sie sämtliche öffentlichen und privaten Instanzen der Gesellschaft. Dieser läge erst hat der Chef des deutschen Rundeskriminalamtes festgestellt, daß die Korruption durch die organisierte Kriminalität in der öffentlichen Verwaltung unkontrollierbare Ausmaße angenommen habe. Fast noch schlimmer, Gesetze, welche die organisierte Kriminalität an empfindlichen Stellen treffen sollen, wie etwa beim Waschen krimineller Gelder, werden von den europäischen Parlamenten meist so zahnlos formuliert, daß sie in der Praxis wirkungslos bleiben.

Haben die Mafias ihre Leute etwa auch schon in Schlüsselstellungen der Parlamente? Als Urbild des organisierten Verbrechens gilt die sizilia-nische Mafia, daher ja auch die Bezeichnung für derartige Organisationen. Nun erschien als „dtv sachbuch” eine Studie von Diego Gambetta über diese Urmutter aller Mafias unter dem Titel „Die Firma der Paten”.

Gambetta untersucht darin Ursprung und konkretes Funktionieren der sizilianischen Mafia. Daraus lassen sich, bei allen Unterschieden, interessante Schlüsse auf den Charakter des modernen organisierten Verbrechens ziehen. Nach Gambetta und den meisten anderen Forschern auf diesem Gebiet entstand die Mafia vor rund 150 Jahren auf den Ruinen der Herrschaft der spanischen Bourbonen, als eine Art von Wach-und Schließgesellschaft, zuständig für den reibungslosen Ablauf gesellschaftlicher Funktionen.

Ob die Bourbonen von einem italienischen Nationalstaat mit gleichen Bechten für alle Teile abgelöst wurden oder ob es sich um die Besitzergreifung Siziliens durch Piemont handelte, darüber streitet man heute mehr denn je. Tatsache scheint mir aber doch die Funktion der Mafia, oder richtiger, der verschiedenen örtlichen Mafias zu sein, die, laut Gambetta, eigentlich nur die neue marktwirtschaftliche Situation ausnützten um ein verlangtes Produkt zu liefern.

Sie nützten, wie man heute sagt, eine Marktlücke aus. Gambetta meint, die neuentstehende Mafia habe nichts mit der feudalen Vergangenheit und ihren Organisation -formen auf den verschiedenen Ebenen zu tun. Aber gerade an der Art ihrer Methoden und Vorgangsweisen läßt sich das typisch feudale Erbe ablesen. Das beginnt bei der Bezeichnung „Familie” für die mafiose Organisation und der Tatsache, daß der Chef zählt und erst hinter ihm die Organisation. Dazu die weitere Tatsache, daß den Kern der Organisation bis heute die Familienmitglie-

der des Chefs im weiten Sinn zählen, also der Klan.

Typisch dabei bis heute, daß die Familien stets lokal beschränkt und unabhängig voneinander arbeiten. Ursprünglich blieb die Mitgliedschaft auf diesen verwandtschaftlichen, lokalen Kreis beschränkt. Heute werden, zweitrangig, auch Fremde aufgenommen. Ein guter Teil der ursprünglichen Tätigkeit bestand im Schlichten von Streitigkeiten zwischen Kontrahenten der verschiedensten Art. Das weist auf die Tätigkeit des „Bates der Alten” in der Klansgesellschaft hin, der nur unvollständig, weil allzu parteiisch, vom aristokratischen Gutsherren übernommen, in der neuen bürgerlichen Gesellschaft völlig wegfiel, denn der neue italienische Staat brachte es vorerst nur zu rudimentären staatlichen Einrichtungen.

Quasi-Staatliche Funktionen

An sich hat die Mafia lange Zeit hindurch nützliche, prinzipiell staatliche Funktionen übernommen, um das möglichst reibungslose Funktionieren der Gesellschaft bis hin zur Kontrolle des Verbrechertums zu gewährleisten. Die Analyse dieser Mischung von Funktionen der Klansgesellschaft mit den Methoden der Marktwirtschaft, um Marktlücken auszunützen, ergibt den Ansatz zum Verständnis dessen, was heute unsere modernen Gesellschaften bedroht, der organisierten Kriminalität, also „der Mafias”.

Erst vor kurzem schrieb der neoliberale, also wahrhaftig der Marktwirtschaft nicht mit Abneigung gegenüberstehende britische „Econo-mist” über das Drogengeschäft: „Wirtschaftliche Logik und Methoden aus den gängigen Schulbüchern haben den illegalen Unternehmern Kolumbiens ... den Sieg ... gebracht.” Kann man nicht das Gleiche von der russischen Mafia sagen? Oder von

den chinesischen Triaden? Allerdings haben sie mit Ausnahme der japanischen Yakuzas und doch auch der sizilianischen Mafias die ursprüngliche Funktion des Friedensrichters zugunsten des Handels mit Drogen bis hin zum Handel mit Organen geraubter Kinder aufgegeben, zweifellos eine lukrativere Marktlücke.

Die sizilianische Mafia war dagegen Schlichtungsstelle für gesellschaftliche Konflikte bis hin zu denen, die in der heutigen Gesellschaft von Gewerkschaften und darüber hinaus nach österreichischem Beispiel in ganz Europa von den Sozialpartnern wahrgenommen werden. Haupttätigkeit war und ist weiterhin aber doch die Schutzfunktion. Gambetta zeigt bis in die letzten Einzelheiten den Mechanismus des „Schutzes”.

In der Mehrzahl der Fälle wird er keineswegs aufgezwungen, sondern angefordert. Schließlich wird das betreffende Unternehmen ja auch wirklich beschützt, und zwar zu einem Tarif, der traditionell kaum über dem der normalen Versicherung lag, bei viel größerer Effizienz. Wer einen Vertrag mit der lokalen Mafia abgeschlossen hat, der wird auch vor Diebstahl und Einbruch geschützt. Die Mafia hat ihre eigene Art, herauszufinden, wer die Tat beging und bringt ihn dazu, die Beute wieder herauszugeben. Nicht immer überlebt der Täter seine Entdeckung durch die Mafia. Sie hat kein Interesse an unsicheren Verhältnissen in ihrem Gebiet. Dort haben Straßenräuber, Einbrecher, Ladendiebe, Bankräuber und Entführer nichts zu

suchen. Nur in Palermo gibt es eine mafiaüberwachte Zonenaufteilung für Straßenräuber.

Der gute Buf der Mafiafamilie ist ihr Kapital, der Interessent kauft Schutz nur bei einer verläßlichen Familie. Anders bei illegalem. Glücksspiel, Wucher, Alkohol- und Zigarettenschmuggel sowie Drogenhandel, die prinzipiell schutzwürdige Geschäfte sind. Auch „Wahlwerbung” gehört zum traditionellen Aufgabenbereich der Mafia. Diese Art „Wahlwerbung” kommt dem Kandidaten um vieles billiger als moderne Wahlwerbung. Vor allem, weil nur wenig bar gezahlt werden muß. Die Gegenleistung besteht eher in „Rechtshilfe” bei Gefahr für ein Mitglied der Familie, im Zuschanzen von staatlichen Aufträgen für vom Wahlhelfer beschützte Unternehmen oder in falsch-echten Pässen für Mafiosi, die untertauchen müssen.

In einer gutverwalteten Schutzzone werden einfach die weiteren Mitglieder der Familie jedes einzelnen Mafiosos und deren sämtliche Freunde mobilisiert, was im Nu einige zehntausend Wähler ergibt. Riskant wird es allerdings, wenn eine Mafiafamilie sich auf neuzeitliches Gebiet wagt. Eine Theaterdirektorin, Mitglied der in Catania herrschenden Mafiafamilie Zu Angelos, hatte Abonnements' für 80 Millionen Lire als Werbung für die zwei von Zu Angelo beschützten Kandidaten verteilt. Die zwei Kandidaten verloren die Wahlen, die Direktorin blieb auf ihren Rechnungen sitzen, ohne Hoffnung auf Subventionen. Zu Angelo ging ins Gefängnis und seine Familie brach zusammen. Entgegen dem allgemeinen Eindruck sind es meist nicht die Kunden der Mafia, die wegen Aufmüpfigkeit oder Weigerung, zu zahlen, von den Mafiosi umgelegt werden.

Schneller Griff zur Waffe

Die Todesurteile durch den Chef der Familie werden meist gegen Konkurrenten ausgesprochen, gegen andere Mafiosi. Das kann eine konkurrierende Familie sein, die einen lukrativen Standort erobern will, das kann aber auch ein Mitglied der Familie sein. Gambetta zitiert Fälle, wo ein Mitglied wegen unzüchtigen Lebenswandels erschossen wurde, um den Ruf der Familie zu bewahren. Häufig sind Fälle von Konkurrenz innerhalb der Familie. Ein schwach gewordener Pate wird von einem Nachwuchspaten aus dem Weg geräumt oder umgekehrt, ein Pate läßt allzu ehrgeizigen Nachwuchs aus dem Weg räumen.

Der Autor kann sich der Faszination durch sein Thema zwar nicht immer entziehen, doch den schnel-

len Griff zur Waffe findet er schon arg. Gambetta ortet diese Neigung in der spanischen Erbschaft. Von den Philippinen über Südamerika bis Sizilien hätten die ehemaligen spanischen Kolonien weltweit die höchsten Mordraten.

Aus dem bisher umrissenen Bild der Mafia läßt sich kaum auf die Gründe der weltweiten Ausbreitung der Mafia schließen. Dafür zeichnen die Strategen des Vorläufers der CIA, des „Office for Strategie Studies” verantwortlich. Sie hatten prominente Vertreter der amerikanischen Mafia nach Sizilien geholt, um eine vermutete kommunistische Unterwanderung Siziliens abzublocken.

Knowhow vom Cia-Vorläufer

In der Tat hatte bisher die Mafia außerhalb Siziliens nur in den italienischen Ghettos der Großstädte Amerikas Fuß gefaßt. Die dortigen Mafiaableger haben prompt moderne Züge angenommen. Ihren italienischen Vettern haben die Mafiaagenten des OSS dann auch gezeigt, wie man in der heutigen Zeit arbeitet. Nach ihrem Vorbild hat die sizilianische Mafia eine zentrale Kommission, die „Cupola” eingerichtet, nicht zuletzt, um die neuen Geschäftsbeziehungen besser wahrnehmen zu können.

Also etwa ab 1946 die Verteilung, jetzt über ganz Italien, der aus Tanger kommenden amerikanischen Zigaretten. „Dieser Handel sollte in den darauffolgenden dreißig Jahren zum größten und gewinnträchtigsten illegalen Geschäft Italiens werden.” Auch hier führte die Mafia vorerst nicht die eigentlichen Schmuggeloperationen durch, sondern übte weiterhin Schutzfunktionen aus.

Parallel dazu organisierten die ursprünglichen OSS-Agenten den Schmuggel in die andere Richtung, und zwar mit Sizilien als Knotenpunkt des Flusses von Drogen aus dem Nahen und Fernen Osten in die reichen Verbraucherländer. Sehr schnell wechselte die Mafia von ihrer traditionellen Schutzausübung auf Drogenbearbeitung und -handel in Eigenregie über. Ihre Paten hatten Kapital angesammelt, und da waren ja auch immer die amerikanischen Vettern, die das notwendige Risikokapital vorschössen. Im Verlauf der folgenden Jahrzehnte änderte so die Mafia weitgehend ihren Charakter, sie wurde zum Vorbild der modernen organisierten Kriminalität: zur multinationalen, gesellschaftliche Ordnungen zersetzenden verbrecherischen Organisation.

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