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Verbündeter der Bürger

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Europaparlamentswahlen sind immer auch ein Spiegel der Europastimmung in der EU. Das neue Parlament hat neue Vollmachten, ist aber längst noch nicht vollentwickelt.

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Europaparlamentswahlen sind immer auch ein Spiegel der Europastimmung in der EU. Das neue Parlament hat neue Vollmachten, ist aber längst noch nicht vollentwickelt.

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Es gibt ein Bonmot, wonach die Europäische Union wegen Demokratiedefizits nicht in die EU aufgenommen würde, sollte sie diesen Antrag stellen. In der Tat, nimmt man eine normale parlamentarische Demokratie her, dann könnte sich die EU noch einiges von einer solchen abschauen.

Scharfe Kritiker der EU-Verfassung bemängeln, daß das Europäische Parlament mit seinen zwei Sitzen - in Straßburg und in Brüssel -sowie dem in Luxemburg ansässigen Sekretariat (3.500 Mitarbeiter) in Europa eigentlich nichts zu sagen hat, obwohl es so viel sagt. Denn in Ermangelung einer echten gesetzgeberischen Kompetenz - seit dem Maastricht-Vertrag wurden die Möglichkeiten des Parlaments zur Anhörung (Konsultation), Zusammenarbeit (Kooperation), Mitentscheidung (Kodezision) und Zustimmung zu vom Ministerrat vorgelegten Verordnungen, Bichtlinien und Gesetzen stark erweitert - behandeln die Abgeordneten Themen nach Lust und Laune. Manche nennen das Europäische Parlament deswegen einen Kommentierclub nicht nur des europäischen, sondern sogar des Weltgeschehens. Viele Europaparlamentarier verhalten sich wie Mitglieder von Non-Governmental Organizations (NGOs), die - abgestellt auf nur ein Anliegen - das Forum nur dazu benutzen, um ständig über ein- und dasselbe zu reden. Skurrilitäten sind keine Seltenheit -das Parlament tagt pro Monat jeweils eine Woche in Straßburg, maximal fünf Plenarsitzungen haben die eifersüchtigen Franzosen Brüssel zugestanden, trotzdem verbringen die Parlamentarier die meiste Zeit in Brüssel, sonst wäre eine Zusammenarbeit mit der Kommission und dem Ministerrat gar nicht möglich.

Gesetzesentwürfe darf nur die Kommission (die Exekutive der EU) vorlegen, der Ministerrat als eigentlicher Gesetzgeber braucht sich vom Parlament nicht viel sagen zu lassen. Das Anhörungsrecht des Parlaments besagt nicht, daß der Ministerrat an die Parlamentsmeinung auch gebunden ist. So fällt ein Großteil von echter Verantwortung und Kontrolle schon einmal weg — wahrscheinlich Hauptgrund für die vielseitigen Interessen der Parlamentarier, die sich ein anderweitiges Beschäftigungsfeld suchen.

Informationsdefizite

Die EU-Erweiterung, Assoziierungsabkommen und Fragen des Strukturfonds sind jedoch von der Zustimmung des Parlaments abhängig. Österreich hat das parlamentari-. sehe Muskelspiel vor kurzem erst zu spüren bekommen, als es um den Willkomm durch Straßburg zittern mußte. Ganz stolz sind die Europaparlamentarier auf eine neue Errungenschaft (seit Maastricht), nämlich das Zustimmungsrecht sowohl bei der Ernennung des- Kommissionspräsidenten als auch der gesamten, momentan aus siebzehn Mitgliedern bestehenden Kommission, deren Legislaturperiode der des Parlaments angepaßt und von vier auf fünf Jahre verlängert wurde.

Ein Hauptanliegen des gegenwärtigen Präsidenten des Europäischen

Parlaments, des Deutschen Egon A. Klepsch, ist Abbau des Demokratie-, aber auch des Informationsdefizits: „Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, daß das Europäische Parlament als einzige direkt gewählte EU-Institution und demokratisches Kontrollorgan ihr Verbündeter auf dem weiterhin schwierigen Weg zur Vollendung der Europäischen Union ist.” Doch die Arbeitsweise und Organisation dieses Parlaments ist kaum bekannt. Die bis jetzt 518 Abgeordneten aus zwölf Staaten bilden neun politisch definierte Fraktionen (Sozialistische Fraktion, Europäische Volkspartei, Liberale und Demokratische Fraktion, Sammlungsbewegung der Europäischen Demokraten, Grüne, Regenbogenfraktion, Fraktionslose, Koalition der Linken und Europäische Rechte), die in 19 Ausschüssen ihre Arbeit verrichten. Die Sitzordnung innerhalb der Fraktionen ist alphabetisch, nicht national geordnet. Das Abstimmungsverhalten - so eine gängige Klage - ist jedoch nicht „europäisch” geprägt, sondern richtet sich nach wie vor nach nationalen Interessen. Ungeachtet der Fraktion bilden sich bei entscheidenden Fragen nicht selten nationale Blöcke.

Was aus der Europäischen Union überhaupt wird, wie sich das Verhältnis von Kommission, Ministerrat und Parlament gestalten wird, das könnte bei der Maastricht-Bevisions-konferenz der Staats- und Regierungschefs der EU 1996 - ÖsVer-reich ist dann hoffentlich mit von der Partie - beschlossen werden. Momentan, das jüngste Treffen zwischen Bundeskanzler Kohl und Präsident Mitterrand im Elsaß hat dies ebenso wie die jüngsten anti-europäischen Aussagen John Majors gezeigt, gibt es wenig europapohti-sche Visionen oder Vorstellungen von der konkreten Weiterentwicklung der Union.

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