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Verdammnis für Wähler

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Die Liberalen sind eine erst kürzlich zustande gekommene Vereinigung zweier bürgerlicher Parteien. Erstens, der Allgemeinen Zionisten — die alte Partei Weizmanns — heute von Goldmann geführt, die ursprünglich und zum Teil auch heute noch in Ländern wie Amerika und England, mit wohlhabenden Juden außerordentlich viel für die materielle und außenpolitische Förderung des jüdischen Nationalheims geleistet und in Israel sich mit den insbesondere „westliche” Intelligenzler repräsentierenden Progressiven (geführt von Pinchas Rosen) zur Liberalen Partei mit einem — wenigstens bei den jüngsten Wahlen aufscheinenden — Erfolg vereinigt haben. Sie treten im Inneren für eine Zurückdrängung sozialistischer „Totalität” und für eine Außenpolitik ein, welche Israel aus seiner derzeitigen Isolierung von den arabischen Ländern durch eine weniger markante Unterstützung zum Beispiel Frankreichs gegenüber Algerien in der UNO herauslösen soll.

Die extrem-nationalistische Cherut basiert auf den Traditionen der alten jüdischen Legion, die im ersten Welt- unter der, Führung Jabotinskys als „Brith Trumpeldor* als paramilitärische und faschistisch inklinierte Gruppe sowie als Revisionistische Partei etablierte. Aus ihr ging in der Zeit der offenen Kämpfe mit den Briten der „Irgun” hervor, den nach der Gründung des Staates Israel und seiner Armee die Regierung nur mit einigen Anstrengungen aufzulösen imstande war.

Die National-Religiöse Front besteht einerseits aus den Religiös-Zionistischen Misrachis, und der vor allem gewerkschaftlichen, religiösen Arbeitergruppe Hapoel Hamisrachi. Abgesehen von religiösen Fragen ist diese Partei die treueste Verbündete der Mapai.

Ihr stehen die streng orthodoxe Agudah Israel und deren proletarischer Partner Poale Agudah gegenüber, der es vor allem auf die Religion ankommt. So verlangt die Agudah, daß die Rechtsprechung in Israel, wie einst, nur durch Rabbiner erfolge, lehnt die Gleichberechtigung der Frauen ab und erstrebt faktisch eine Theokratie nach altem biblischem Vorbild.

Es gibt jedoch Gruppen mit noch strengerer Orthodoxie, wie die Natore Karta, welche den Staat Israel und die Verwendung des Hebräischen als Säkularsprache heftig ablehnen. Diese Gruppen, die sich insbesondere auf die lediglich aus religiösen Gründen nach Israel gekommenen Juden und die ,,Jeschiwe”-Schulen und -Kollegien stützen, haben der israelischen Polizei einige Arbeit am Wahltag verursacht,

als sie in der Nähe der Wahllokale alle jene mit Höllenfeuer und Verdammnis bedrohten, welche ihre Stimmen abgaben.

Auf ihre Weise lehnen die Kommunisten in Israel gleichfalls den Staat Israel ab. Sie betrachten die Staatsgründung als kaum mehr denn ein imperialistisches Manöver und daher den Staat nur als Rahmen für die Erfüllung ihrer spezifischen kommunistischen Aufgaben. Sie haben bei den jüngsten Wahlen ihre Propaganda besonders auf die arabischen Gegenden in Israel konzentriert und damit auch auf Grund der prekären Lage der Araber insbesondere in den Grenzgebieten, in denen angesichts der ge spannten äußeren Lage besondere Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen nötig sind, einige Erfolge erzielt. Hierzu kam weiter die antiisraelische Propaganda sowohl aus den arabischen Ländern als auch aus der Sowjetunion sowie die im Mittleren und Vorderen Orient durch Biserta verschärfte Lage.

Das war auch der Grund, warum die drei „proisraelischen” und mit der Mapai verbundenen arabischen Parteien, die durchaus arabische Interessen frei vertreten — Rückführung der Exilierten, materielle und kulturelle Gleichstellung mit den jüdischen Einwohnern und anderes — eines ihrer Mandate zweifellos an die KP verloren haben, die nun etwas mehr als vier Prozent der gesamten Stimmen erhalten hat.

Die Nation erst im Werden

Neben den starken politischen Traditionen und ethnischen Verschiedenheiten sind auch die sozial-strukturellen in Israel in Betracht zu ziehen: eine Landwirtschaft mit außerordentlich fein nuancierten Eigentums- und Arbeitsverhältnissen: der kollektivistische Sektor der Kibbuzim und Kwuzoth, verschiedene freigenossenschaftliche Formen, sowie die Selbständigen ohne und mit Lohnarbeitern. Gemeinwirtschaftliche und genossenschaftliche Betriebe in der Stadt sowie auf rein israelischen oder zum Teil auch ausländischen privaten Investitionen gegründete Unternehmungen neben solchen, welche nahezu ausschließlich zionistischen Organisationen im Ausland ihre Existenz verdanken.

Wahrscheinlich aber hat die so starke politische Aufgliederung vor allem ihre Ursache in der Tatsache, daß dieses Volk trotz seiner rund 4000 Jahre alten Geschichte sich nun erst am Anfang seiner wirklichen nationalen Verschmelzung befindet.

So stark das Zusammengehörigkeitsgefühl der Juden in Israel in den großen Gefahrenmomenten der letzten Jahre immer in Erscheinung getreten und so latent es ständig da ist, haben die Juden in ihren Vergangenheiten viel zu viel mit Politik zu tun gehabt, um noch der feinsten Graduierung ihres politischen Bewußtseins entraten zu wollen. So muß denn der Ausspruch Ben Gurions — daß das Wahlergebnis ein Unglück sei, als der eines Staatsmannes verstanden werden, welcher dem inneren geistigen Zusammenhalt seines Volkes die innerpolitische Struktur zu dessen voller Sicherung verschaffen möchte. Es sieht jedoch so aus, als ob es zu dieser nicht auf dem „einfachen”, sondern dem so oft für demokratische Entwicklungen so kompliziert-schwierigen Wege kommen sollte.

Nachdem Ben Gurion an jenem Morgen in Sde Boker das Wahlergebnis erfahren hatte, ging er über den Hof des Kibbutz zum Schulhaus hinüber, wo in einem Klassenzimmer 23 junge jüdische Burschen auf ihn warteten, die mit einer Ferienaktion aus Kanada zu Besuch gekommen waren. Als einige von ihnen den Wunsch äußerten, eines Tages nach Israel zu kommen, um sich dort niederzulassen, sagte Ben Gurion zu ihnen: „Dann müßt ihr aber jetzt schon von euren Eltern verlangen, daß sie euch Hebräisch lernen lassen. Um ein richtiger Jude zu sein, muß man Hebräisch können.” So scheint auch Ben Gurion das Ergebnis des 15. August bedingt und in Verbindung mit ganz anderen Faktoren des nationalen Schicksals seines Volkes zu sehen.

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