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Vergeßliche Wähler
Einen „Wahlkampf auf Sparflamme“ werde es im Herbst geben, erklärte Dr. Kreisky, nach dem ersten Schock über das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, das den Wählern dreier Wiener Wahlkreise Neuwahlen beschert. Und weiter, die SPD“ betrachte diese in Österreich erstmalige Nachwahl keineswegs als Testwahl, „obwohl ich glaube, daß die SPÖ kein Mandat verlieren wird“.
Einen „Wahlkampf auf Sparflamme“ werde es im Herbst geben, erklärte Dr. Kreisky, nach dem ersten Schock über das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, das den Wählern dreier Wiener Wahlkreise Neuwahlen beschert. Und weiter, die SPD“ betrachte diese in Österreich erstmalige Nachwahl keineswegs als Testwahl, „obwohl ich glaube, daß die SPÖ kein Mandat verlieren wird“.
Dr. Kreisky spielt also weiterhin die von ihm gewohnte Rolle des Unterspielens und des Sich-nicht-nervös-machen-Lassens, eine Rolle, in der er vielen ÖVP-Spitzenpolitikern um Längen voraus ist. Doch feststeht, daß diese Wahl die erste sich bietende Gelgenheit ist, die bisherige Politik der sozialistischen Minderheitsregierung einer kritischen Beurteilung zu unterziehen. Da nützen Dr. Kreisky Ausflüchte nichts („Wenn meine Freunde etwas versprochen haben, ich aber sage euch...“), wenn die Preise munter steigen, die Pensionen nicht gehörig erhöht, die Sondersteuern verlängert, die Bauern zur Ader gelassen und das Budget ein schwer defizitäres zu werden droht — spätestens im September wird sich zeigen, wie vergeßlich der Wähler wirklich ist. Dr. Kreiskys und damit der SPÖ Bereitschaft zum völligen Verzicht auf Plakatwerbung und zu einer eingeschränkten TV-Werbung läßt darauf schließen, daß die SPÖ auch bei den im Herbst stattfindenden Nachwahlen jene Taktik anzuwenden gedenkt, die sie schon bisher bei mehreren Wahlen — so den letzten Nationalrats- und Gemeinderatswahlen in Wien — erfolgreich angewendet hat: nämlich die des Erzeu-gens von Interesselosigkeit bei den Wählern, was sich in einer niedrigen Wahlbeteiligung äußert, die bekanntlich immer noch auf Kosten der ÖVP gegangen ist. Denn der sozialistische Wähler ist erheblich disziplinierter.
Aber auch der ÖVP ist offensichtlich nicht wohl zumute; bringt diese Nachwahl zweifellos viele Chancen, birgt sie jedoch auch große Risken in sich. Wird es der ÖVP gelangen, neuerlieh Millionen von Schillingen für diesen Wahlkampf lockerzumachen, wird sie neuerlich die vielen tausend Mitarbeiter, die für eine derartige Wahl nötig werden, auf die Beine bringen?
An einer möglichen Begrenzung der Wahlkampfkosten scheint auch die ÖVP interessiert zu sein. ÖVP-Generalsekretär Dr. Schleinzer beeilte sich zu versichern, daß auch die ÖVP der Meinung sei, daß dieser Wahlkampf in Wien möglichst sparsam geführt werden sollte. Die Volkspartei werde sich in erster Linie auf den persönlichen (weil kostenlosen) Einsatz ihrer Mandatare und auf diejenigen Informationen konzentrieren, mit denen sie über Presse, Hörfunk und Fernsehen an die Wähler herankommen kann. Sollte es der ÖVP gelingen, gegenüber dem 1. März 1970 ein zusätzliches Mandat zu gewinnen, würde sich ein völlig neues Biild der politischen Landschaft ergeben: Die sozialistische Mdnderheitsregierung wäre mit einem Vorsprung von lediglich einem Mandat gegenüber der ÖVP kaum noch regierungsfähig. Die Chancen dazu stehen nicht schlecht: Im Wahlkreis l könnte der ÖVP bei großen Anstrengungen der Gewinn eines weiteren Mandates gelingen. Damit wäre auch sichergestellt, daß der Steuerfachmann DDr. Neuner, der für den ÖVP-Klub eine wesentliche Verstärkung darstellt und dessen bisheriges Restmandat im Wahlkreis 3 bei der letzten Wahl mit lediglich 73 Stimmen gepolstert war, neuerlich in das Hohe Haus am Ring einziehen würde.
Herumgerätselt wird zur Zeit auch noch, ob Dr. Josef Klaus auf sein Abgeordnetenmandat verzichten wird bzw. überhaupt kann, was von Juristen bestritten wird. Sollte Doktor Klaus dennoch ausscheiden, so rechnet man mit einem Verzicht des Wiener Stadtrates Dr. Krasser, womit der Weg für den ambitionierten und seit längerer Zeit auf seine Chance wartenden 32jährigen Rechtsanwalt Dr. Heinrich Wille frei wäre.
Bei der SPÖ scheint Bürgermeister Marek durch die Wahl einen letzten Aufschub für sein Ausscheiden aus der Politik erfahren zu haben. Unruhe vor den Wahlen in den eigenen Reihen wäre das letzte, was die SPÖ gebrauchen könnte. Das sieht auch Vizebürgermeister Slavik ein, der sich nach dem Beschluß der Altersklausel durch den letzten SPÖ-Parteitag bereits als sicherer Bürgermeister von Wien sieht. Das größte Interesse kann man jedoch dem Abschneiden der Freiheitlichen Partei, deren Einspruch ja zu diesen Neuwahlen führte, entgegenbringen. Wird sie aus dieser formaljuristischen Parforcetour Gewinn erzielen oder wird sie dadurch nur noch weiter in der Gunst der Wähler sinken, was zu einer gefährlichen Dezimierung der freiheitlichen Parlamentsfraktion führen könnte?
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