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Verpfandung der Souveränität

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Das Schwellenland Mexiko versuchte den Sprung in die Erste Welt schaffen -jetzt entpuppte sich dies als Chimäre.

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Das Schwellenland Mexiko versuchte den Sprung in die Erste Welt schaffen -jetzt entpuppte sich dies als Chimäre.

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Im vergangenen Jahr schien Mexiko am Höhepunkt seines Entwicklungserfolges zu stehen: Unter Präsident Carlos Salinas de Gor-tari durfte Mexiko in die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA einrücken, wurde es in die OECD-Gruppe der führenden Industriestaaten aufgenommen, glänzte es als Gastgeber für die Jahrestagung der Interamerikanischen Entwicklungsbank, und hatte es die Inflation auf unter zehn Prozent gedrückt. Mexiko, so glaubt man, hatte den Sprung von der Dritten in die Erste Welt geschafft. Daran änderte der Indianeraufstand im fernen Chiapas wenig, denn er fand in Europa mehr Interesse als in Mexiko-Stadt, wo man sich um die entlegene Provinz nie gekümmert hatte.

Doch dann rüttelten einige politische Morde an der Fassade des politischen Systems von Mexiko, dessen

PRI-Staatspartei seit 1929 jede Wahl gewonnen hatte und dies auch mit harter Hand im August 1994 schaffte. Der bruchlose Übergang zur neuen .Präsidentschaft von Ernesto Zedillo, der am 1. Dezember die Staatsgeschäfte übernahm und Kontinuität versprach, gelang.

Aber ihn sollte die Hybris ereilen: noch vor Weihnachten begann der überbewertete Peso zu wackeln; die Freigabe der Währung und die plötzliche Abwertung brachte das gesamte Stabilitätsgebäude ins Wanken. Denn die internationalen Finanzanleger, die Mexikos unrealistisch hohe Zinsen für kurzfristige Staatsanleihen („Tesobonos”) ausgenützt hatten, begannen zu verkaufen.

Im Jänner spitzten sich die Dinge derart zu, daß Mexiko plötzlich Zahlungsunfähigkeit drohte. Zur Rettung eilte Präsident Bill Clinton, nicht zuletzt, weil auch US-Pensionsversicherungen in Mexiko angelegt hatten, und ein mexikanischer Zusammenbruch schwere Auswirkungen auf US-Bürger gehabt hätte.

Clinton zimmerte innerhalb weniger Stunden ein 50-Milliarden-Dollar-Rettungspaket mit eigener Finanzierung und Zahlungen wie Kreditgarantien der internationalen

Finanzierungsinstitute. Und bewahrte damit Mexiko vor dem Absturz. Jetzt entpuppt sich Mexikos Anspruch, Erste Welt zu sein, als Chimäre. Die Scheinblüte war größtenteils mit internationalem Spekulationsgeld finanziert worden. Gewisse WirtschaftsdaHen (in Mexiko seit je undurchsichtig) ~ wie zum ßeispiel die Devisenreserven - waren manipuliert worden.

Seit Beginn der neunziger Jahre wird in Lateinamerika über den wahren Preis des neoliberalen Umbaus debattiert. Auch Mexiko machte die notwendigen wirtschaftlichen Zugeständnisse, beließ jedoch die Rhetorik in der Tradition des Nationalismus mit seiner hohen Sensibilität hinsichtlich der Souveränität. Die Widersprüche, die daraus erwuchsen, mußten jetzt mit der Bettelei um Notfinanzierung bezahlt werden.

Nach der Clinton-Rettungsaktion bleibt davon aber nicht mehr viel übrig. Zwar mußte Präsident Zedillo formaliter lediglich ein verschärftes IMF-Memorandum schreiben und telefonische Zusagen an Clinton machen, mehr für die Drogenbekämpfung und die Migrationskontrolle zu tun, aber auch Mexikos Erdölverkäufe sind für den Fall erneuter Zahlungsunfähigkeit an die USA verpfändet. Was die USA jedoch wirklich wünschen, ist das Schlachten einer heiligen Kuh des mexikanischen Nationalismus: Die Öffnung und Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns Pemex, der seit März 1938 beharrlich jede nordamerikanische Beteiligung draußengehalten hat.

Eine weitere Souveränitätsbuße wird Mexikos traditionell gute Beziehungen, zu Fidel Castro treffen.

Washington, wo jetzt die Republikaner im Kongreß die außenpolitische Debatte dominieren, wird dies nicht mehr hinnehmen. Schon gar nicht im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen, wo jüngst mexikanische Firmen kubanische Offerten bei Erdölraffinerie, Textilien, Lebensmittelverarbeitung und Telefon wahrnehmen. So wird Mexikos Domos-Gruppe in den nächsten zehn Jahren eine Milliarde Dollar für die Erneuerung des kubanischen Telefonnetzes anlegen. Und dieses war - vor 1959 - eine Domäne der USA.

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