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Immer schwieriger wird die Lage durch eine bedenkliche Bevölkerungsbewegung gestaltet. In den meisten Gebieten der Südsee und Australiens ist ein unaufhaltsamer Rückgang der Eingeborenenbevölkerung festzustellen. Die Marquesas-Inseln zum Beispiel haben 1850 noch 15.000 Einwohner, 1930 waren es nur mehr 1500, von denen die wenigsten noch reine Mar-quesaner waren. (Letzte Ziffern fehlen.) Die Eingeborenenzabi von Hawai sank von 1 833 bis 1936 von 1 3 0.000 auf 2 1.600. In Neu-kaledonien lebten bei der Volkszählung 1885 noch 37.934 Eingeborene, die sich in den folgenden 30 Jahren um rund 11.000 verminderten. Auch die gesetzlichen Maßnahmen der Kolonialmächte gegen blutige Stammesfehden, Kopfjäger, Blutrache und Kindertötung, für Förderung der Hygiene und die Maßnahmen gegen die Kindersterblichkeit (bis 6 0 Prozent im ersten Lebensjahr) haben den Bevölkerungsrückgang wohl verlangsamt und eingedämmt, ohne ihn zum Stillstand gebracht zu haben. Nur in wenigen Gebieten gelang dies oder wurde ein schwaches Wachstum erreicht. Die wirtschaftlichen Änderungen haben auch eine weitgehende Auswanderung der Eingeborenenbevölkerung auf andere Inselgruppen mit sich gebracht, wo ihnen bessere Lebensbedingungen geboten werden.

Die' Inselflur Ozeanien wird immer mehr von Asiaten und Europäern bevölkert. Auf Hawai leben neben den 21.594 Eingeborenen 96.000 Weiße, 53.610 Philippinos und 184.000 Asiaten; auf den Marianen 1936 neben den 4139 Eingeborenen 21.887 Japaner. Im ganzen machen die Asiaten in Ozeanien bereits 30 Prozent derBevölkerung aus. Es gibt infolgedessen kaum ein Apostolisches Vikariat, das nicht eigene Anstalten, Schulen und Internate für Asiaten unterhält. Dabei wächst der wirtschaftliche Einfluß der Asiaten ständig (Kaufleute und Plantagenbesitzer). Die Entwicklung geht scheinbar unaufhaltsam dahin, daß Ozeanien in absehbarer. Zeit verasiatisiert sein wird.

Durch den Zuzug von Europäern und Asiaten ist eine bunte Blutmischung aller Rassen und Grade in Ozeanien im Gange. Die rechtliche, soziale und wirtschaftliche Stellung der Mischlinge ist in den einzelnen Kolonial- und Mandatsgebieten verschieden. In den französischen Kolonien sind sie französische Untertanen, auf Tahiti Staatsbürger, während sie in den anderen Gebieten als Eingeborene, für sie aber stellenweise Sonderbestimmungen gelten. Doch dringen die Mischlinge mit verstärktem Druck auf Höherstellung den Eingeborenen gegenüber und auf Gleichstellung mit den Weißen. Das Problem beschäftigt bereits die UNO.

Der letzte Krieg hat die erhöhte Aufmerksamkeit der Missionswissenschaft auch auf die religiösen Schwärm-ge i s terbewegungen und das einheimische Propheten-tum gelenkt. Diese Erscheinungen gehören ja wohl zum Bestand der Missionsgeschichte, denn in allen Krisenzeiten, auch vor dem Zusammentreffen der primitiven Welt mit der westlichen Kultur und dem Christentum, treten Prophetenbewegungen bei Naturvölkern auf, hervorgerufen durch den Zusammenbruch des Glaubens an die Gültigkeit der alten Anschauungen und Sitten, und durch die Erschütterung des Sicherheitsgefühls des Primitiven; er verliert den Halt und sucht nach neuen Stützen. Das Prophetentum hat sich in den letzten Jahrzehnten in allen Teilen der Südsee ausgebreitet. Da war — um mir die wichtigsten zu nennen — die Prophetenbewegung auf den Neu-Hebriden (1923), die Weltuntergangsbewegung (1923) und ähnliche Erscheinungen, die sich an die Namen knüpften: Schwarzer König (1935), Mambu (1937) und Sanop (1939). Während des zweiten Weltkrieges kehrten sich die stürmischen Lehren dieser Wahrsager und Propheten nicht selten gegen die christlichen Missionen. Alte religiöse Anschauungen, besonders der Ahnenkult, und christlich - chiliastische Hoffnungen verbanden sich mit der Ablehnung des Europäertums. Bei aller Verschiedenheit hatten di ese Phänomen folgende Züge gemeinsam: die Propheten künden eine bessere neue Zeit an, sagen voraus, daß ein Schiff mit Vertretern ihrer Ahnen an Bord kommen wird, welches sie mit Lebensmitteln und allen Gütern, die bisher nur den Europäern zugänglich waren, beschenken wird. Deshalb fordern sie, daß im Hinblick auf diese große Geschehen alle Feldarbeit einzustellen sei.

Der erfahrene Kenner der Südseewelt sieht in diesen Erscheinungen nichts Außergewöhnliches, wenn sie sich auf einen kleinen Kreis beschränken. Im letzten Krieg jedoch wurden sie ein politisches Element. Die europäischen Kolonialmächte schenkten ihnen nur dann Beachtung, wenn Sicherheit und Ordnung gefährdet wurden, Japan hingegen, dessen Expansionsdrang auf die Südsee zielte, verfolgte vor dem zweiten Weltkrieg genau diese Bewegungen und sammelte sogar die einschlägigen Berichte aus den europäischen Zeitschriften. Als im Verlauf der Kriegshandlungen Inseln Ozeaniens von japanischen Truppen besetzt wurden, gaben sich die Okkupanten als die erwarteten Abgesandten der Ahnen aus und wußten durch massenhaftes Verschleudern der den Farmern und Missionsniederlassungen abgenommenen Gebrauchsgegenstände die Eingeborenen zu gewinnen.

1919 hatte auch die buddhistische Hong-wan-ji-Sekte auf Saipan, auf den Marianen und Karolinen zu werben begonnen, aber eine wenig erfolgreiche Tätigkeit entfaltet. Allen diesen unwirklichen Träumen bereitete der Kriegsausgang ein jähes Ende. Einen ganz anderen Faktor fördert die fortschreitende wirtschaftliche Erschließung und die damit gegebene Vermassung der Bevölkerung durch einen Abbau der alten Kultur und des echten religiösen Besitzes, überall dort, wo farbige Arbeiter in Lagern oder Großunternehmungen, oft ohne Frauen, zusammenleben müssen, sind sie den radikalen Ide en leicht zugänglich und verfallen einem krassen Materialismus. Mit der Einbeziehung des pazifischen Raumes in die Weltwirtschaft und Weltpolitik gewinnt die Südsee ein neues Gesicht, das starke Züge der säkularisierten Welt trägt. Eine noch nicht abmeßbare Entwicklung scheint angebahnt.

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