7094171-1994_40_08.jpg
Digital In Arbeit

Vertrackter Wählerwille

Werbung
Werbung
Werbung

Das Tauziehen um den Zeitpunkt der EU-Ratifizierung, das Hinauszögem der Bundesstaatsreform: zwei Beispiele für gewichtige Materien, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig ist. Ein Talon, den sich die Sozialdemokraten bewußt für die Zeit nach dem 9. Oktober aufgehoben haben, um nicht ausgespielt werden zu können.

Es war die FURCHE, die im Kärntner Zusammenhang das Thema mitsamt der Macht des Drittels zuerst angesprochen hat. Als logisches Wahlziel der Opposition, die Zwei- Drittel-Mehrheit der Koalitionsparteien zu brechen, ebenso als selbstverständliche Zielsetzung von SPÖ und ÖVP, diese im Interesse politischer Stabilität zu erhalten.

Sollten die Koalitionsparteien am 9. Oktober dramatische Verluste hinnehmen müssen, wäre es sogar denkbar, daß ihr gemeinsamer Stimmenanteil unter die Zwei-Drittel- Grenze sinkt. Trotzdem könnte es sich diesmal noch knapp — auch wenn das Liberale Forum die Vier- Prozent Hürde nimmt - für eine Zwei-Drittel-Mehrheit an Mandaten ausgehen. Nur für den Fall der Fortsetzung der großen Koalition ergibt das weiterhin noch relativ stabile und halbwegs berechenbare politische Verhältnisse.

Und es sind nicht nur hehre staatspolitische Überlegungen, die die Sozialdemokraten an einer Weiterführung des Regierungsbündnissesmit der Volkspartei festhalten lasseft. Da sich bei gröberen SP-Verlusten keine andere Koalitionsform man; datsmäßig rechnen dürfte, die SPÖ aber trotzdem die stimmen- und mandatsstärkste bleiben wird, bleibt es beim Führungsanspruch im Rahmen einer großen Koalition.

Rechnerisch hat demgegenüber die Volkspartei - selbst wenn sie gewaltig Haare lassen müßte - die weitaus besseren Karten in der Hand. Drei Möglichkeiten, hinter denen drei grundverschiedene politische Konzepte stehen: das großkoalitionä- re, das der sogenannten bürgerlichen Wende mit einem Koalitionspartner FPÖ, mit dem die SPÖ auf die Oppositionsbänke verwiesen würde; schließlich das, nach empfindlichen Verlusten selbst in Opposition zu gehen. Und das alles könnte unter Berufung auf den Wählenyillen nachher möglich sein?

Daß beispielsweise nicht wenige Gefallen daran finden werden, den Koalitionsparteien den Haider-Stachel tiefer ins Fleisch zu drücken, heißt überhaupt nicht, daß damit der Wunsch nach einer Regierungsbeteiligung dieser Partei verbunden sein muß. Im Gegenteil: kein emstzunehmender demoskopischer Befund, der eine schwarz-blaue Koalition nicht zu den ungewolltesten Regierungskonstellationen zählt. Haushoch voran demgegenüber die Präferenz für eine Zusammenarbeit auf breiter Basis, auch wenn sie noch so hergebeutelt wird.

Eine Verständigung zwischen SPÖ und ÖVP muß es nämlich — unter welchen Vorzeichen auch immer - geben. Denn keine wichtige Materie - und da geht es um den Stellenwert der Zwei-Drittel-Mehrheit im parlamentarischen Entscheidungsprozeß — kann ohne Einbindung der einenoder der anderen Partei einer Lösung zugeführt werden.

Das alles spricht — erst recht vor dem Hintergrund der europäischen Herausforderung, in der sich Österreich in den nächsten Jahren zu bewähren hat - für den Weiterbestand der großen Koalition und gegen alle Sandkastenüberlegungen, die von einer viel zu schwachen Minderheitsregierung der SPÖ bis zu einer brustschwachen bürgerlichen Koalition reichen, bei der - nach den Kärntner Erlebnissen - der Schwanz mit dem Hund wedeln würde. Aber es sollte nicht überraschen, wenn der FPÖ- Obmann vielleicht sogar noch am Wahlabend — und in Abkehr zu bisherigen Langzeitstrategien — mit einem solchen Angebot an die Volkspartei herausrückt.

Man muß darauf vertrauen, daß ‘ die Großkoalitionäre in der SPÖ wie in der ÖVP auch dann zu ihrem Wort und zur Zusammenarbeit stehen, wenn sie am 9. Oktober vom Wähler ordentlich zerzaust werden, wenn sie unter ihrem Wert geschlagen werden.

Am Wahlabend zählt nur das bewußte Kreuz auf dem Stimmzettel, nicht das, was ihm an - hoffentlich — komplexen Überlegungen vorausgegangen ist. Besser ein Nachdenkzettel, der auch die bescheidenen Möglichkeiten des Systems der Vorzugsstimmen nützt, als jeder Denkzettel, der aus einer diffusen Stimmungslage heraus verteilt wird.

Stimmungslagen helfen in dieser haarigen Situation nicht weiter. Die Welt- und Österreich-Sicht der wahlwerbenden Parteien fordert - eigentlich nach langer Zeit wieder einmal - Weltanschauung heraus: zur bewußten Entscheidung, wie diese politische Welt in den nächsten vier Jahren aussehen soll.

Die Wähler sind am Wort - am vorerst vorletzten. Ein gewichtiges Wörtchen wird dann, so wie sich die Dinge abzeichnen, dem Bundespräsidenten zufallen. Auch für ihn sollte der vertrackte Wählerwille deutlich erkennbar gemacht werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung