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Fidesz betreibt seit 2010 eine autoritäre und auf völkischem Mythen rekurrierende Umgestaltung Ungarns. Zum Stand der antisemitischen Dinge nach den Wahlen.

Ungarn belegt bei vergleichenden Länderstudien zur Verbreitung von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus regelmäßig Spitzenwerte: 62 Prozent glauben, Roma seien "kriminell veranlagt“ und über zwei Drittel halten Homosexualität für unmoralisch. 46 Prozent machen "die Juden“ für die aktuelle Finanzkrise verantwortlich. Rund 59 Prozent finden den Ausländeranteil von 3,1 Prozent in Ungarn zu hoch und knapp 45 Prozent fühlen sich angesichts solch einer imaginierten Masseneinwanderung als "Fremde im eigenen Land“. So ist es keine große Überraschung, dass Ministerpräsident Viktor Orbán auch den Wahlgang vergangenen Sonntag für sich entscheiden konnte und die rechtsradikale Oppositionspartei Jobbik, die eine entscheidende Rolle für das politische Klima in Ungarn spielt, 21 Prozent der Stimmen erhielt.

Orbán inszeniert sich als Anwalt der Bürger

Fidesz, die Schwesterpartei der österreichischen Konservativen, betrieb mit seiner Zwei-Drittel-Mehrheit in den vergangenen Jahren eine autoritäre und auf völkische Mythen rekurrierende Umgestaltung der Gesellschaft. Die Erfolge von Fidesz und Jobbik sind das Ergebnis der Zunahme völkischen, nationalistischen und autoritären Denkens seit Anfang der 1990er-Jahre. Davon ausgehend betrieb die Orbán-Regierung mal in Kooperation mit, mal in Konkurrenz zu Jobbik, eine Täter-Opfer-Umkehr hinsichtlich der massenhaften Beteiligung der ungarischen Bevölkerung am magyarischen Protofaschismus des bis 1944 autoritär regierenden "Reichsverwesers“ Miklós Horthy und an der anschließenden nationalsozialistischen Herrschaft. Sie setzte auf außenpolitischen Revanchismus und Irredentismus sowie Demokratieabbau und eine volksgemeinschaftliche Beruhigung sozialer Konflikte. Während sich Orbán in klassisch populistischer Manier als "Anwalt der kleinen Leute“ inszeniert, forciert er gleichzeitig eine antigewerkschaftliche Linie. Auch in Publikationen der Fidesz findet sich Antisemitisches; Vertreter der Regierungspartei beziehen sich immer wieder positiv auf Miklós Horthy. Doch die treibende Kraft bei der offenen Hetze gegen Juden bleibt Jobbik, die viel weniger in der Tradition des ungarischen Protofaschismus steht, sondern in jener der Pfeilkreuzler, also der ungarischen Nationalsozialisten.

Es ist wichtig, Fidesz und die ungarischen Nazis in ihrer Wechselwirkung zu begreifen, bei der die Jobbik die Regierung in vielen Punkten vor sich hertreibt und als Stichwortgeber für die nationalistisch-völkische Formierung fungiert, während Fidesz sich freut, dass eine Partei existiert, die das ausspricht, was man aus einer Rücksichtnahme gegenüber den europäischen Partnern nicht offen artikulieren mag. Orbán hatte sich bereits schützend vor den Anfang 2012 verstorbenen Antisemiten und Schriftsteller István Csurka gestellt. Auf Kritik an Csurka, der sich in einem jahrelangen Kreuzzug gegen die "Hegemonie des Judentums“ sah, entgegnete Orbán, es sei "Teil der ungarischen Polit-Folklore, dass die Linken jeden Nicht-Linken zum Antisemiten erklären“.

Die EU sei eine "verjudete Gemeinschaft“

Neben der offenen Hetze gegen Juden, Roma und Homosexuelle, die regelmäßig zu gewalttätigen, bei Roma auch tödlichen Angriffen führt, ziehen Jobbik-Politiker vollkommen unverklausuliert gegen Israel zu Felde. Parteichef Gábor Vona verglich den Erfolg seiner Partei mit dem "Triumph palästinensischer Partisanen gegen israelische Helikopter“ und die Spitzenkandidatin für die Europaparlamentswahlen 2009, Krisztina Morvai, attackierte Israelis als "verlauste, dreckige Mörder“, denen sie die Hamas an den Hals wünscht, und empfahl den "liberal-bolschewistischen Zionisten“ in Ungarn, sich zu überlegen, "wohin sie fliehen und wo sie sich verstecken“ werden. Auch in den Auseinandersetzungen Ungarns mit Brüssel schlagen offener Antisemitismus und der Hass auf Israel immer wieder durch, etwa wenn in einer Fidesz-nahen Zeitung dem "Imperium Europa“ ein "Blutritualmord am Nationalstaat“ attestiert wird, oder wenn auf gemeinsamen Demonstrationen von Jobbik, Fidesz und anderen rechtsgerichteten Gruppierungen die EU als "verjudete Gemeinschaft“ und "zionistisch fremdbestimmt“ attackiert wird oder von einer "Achse Tel Aviv-New York-Brüssel“ die Rede ist. Im Rahmen eines rassentheologischen "Turanismus“, der zum Leitbild der gen Osten orientierten neuen Außenpolitik wurde, werden die Gemeinsamkeiten der Ungarn mit dem Iran beschworen, was insbesondere bei der rechtsradikalen Konkurrenz der Fidesz zu einer engen Kooperation mit dem Ajatollah-Regime in Teheran geführt hat. Das Zusammenspiel von Fidesz und Jobbik zeigte sich auch bei der Rehabilitierung des Schriftstellers und Pfeilkreuzlers József Nyirö 2012. An dessen Ehrung nahm neben der Jobbik-Führung auch Parlamentspräsident László Kövér teil. Bereits zwei Jahre zuvor hatten Fidesz-Bildungspolitiker Nyirö wieder auf die Lehrpläne der ungarischen Schulen gesetzt und damit einen Herzenswunsch der Jobbik erfüllt.

Fidesz denkt gar nicht daran, eine Trennungslinie zwischen ihrem nationalistisch-autoritären Rechtskonservativismus und der Jobbik zu ziehen. Das muss einen außenpolitischen Pragmatismus gegenüber internationalen Kreditgebern nicht ausschließen. Der würde allerdings nur den Rahmen dafür liefern, die völkisch-nationalistische Mobilmachung und die Aushebelung rechtsstaatlicher Vermittlungsinstanzen in Ungarn weiterhin ungestört vortreiben zu können.

Der Autor ist Lehrbeauftragter an der Universität Wien

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