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Vietnamlösung gesucht!

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In Vietnam geht es nicht um Vietnam, sondern um eine Auseinandersetzung zwischen den USA und China. Grob gesagt, basiert die amerikanische Vietnampolitik auf der Überzeugung, daß ein „Verlust“ Südvietnams ganz Südostasien den Chinesen ausliefern würde. Der damit verbundene Prestigeverlust für die USA würde nach dieser Annahme weiter unübersehbare Folgen in allen Entwicklungsländern zeitigen, dort das Prestige Chinas stärken.

Vergleicht man nun die heutige Situation in Vietnam mit derjenigen von 1854, dann muß man feststellen, daß diese amerikanische Chinapolitik bisher weitgehend das Gegenteil dessen erreichte, was sie erreichen wollte. Sie hat die „neutralistische“ Koexistenzpolitik des prosowjetischen Flügels um Ho Chi Mlnli in Hanoi desavouiert, dem prochine-sischen Flügel den Rücken gestärkt und Hanoi an die Seite Pekings getrieben. Da die Sowjetunion — wie Harriman nach seiinen Gesprächen mit Kossygin soeben bestätigte — eine friedliche Regelung des Vietnamkonflikts wünscht (und immer wünschte), konnten der Vietkong und sein politisches Organ, die „Nationale Befreiungsfront“, kaum auf die Sowjetunion zählen und wurden ebenfalls an die Seite Pekings getrieben. Vieles spricht dafür, daß heute die Sowjetunion in Hanoi nicht mehr über genügend Einfluß verfügt, um dieses zu veranlassen, einem Waffenstillstand und Verhandlungen zuzustimmen. Vieles spricht auch dafür, daß Hanoi selbst beim Vietkong und der „Nationalen Befreiungsfront“ nicht mehr über genügend Einfluß verfügt, um diese zu veranlassen, den Kampf einzustellen. Das aber bedeutet, daß China es heute weitgehend in der Hand hat, eine Lösung des Vietnamkonflikts auf diplomatischem Wege entweder zu ermöglichen oder zu sabotieren.

Das Problem einer Lösung des Vietnamkonflikts besteht darin, daß ein Weg gefunden werden muß, der einerseits China veranlassen könnte, seine Hand zu einer solchen Lösung zu bieten, und der anderseits es den USA ermöglicht, ihr Gesicht und ihr Prestige zu wahren. Denn weder ist eine dauerhafte Vietnamlösung denkbar ohne chinesische Zustimmung noch ist eine Lösung denkbar, die einer Kapitulation der USA gleichkäme.

Die Lösungsutopie, die hier in ihren Umrissen gezeichnet werden soll, würde von den USA eine eigentliche „Umkehr“ in Sachen Chinapolitik verlangen, eine Umkehr freilich, die früher oder später ohnehin vollzogen werden muß. Die USA haben durch ihre weitgehend emotionell bedingte Nichtanerkennung Chinas den chinesischen Nationalstolz auf gefährliche Weise verletzt und so dazu beigetragen, China in eine Politik hineinzutreiben, die ihrerseits emotionell und ideologisch bestimmt ist und das wahre Wesen der USA — die ja in Vietnam weder eine kolonialistische noch eine imperialistische Politik verfolgen — zu verkennen.

Dieser Teufelskreis, der die Welt an den Abgrund eines dritten Weltkrieges zu führen droht, kann nur durchbrochen werden durch eine Uberwindung des amerikanischen ..China-Traumas“, und auf dieser — vorläufigen — Utopie basiert der folgende Vorschlag für eine Lösung der Vietnamkrise: Die USA bieten Peking die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Zustimmung Amerikas zur Aufnahme Pekings in die UNO an. (Nach Andre Malraux, der soeben mit Mao gesprochen hat, wäre Peking immer noch bereit, der UNO beizutreten, aber nicht mehr lange.) Die Verwirklichung dieses Angebots wird abhängig gemacht von der Bereitschaft Pekings, seinen Einfluß in Hanoi und beim Vietkong geltend zu machen, um diese zu einem Waffenstillstand und zur Aufnahme von Verhandlungen zu bewegen, sowie vom Erfolg dieser Verhandlungen. Die USA erklären sich weiter bereit, ihre Truppen sukzessive im Laufe der kommenden Jahre aus Südvietnam zurückzuziehen, unter der Bedingung, daß die Unabhängigkeit Südvietnams — und später ganz Vietnams — durch die an den Verhandlungen teilnehmenden Mächte garantiert wird. Der Vietkong verpflichtet sich, seine Waffen der UNO abzuliefern. Die „Nationale Befreiungsfront“ verpflichtet sich, die Regierung in Saigon als legitime Regierung anzuerkennen. Moskau und Peking nehmen mit Saigon diplomatische Beziehungen auf. Die Regierung in Saigon verpflichtet sich, keinerlei Repressalien gegen Vietkong-Kämpfer und gegen die „Nationale Befreiungsfront“ zu ergreifen. Saigon anerkennt weiter die „Nationale Befreiungsfront“ als politische Partei, die zu den Parlamentswahlen zugelassen wird. Diese Wahlen finden ein bis zwei Jahre nach Abschluß der Verhandlungen statt Sie werden von einer UNO-Kommis-sion überwacht werden. Saigon verpflichtet sich weiter, sogleich nach Abschluß der Friedensverhandlungen mit Hanoi Kontakt aufzunehmen, um im Rahmen eines Wirtschaftsabkommens Nordvietnam mit dem nötigen Reis zu versorgen. (Südvietnam ist die Ernährungsbasis Nordvietnams.) Nach erfolgten Wahlen in Südvietnam setzt sich die aus diesen Wahlen hervorgegangene Regierung mit Hanoi in Verbindung, um unter dem Vorsitz eines Vertreters des UNO-Generalsekretärs Besprechungen über die Vorbereitung allgemeiner, freier gesamtvietnamesischer Wahlen aufzunehmen. Falls diese Besprechungen zu einem Erfolg führen, finden die Wahlen unter der Aufsicht der UNO statt. Die Teilnehmer an den Friedensverhandlungen verpflichten sich, das Ergebnis dieser Wahlen zu respektieren.

Schließlich wiederholen die USA das Angebot Präsident Johnsons, 1 Milliarde Dollar zur Entwicklung Südostasiens zur Verfügung zu stellen. Die anderen Teilnehmer an den Verhandlungen werden aufgefordert, sich an dem Entwicklungsprojekt, dessen Realisierung die UNO übernimmt, zu beteiligen.

Soweit die Umrisse dieser Lösungsutopie. Niemand wird behaupten, sie sei ideal. Aber ideale Lösungen gibt es in dieser beinahe ausweglosen Situation ohnehin nicht.

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