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Volkspartei 1962

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Für nicht wenige Wähler hat der Wahlakt die gleiche Bedeutung wie ein Kaufakt. Die „Ware“ Partei wird, angesichts eines reichhaltigen Angebotes anderer Parteien, jeweils auf den höchstpersönlichen Nutzen hin, den sie dem prüfenden Wähler zu bieten verspricht, analysiert. Auch die Österreichische Volkspartei kann davon nicht ausgehen, daß sie lediglich auf Grund von Tradition, aus Gesinnung allein und ohne Prüfung ihrer Qualität, gewählt wird.

Was ist nun die ÖVP heute, ihrem Wesen nach und in der Art, wie sie sicher derzeit Millionen von Wählern anbietet und darbietet?

Man kann gegen diese Frage anführen, daß die Volkspartei nun doch genügend bekannt sei und zumindest für die Altwähler kaum noch einer Vorstellung bedürfe. Nun ist aber jede Partei, sogar eine Staatspartei, ein dynamischer Körper und von gesellschaftlichen wie ökonomischen Prozessen bestimmt. Die ÖVP kann daher heute nicht mehr das sein, was sie im Ursprung gewesen ist; sie mußte sich aus einer sachgesetzlichen Notwendigkeit heraus weiterentwickeln; sie unterliegt, wie jede andere Partei, dem Prozeß der Wandlung, der Reifung oder auch der Alterung.

Im Ursprung, in ihrer „Urzeit“, war die ÖVP weitgehend von ihrem Widerspruch gegenüber dem abgetretenen NS-Regime bestimmt. Zudem kam von Frankreich her der Ruf der christlichen Demokraten. Das Vorbild, welches das MRP gab, beeinflußte vor allem die jungen Akademiker unter ihren Gründern (Hurdes). Die besondere Ausgangslage von 1945 wies der ÖVP jedoch auch noch andere Aufgaben zu: Sammlung aller jener Kräfte, welche rechts vom Sozialismus standen, unabhängig von ihrer damaligen spezifischen Weltanschauung. Zu allem kam noch, daß die ÖVP im Laufe der nächsten Jahre eine Reihe von Alibimitgliedern aufnahm, Personen, die durch einen besonders nachdrücklichen Einsatz in der Partei ihre Zugehörigkeit zu einer anderen Partei vergessen machen wollten. Das „Christliche“ war Sammeletikette für ehr unterschiedliche Gesinnungen, für nicht wenige eine Flucht-Weltanschauung. In ihrem Kern war die ÖVP der ersten Stunde eine Weltanschauungspartei, obwohl sie von allem Anfang an mit Nachdruck zur Bewältigung wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Probleme verhalten wurde. Da aber jede Partei, wie eingangs festgestellt, die Wandlungen des Milieus, in dem sie sich zu realisieren sucht, reflektiert, sind die letzten 17 Jahre an der Volkspartei nicht spurlos vorbeigegangen: Die ÖVP ist unverkennbar nicht mehr die Partei des Ursprungs, sondern heute zuerst Wirtschaftspartei. Wie die SPÖ. Wenn auch bereits in den Anfängen die bündische Gliederung das Organisationsgerüst der Partei fixierte, waren die Bünde ursprünglich, weil noch nicht von der ökonomischen Wirklichkeit geprüft, eher ständische Gruppierungen, wiewohl sie unverkennbar als Interessentenverbände konstituiert worden waren.

Allmählich und von den Einflüssen des Milieus bestimmt wurden aber die Bünde zu Interessentenverbänden klassischen Stils. Je reichhaltiger das Angebot an Sozialprodukt wurde, um so mehr gingen die Vertreter der Bünde, wie aller Interessentengruppen in Österreich, davon aus, daß der relative Platzgewinn einer Gruppe nur auf Kosten einer anderen Gruppe vor sich gehen könne. Ähnlich den anderen Bereichen des politischen Lebens gewann der soziale Neid die Qualität eines bestimmenden Elementes auch für die Politik i n der ÖVP. Wenn trotzdem die zentrifugalen Kräfte des Interessentenkampfes nicht zu einer Desintegration der Partei führten, so deswegen, weil vor allem die Angst vor dem Sozialismus und das „Christliche“ sich als ein Stabilisator erwiesen. Trotzdem sind zwischen den Bünden bereits scharfe Demarkationslinien sichtbar, welche die ÖVP, soweit sie Wirtschaftspartei ist, nicht als eine Partei, sondern als eine Kooperation von mehreren Interessentenparteien erkennen lassen:

• Die Bauern sind seit dem Tod von Reiter und der Verdrängung der Niederösterreicher aus der Führung eine Art Bauerngewerkschaft geworden, freilich in gleichzeitiger Abwehr von Konkurrenzverbänden.

• Der Wirtschaftsbund ist heute das konservative Zentrum der Partei und, wenn man die Führungsgremien betrachtet, zuweilen mit der Partei als Ganzem identisch. Unterstützt von hervorragenden Fachleuten der Wirtschaftskammern vermag der Wirtschaftsbund heute das Konzept der Partei maßgeblich zu beeinflussen.

• Der ÖAAB zeigte nach dem Tod von Ignaz Köck durch Jahre eine bemerkenswerte Lethargie, vor allem auf Bundesebene. (Kein einziges originäres Mitglied des ÖAAB wurde für würdig erklärt, in der gegenwärtigen Regierung als Minister Aufnahme zu finden.) Der Verlauf des letzten Bundestages in Salzburg, bei dem sich eine stärkere positive Profilierung abzeichnete, läßt Hoffnungen für die Zukunft zu — Hoffnungen, die aber erst nach den Wahlen sich auswirken könnten.

Neben den drei Bünden gibt es keine die Partei als solche repräsentierende Gruppe, von einigen wenig einflußreichen geburtsständischen Organisationen (Jugend, Frauen) abgesehen.

Das Parteidenken ist jedenfalls weitgehend ein Interesse-Denken, von ökonomischen Prozessen und Erwartungen bestimmt und insoweit eine ungewollte Rechtfertigung der marxistischen Überbautheorie, die auch Ideen für ökonomisch determiniert erklärt.

Die Österreichische Volkspartei deklariert sich mit Nachdruck als eine christliche Partei, eine Tatsache, welche der Partei nicht immer von Nutzen ist, da sie sich durch die christliche Etikette Gruppen verschließt, die sonst auf Grund ihrer sozialen oder wirtschaftlichen Interessenlage der Volkspartei gegenüber aufgeschlossen wären.

Die Christlichsozialen konnten mit einem starken Stamm von bäuerlichen Wählern rechnen, ebenso mit einer, im allgemeinsten Sinn christlichen und beachtlichen Großgruppe von Gewerbetreibenden. In der Zwischenzeit hat sich die Sozialstruktur gewandelt. Da die ÖVP nur einen schmalen Zugang zur Masse der Dienstnehmer der niedrigeren Ränge gewinnen konnte, mußte sie sich ihre Position mit Konzessionen gegenüber nichtchristlichen mittelständischen Gruppen absichern (Beispiel: Krems), soweit sich diese einigermaßen zur Gültigkeit des Sittengesetzes im öffentlichen Leben zu bekennen vermögen. Zum Unterschied von der Christlichsozialen Partei ist daher die ÖVP heute, wenn auch dem Kern nach christlich, so doch eine nach rechts, und nur nach rechts, offene Partei. Im Interesse einer Koordination mit rechtsgerichteten Gruppen, etwa aus dem Bereich der liberalen und nationalen Akademiker, bestehen eigene Organisationen von „Brückenbauern“. Mangels eines kraftvollen, linken Flügels konnte dagegen die Partei bisher keine erkennbaren Kontakte mit jenen Gruppen herstellen, die, rechts von der SPÖ befindlich, diese lediglich aus ihrer ökonomischen Interessenslage heraus wählen, dies aber ohne innere Anteilnahme tun.

Dazu kommt, daß „rechts“ nicht mehr mit der alten Rechten identisch ist, die auch katholisch-nationale Gruppen verpflichten konnte. Derzeit ist „Rechts“ in Österreich einem Rechtsliberalismus gleichzusetzen, dessen Anhänger ihre Stimme je nach Laune einmal der ÖVP und dann wieder der FPÖ geben, weil sie nirgendwo eine weltanschauliche und politische Heimat zu gewinnen vermochten.

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