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Mehr als vier Jahrzehnte gab es in Europa den Begriff der Mitte nicht. Die Supermächte hatten sich den Kontinent aufgeteilt, und Österreich als Herzstück war in eine Randlage abgerutscht: es war der äußerste Osten des demokratischen Westens. Niederösterreich mit einer mehr als 400 Kilometer langen Grenze am Eisernen Vorhangs litt besonders unter dieser Situation. Abgeschnitten von den alten Wirtschaftsräumen im Osten, blieb in den Grenzregionen die Landesentwicklung deutlich zurück.

Der unerwartete Zusammenbruch der Sowjetunion und ihres Satellitenreichs im Wendejahr 1989 gab dem Kernland der Republik seine Mittellage zurück. Das alte Mitteleuropa war neu entstanden, in dem Niederösterreich neben seiner Brückenfunktion wieder die Rolle als regionale Drehscheibe zukam, da noch aus der Monarchie herrührende Bindungen und Vernetzungen rasch Leben und Kraft gewannen. Die Ostöffnung verwandelte Mitteleuropa wieder in einen dynamischen Wirtschafts- und Kulturraum.

Neben der alten (neuen) Lage im Herzen des Kontinents eröffnete auch der Beitritt zur Europäischen Union dem Vier-Viertel-Land besondere Entwicklungschancen. Als EU-Außengrenze ist Niederösterreich das ideale Tor zum Osten, interessant für in- und ausländische Unternehmen, die Kontakte, Märkte und Geschäfte in Osteuropa suchen. Nicht weniger interessant ist es als Andockstelle für die östlichen Reformländer, die in die Europäische Union drängen und von denen die östlichen Nachbarn Tschechien und Ungarn bereits Verhandlungsstatus erreicht haben. Und Österreichs Politiker gerierten sich verbal auch immer als Fürsprecher für deren EU-Beitritt.

Die besondere geopolitische Lage gibt Niederösterreich alle Chancen, sich als attraktiver europäischer Wirtschaftsstandort zu positionieren. Durch die EU hat es überdies Zugang zu einem Verbrauchermarkt von fast 400 Millionen Menschen, durch die Osterweiterung vergrößert sich dieser Markt um weitere 100 Millionen.

Die Wende von 1989 hat Österreich neue Bezugs- und Absatzmärkte gebracht. Die Exporte in die Reformländer steigen seither kontinuierlich und übertreffen bei weitem die Importe. Österreichische Banken, Versicherungen und Unternehmen haben bei den östlichen Nachbarn längst operative Geschäftsstellen und Filialen errichtet. Die Direktinvestitionen liegen inzwischen jenseits der 30-Milliarden-Grenze, und auch durch Joint Ventures steigt die wirtschaftliche Verflechtung.

Die Reformländer offerieren sich nicht nur als lukrativer Markt, sie sind - als Billiglohnländer - auch wirtschaftliche Konkurrenten. Durch das gewaltige Lohn- und Preisgefälle wandern Betriebe mit arbeitsintensiver Produktion ab, oder Erzeugung und Verarbeitung werden zum Teil dorthin ausgelagert, um Kostenvorteile zu erzielen. Das starke Lohn-, Preis- und Sozialgefälle schürt auch die Ängste vor der EU-Osterweiterung. In Politik und Wirtschaft wird die Sorge artikuliert, die Reformländer könnten mit billigen Arbeitskräften und Produkten den heimischen Arbeits- und Warenmarkt überschwemmen, eine Immigrationswelle könnte zu politischen und sozialen Spannungen führen, und der milde Regen der Fördermilliarden aus Brüssel würde weiter östlich niedergehen.

Niederösterreich kann ein deutliches Ja zur Osterweiterung sagen, sollte aber in den Verhandlungen Konditionen und Zeitpunkt des Beitritts mitbestimmen. Die Hereinnahme in die EU ist von der Europareife der Reformländer abhängig zu machen, also von der erforderlichen Anpassung wirtschaftlicher Strukturen. Die Tür ins größere Europa wird sich daher wohl erst Mitte des nächsten Jahrzehnts öffnen. Als betroffener Nachbar wird Österreich auf Übergangsregelungen drängen. Zum Schutz des heimischen Arbeitsmarktes muß die Freizügigkeit von Arbeitskräften aus Ungarn und Tschechien eingedämmt, müssen Dumpingpreise bei industriellen Waren und landwirtschaftlichen Produkten verhindert werden.

Die Osterweiterung, ebenso in Diskussion wie der Euro, ist schon jetzt ein Faktum, auf das sich die Politik einzustellen hat. Langfristig bedeutet sie für Republik und Land wirtschaftliche Vorteile. Wirtschaftswissenschaftliche Studien sagen voraus, daß sich Ostösterreich entlang der Ostachse (Ungarn und Slowakei) und der Nordostachse (Tschechien, Polen) zu einem dynamischen Wirtschaftsraum entwickeln wird. Der Transitverkehr wird sich bis 2012 vervierfachen, das wirtschaftliche Ost-West-Gefälle in Österreich zugunsten der Ostregion umdrehen.

Die Osterweiterung der EU, die Mitteleuropa zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum zusammenbinden wird, hat auch einen sicherheitspolitischen Aspekt. Schengenland Österreich rückt von der EU-Außengrenze ab und erhält durch die neuen Mitglieder eine Art Puffer- und Sicherheitszone. Diese Binnenlage schützt davor, direkt in Konflikte und Krisen im östlichen und südöstlichen Europa involviert zu werden.

Die Attraktivität Niederösterreichs als Wirtschaftsstandort hat längst der Austrokanadier Frank Stronach erkannt. Er hat die Europazentrale (für den Osten) seines Magna-Konzerns nach Oberwaltersdorf verlegt und ein Zulieferwerk für die Automobilindustrie im grenzüberschreitenden Industriepark Gmünd/Ceske Velenice etabliert. In- und ausländischen Investoren genügt aber nicht allein die günstige geographische Lage des Landes, sie stellen Ansprüche an dessen Infrastruktur. Es ist daher zentrale Aufgabe der Wirtschaftspolitik, den Wirtschaftsstandort Niederösterreich durch einen umfassenden Ausbau der Infrastruktur, im Wettbewerb mit anderen Regionen, abzusichern.

Ein attraktives Standort-Angebot sind die Industrie- und Gewerbeparks in allen Landesvierteln, wo die ansiedelungswilligen Betriebe gebündelt die notwendigen Strukturen und Ressourcen (Energieträger, Wasser, Gleis- und Autobahnanschluß, Telekommunikation) vorfinden und Synergieeffekte (bei Fertigung, Forschung, Entwicklung, Transport) nützen können. Durch das landesweite Netz an berufsbildenden Schulen, ergänzt durch die Fachhochschulen, steht den Unternehmen ein hervorragend ausgebildetes Humankapital für alle Produktionszweige zur Verfügung.

Die Qualität der Arbeitskräfte ist zugleich die wichtigste Ressource bei den Bemühungen, die Wirtschaft des Landes von hand- auf hirnintensive Produktionen im Hightech-Bereich umzutrimmen. Nur die Gründung innovativer Betriebe schafft zukunftssichere Arbeitsplätze. Sie ist auch Voraussetzung dafür, auf den Weltmärkten konkurrenzfähig zu sein und dem Marktdruck der Billiglohnländer auszuweichen.

Der EU-Beitritt hat auch in der Landwirtschaft zu einer Neupositionierung geführt. In der Ostregion haben viele Bauern auf Bioproduktion und Selbstvermarktung umgestellt oder versucht, Marktnischen zu nutzen. Beispiele dafür sind die neubelebte Ziegen- und Schafzucht, der Raps- und Mohnanbau, die Produktion von Biomasse zum Befeuern von Heizkraftwerken. Die Gefahr scheint gebannt, daß die Bauern durch die von Brüssel forcierte industrialisierte Landwirtschaft zu den großen Verlierern des EU-Beitritts werden. Die Chance ist da, mit qualitativ hochwertigen Produkten, die gute Preise erzielen, zum Feinkostladen Europas zu werden.

Die Wende von 1989, der EU-Beitritt Österreichs, aber auch die kommende Osterweiterung der EU, bedeuten für Niederösterreich positive Weichenstellungen. Das Land ist das Herzstück eines Wirtschaftsraumes, der sich in den nächsten Jahrzehnten dynamisch entwickeln wird.

Der Autor ist redaktioneller Leiter des Mitteleuropa-Magazins "danubius".

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