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Vor einem „mittleren Kurs“

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Die Zahl der Vizepräsidenten wurde auf vier verringert, die der Fachminister auf 30 erhöht. Eine Anzahl langjähriger Kabinettsmitglieder wurde zu Vizepremiers ernannt, wobei unklar ist, ob man sie auszeichnen oder auf ein totes Gleis abschieben wollte. Die zahlreichen Fachminister der neuen Regierung könnten gewährleisten, daß sich die Außen-, Innen-, Wdrtschafts- und Sozialpolitik künftig konsequenter, weitsichtiger und weniger dilettantisch gestaltet. Ministerpräsident Ali Sabri scheint mit unüberlegten außenpolitischen und militärischen Abenteuern vorläufig Schluß machen und sich mehr als bisher auf die echte innere Entwicklung und Konsolidierung konzentrieren zu wollen.

Der Umstand, daß dem Revirement auch zwei der prominentesten ehemaligen Mitverschwörer Abdel Nassers zum Opfer fielen, läßt auf den Kurs schließen, den die neue

Regierung steuern will. Die Vizepräsidenten Abdel Latif el-Bogh-dadi und Kamal Eddin Hussein, die in der reorganisierten Führungsspitze fehlen, galten als „rechter“ beziehungsweise „linker“ Flügelmann des Regimes. Beide waren entschiedene Gegner des Jemenabenteuers. Aber nicht das ist der Grund ihres Verschwinden. Bogh-dadi trat, soweit erkennbar wurde,für eine gewisse Annäherung an den Westen und für eine relative Demokratisierung ein. Hussein besaß wesentlich entschiedenere Sozialrevolutionäre Vorstellungen, als sie im „arabischen Sozialismus“ nasseristischer Prägung verwirklicht werden sollen. Ihr Ausscheiden deutet darauf hin, daß Ali Sabri einen nach innen wie außen „mittleren“ Kurs einzuschlagen gedenkt.

Mäßigung tut Ägypten denn auch bitter not. Die zwölfjährige unumschränkte Herrschaft eines Mannes, der zu regieren nicht mehr befähigt ist als jeder andere leidlich Gebildete seiner Mitbürger, hat es an den Rand des Ruins gebracht. Panarabischer Hegemonieanspruch und Israelfeindschaft, die beide weder den echten Interessen noch den tatsächlichen Machtmitteln Ägyptens entsprechen, verausgabten seine Energien auf allen Gebieten des politischen Lebens. Die Nationalisierungswellen schöpften zwar den angehäuften Reichtum ab und beseitigten den ausländischen Kapitaleinfluß, aber der Reichtum ist verschwunden, und das Wirtschaftsleben zeigt gefährliche Krankheitssymptome. Eine dilettantische Sozialpolitik hat Forderungen hervorgerufen, denen wirtschaftliche und finanzielle Reserven und Zuwachsraten keineswegs entsprechen. Während ein großer Teil der Bevölkerung von amerikanischen Geschenken lebt, wurde monatelang eine Summe, die die östliche und westliehe Entwicklungshilfe überstieg, für den Jemenkrieg hinausgeworfen Der Gegenwert der deutschen Kredite fließt weiterhin in eine Raketen-und Flugzeugproduktion, deren Ergebnis kläglich ist. Der Mangel an Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern hat katastrophalen Umfang angenommen.

Diese Misere soll das neugebildete Fachkabinett :m letzten Augenblick beheben. Man sieht in der Führungsspitze offenbar ein, daß weitere Verschlechterungen das Regime gefährden könnten. Die Mitte März erfolgte Freilassung weiterer politischer Häftlinge ist eine Konzession an die unzufriedene Bevölkerung. Auch die hektische außenpolitische Aktivität und die zahllosen internationalen Konferenzen, die in den nächsten Monaten in Kairo geplant sind, sollen von dem inneren Notstand ablenken. Abdel Nassers Politik hat sich sogar in den Augen seiner eigenen Freunde kompromittiert. Sie müssen Konzessionen machen. Vom Erfolg ihrer Politik wird es abhängen, welche Rolle der „Rais“ künftig noch spielt.

Abdel Nassers Anhängerschaft ist immer noch so groß, daß er nicht ernsthaft gefährdet ist. Ein innerhalb eines Jahrzwölftes geschaffener Mythos läßt sich nicht plötzlich ohne gefährliche Erschütterungen vom Sockel der Anbetung stoßen. Für die besitzlosen Massen ist Abdel Nasser auch heute noch unfehlbar. Aber in den Augen jener Bevölkerungsschicht, die den Staat tragen sollte, deren Söhne im Ausland studierten, die Vergleichsmaßstäbe besitzt und deren Lebensumstände sich fortwährend verschlechtern, hat er seinen Nimbus längst eingebüßt. Ohne jene Schicht kann ein Land nicht auskommen. Das scheint man endlich auch in der Führungsspitze Ägyptens zu erkennen. Die Neugestaltung ist daher auch als Antwort an die vielen, vielen Zweifler zu werten.

Ob die reorganisierte Regierung und das Pseudoparlament der geschilderten Lage Herr werden, wird sich herausstellen. Schließlich ist Abdel Nasser selbst zwölf Jahre nicht müde geworden, zu behaupten, daß Revolutionen der legale Regierungswechsel arabischer Länder seien...

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