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Vor sanfter Herbstschlacht

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Die hochsommerlichen Hitzewellen konnten heuer die Wiener Partei-zenltralen der SPÖ, ÖVP und FPÖ nicht einschläfern. Zwar ist die Nachwahl am 4. Oktober eine Nationalratswahl und der Wahlkampf daher Bundeswahlkampf, doch wird der Wahleinsatz von der regionalen Begrenzung auf neun Wiener Bezirke diktiert. Das Wahlübereinkommen der drei Parteien — die DFP wird nach der Verurteilung Olahs wohl kaum noch eine Rolle spielen — verspricht eine technisch faire Schlacht, doch sprechen die politischen Umstände eher für .harte Bandagen“.

Meinungsverschiedenheiten scheinen vor allem darüber zu bestehen, ob es bei dieser Wahl „um etwas geht“, oder nicht. Die ÖVP lagt offenherzig die Karten auf den Tisch:

• Mit nur 72 Stimmen war das eine Reststimmenmanidat gepolstert, das nach Auszählung der Wahlkartenstimmen von ' der FPÖ zur ÖVP wechselte. Der Verlust dieses Mandats würde die ÖVP in der Opposition weiter schwächen, das Gewicht der FPÖ als „Zünglein an der Waage“ aber nur unbedeutend erhöhen.

• Anderseits hat die ÖVP zwei Grundmandate nur knapp verfehlt, nämlich um rund 1900 Stimmen im Wahlkreis 3 und um 2500 Stimmen im Wahlkreis 5.

Kalkuliert man nun einen Trend von der regierenden SPÖ weg oder zu ihr hin ein, — in den Jahren 1962 und 1966 gab es merkwürdigerweise jeweils im September eine Trendumkehr —, erscheinen folgende Extremsituationen denkbar:

• Trend von der SPÖ weg: In diesem Fall könnte die ÖVP zwei Grunidmandate gewinnen, darüber hinaus könnte das Reststimmenmandat der ÖVP nicht an die SPÖ, sondern an die FPÖ gehen, womit die ÖVP über die relative Mehrheit im Nationalrat verfügen würde (80:79:6). • Trend zur SPÖ: Abgesehen vom „Mitläufer-Effekt“, mit dem der Sieger einer Wahl erfahrungsgemäß aber nur wenige Monate rechnen kann, könnte eine geringe Wahlbeteiligung für die SPÖ den „totalen Sieg“ bringen. Statisten haben durchgerechnet, daß etwa eine Wahlbeteiligung wie bei der Wiener Ge-meiinderatswahl vom 27. April 1969 (nur 75 Prozent) der SPÖ die absolute Parlamentsmehrheit bringen würde.

In der SPÖ neigt man eher dazu, die Bedeutung der Nachwahl zu unterspielen, wohl im Bewußtsein der starken Organisation in Wien: Mehr als jeder dritte SPÖ-Wähler ist eingeschriebenes SPÖ-Mitglied. Während es der SPÖ normalerweise genügt, wenn jedes Mitglied einen SPÖ-Sympathisanten zur Urne führt, steht dieses Verhältnis bei der ÖVP in Wien 1:6. In einer Broschüre für die Vertrauenspersonen der SPÖ wird übrigens in diesem Sinne zu einer „umfassenden Solidaritätsaktion aller Wiener Sozialisten“ aufgerufen, hingegen tut zum Beispiel die SPÖ-Bundesführung in Erklärungen an die Massenmedien so, als sei die Wahl am 4. Oktober nur eine Formalität. Der Effekt dieser Methode soll offenbar eine „gezielte Wahlbeteiligung“ sein, und zwar durch bewußte „Teilmobilisierumg“ sozialistischer Wähler und Verzicht auf eine für die ÖVP zweifellos günstigere „allgemeine Mobilmachung“. Die eigentliche Wahlwerbung der SPÖ dürfte ebenfalls insgesamt „beruhigende“ Wirkung haben: „Laßt Kreisky und sein Team arbeiten“ lautet der sanfte Slogan, der in SPÖ-internen Rundläufern als „Thema eins unserer Wahlwerbung“ bezeichnet wird.

Zugleich aber ist auch den Äußerungen des Wiener SP-Sekretärs Nittel zu entnehmen, daß man sehr wohl auf Fuinktionärsebene umfangreiche Werbeaktionen für jene Leute organisiert, die man für „SPÖ-naheste-hend“ hält.

Der „neue Stil“ der neuen ÖVP-Par-teiführung verspricht eine Absage an frühere, harte Wahlaussagen. Im Sinne des ersten Schaukastenplakats „Versprochen — gebrochen“ ist damit zu rechnen, daß die ÖVP den Wählern die „Probepackung“ der ersten sechs Monate SPÖ-Regierung zeigen und die Konfrontation der hochgesteckten Wahlversprechen mit den reduzierten Regierungstatsachen präsentieren wird. Dafür bieten sich vor allem an: Zurückgenommene Pensionsversprechen, verschobene Steuerreform, Festhalten an den Sondersteuern, ungeklärte Präsenzdienstfrage.

Die FPÖ will mit einem Bild des nicht sehr populären Dr. Broesigke auf die Hakatwand gehen, der sich am 1. März schon seines Mandates sicher glaubte, dann aber nachträglich Opfer der Wahlkarten-Wähler wurde.

Im Parlament steht es derzeit — ohne die ruhenden Mandate der drei Wiener Wahlkreise — 72:72:5. Am 4. Oktober werden fast 500.000 Wiener über die Verteilung der restlichen 16 Sitze und damit über die Mehrheit im Nationalrat entscheiden

Das Ergebnis der Nachwahl könnte sich jedenfalls nicht nur in neuen Stimmenprozenten, sondern auch in völlig neuen Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat dramatisch niederschlagen.

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