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Vor Wende mit unsicherem Ende

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Daß die spanischen Parlamentswahlen am 3. März 14 Jahre sozialistische Regierung beenden, gilt als sicher. Was nachkommt, bleibt ungewiß.

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Daß die spanischen Parlamentswahlen am 3. März 14 Jahre sozialistische Regierung beenden, gilt als sicher. Was nachkommt, bleibt ungewiß.

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Die Wahlauseinandersetzung Jfür die spanischen Parlamentswahlen ist von schweren Konflikten1 und Gewalt gezeichnet. So spaltet die Separatistenorganisation ETA mit einer neuen Terrorwelle das spanische Baskenland mehr denn je -hie begleitende Straßenkrawalle, da Friedensdemonstrationen. Selbst innerhalb der sozialistischen Arbeiterpartei PSOE fliegen angesichts der bevorstehenden Verluste die Hackein tief. In den Verteilungskämpfen um Mandate drohen die Genossen einander sogar öffentlich gerichtliche Schritte an. Dazu der parteiinterne Konflikt zwischen Guerristen (nach dem stellvertretenden Generalsekretär Alfonso Guerra) und den sogenannten Erneuerern. Während letztere den pragmatischen, weitgehend neoliberalen und mit der Unternehmerschaft akkordierten Pro-EU-Kurs, nach dem Noch-Regierungs-chef auch „Felipismo" genannt, steuern, kämpft der andere Flügel für traditionelle Parteigänger.

Lachender Dritter ist Jose Maria Aznar, Chef der „Partido Populär" (PP - Volkspartei). Seit Monaten prognostizieren ihr Umfragen einen klaren Sieg an den Urnen - unklar blieb bis zuletzt, ob es für die absolute Mandatsmehrheit reichen würde. Gemäß spanischem Wahlrecht reichen dafür schon knapp 40 Prozent der Stimmen.

Die PP des 42jährigen Aznar hat bereits den Schwerpunkt ihrer -wahrscheinlichen - Begierungsarbeit angekündigt: den Kampf gegen die rund 20prozentige Arbeitslosigkeit. Unter Jugendlichen ist mehr als jeder vierte ohne Beschäftigung. Doch selbst wohlmeinende Kommentatoren merken an, daß Aznar sowohl in Sachen Jobs als auch punkto Maastricht-Kriterien vage bleibt. Lange Zeit hatte eine Mehrheit der Spanier überhaupt am Format des Oppositionsführers gezweifelt. Erst als er vor zehn Monaten einem Bomben-Attentat der ETA um ein Haar entkam und demonstrativ rasch aus dem Krankenhaus auf die politische Bühne zurückkehrte, schien er zumindest den Respekt weiter Bevölkerungskreise gewonnen zu haben.

Doch noch immer bietet Aznar Anlaß zu Zweifeln, wohin ein Wechsel im Madrider Regierungspalast Mon-cloa führen könnte - nicht zuletzt wegen einiger Schwenks in den letzten Monaten. So möchte Aznar nun das marode Gesundheitswesen mit Wettbewerbselementen therapieren. Vor wenigen Jahren wollte er - offenbar in einem Versuch, den extrem pragmatisch-liberalen Kurs Gonzalez' zu überbieten - noch die Privatisierung. Hinter der beruhigenden Absage an Sozialabbau stehen die neuen PP-Bemühungen um das politische Zentrum. Fast gegenläufig zur ÖVP versucht Aznars Partei nun, neben der wirtschaftsliberalen auch die christlich-soziale Identität zu verkörpern.

Felipe Gonzalez ist ebenfalls bemüht, soziales Bewußtsein zu demonstrieren und den erwarteten Wählerschwund an das kommunistisch dominierte Bündnis „Izquierda Unida" („Vereinte Linke") einzudämmen. Sein Diskussionsbeitrag, Beschäftigungslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung zu bekämpfen, blieb mehr als vage. Eine gesetzliche

Arbeitszeitverkürzung lehnt Gonzalez jedenfalls aus Wettbewerbsgründen ab und distanziert sich damit von der „Vereinten Linken".

Zur Erinnerung: Gonzalez scheiterte mit seiner Minderheitsregierung, nachdem ihm die katalanische Koalition „Convergencia i Unio", die viertstärkste Partei im Parlament, die Unterstützung beim Budget 1996 aufgekündigt hatte. Die Katalanen kommen - aufgrund ihrer liberal-konservativen Ausrichtung - eventuell auch als Partner für Aznar in Frage, vorausgesetzt, dieser macht - wie Gonzalez - teure Zugeständnisse, etwa weitergehende Steuerautonomie.

Im Fall einer relativen PP-Mehrheit sind formelle Koalitionen mit Regio-nalisten eher unwahrscheinlich, punktuelle Pakte möglich. Das liegt an der PP-eigenen kastillischen Berührungsangst mit autonomiefreudigen Regionalsten. Vor allem wenn Autonomie-Bestrebungen von Terror und Randalen unterstützt werden, macht Aznar glaubwürdig ganz auf Law & Order.

Ein anderes brisantes Wahlkampfthema: Mitarbeiter der Exekutive, die wegen ihrer Aktivitäten in der Anti-ETA-Terrortruppe „Grupos Antiter-roristas de la Liberacion" (GAL) -filmreife Schußattentate - einsitzen, haben mit späteren Enthüllungen Drahtzieher und Finanziers im Innenministerium vermuten lassen. Mittlerweile scheuen sich spanische Medien nicht mehr, immer neue Verstrickungen der Sicherheitsbehörden aufzudecken und offen von Staatsterrorismus zu sprechen. Die Opposition forderte bisher vergeblich die politische Verantwortung des Regierungschefs ein, der von nichts gewußt haben will. Gegen Ex-Innenminister Jose Barrionuevo wurde jetzt vom Obersten Gerichtshof Anklage erhoben - sehr zur Erbosung Gonzalez', der ungeachtet seines hohen Ansehens bei der Intelligentsia im Ausland prompt die Objektivität der Gerichtsbarkeit in Frage stellte.

Der Autor ist

freier Journalist.

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