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Vorstoß der Volkspartei?

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Diese Situation wurde von den Parteien selbst als unhaltbar erkannt. Doch alle bisher ergriffenen Initiativen, die Parteien in die Verfassung einzubauen und damit eine Brücke zwischen Verfassungswirklichkeit und Verfassungstheorie zu schlagen, sind versandet. Ein neuer Vorstoß in diese Richtung könnte endlich, weil er gründlich vorbereitet ist und offenbar mit der nötigen Energie betrieben wird, ein Ergebnis bringen: Der Bundesparteitag der ÖVP 1966 wird sich mit einem Bericht über das Thema „Staat und Parteien“ auseinanderzusetzen haben, den eine Arbeitsgruppe des Politischen Ausschusses unter dem Vorsitz von Landeshauptmann Wall- nöfer ausgearbeitet hat.

Der wichtigste Punkt des Berichtes dieser Arbeitsgruppe ist die Empfehlung, folgende Bestimmungen in die Verfassung aufzunehmen:

• Festlegung des Grundsatzes, daß die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken (Verankerung der parteienstaatlichen Demokratie).

• Festlegung des Rechtes auf freie

Bildung von Parteien (parteioffene Demokratie).

• Festlegung des Zustandekommens und Erlöschens von Parteien.

• Festlegung der Freiheit zu und von den politischen Parteien.

Demokratie ist Parteienstaat

Das Haupthindernis für eine derartige verfassungsrechtliche Regelung liegt im mangelnden Verständnis für die notwendige Funktion der Parteien. Noch immer wird der Parteienstaat als notwendiges Übel oder gar als Entartungserscheinung der Demokratie angesehen, noch immer mißt man die moderne Demokratie mit den Maßstäben wirklichkeitsfremder Ideologien. „Identität von Regierenden und Regierten, von Normsetzern und Normadressaten“

— das sind nur klingende Formeln. Tatsache ist, daß jede Demokratie eine repräsentative sein muß. Tatsache ist, daß die Vielzahl der möglichen und auch vorhandenen Meinungen in einem mehrere Stufen umfassenden Prozeß zu einem einzigen, schließlich handelnden Willen integriert werden muß. Tatsache ist auch, daß die Parteien die wichtigsten Faktoren in diesem Prozeß der Willensbildung sind. „Ohne Parteien würde das Volk in der modernen Demokratie hilflos hin und her vegetieren“ (Gerhard Leibholz). In den Parteien wird die auseinanderstrebende Vielzahl politischer Tendenzen gebündelt, durch die Parteien verdichtet sich politisches Wollen zu politischem Handeln. Die Parteien müssen Haupterzeuger und Hauptträger des Konsensus sein, ohne den eine Demokratie nicht existieren kann. Gleichzeitig sind sie auch Träger der politischen Konkurrenz, des zweiten Wesenselementes einer funktionsfähigen Demokratie.

Man kann diese dominierende Rolle der Parteien in der modernen Demokratie nicht wegdiskutieren, es gibt zu ihr keine wirkliche Alternative. „Die moderne Demokratie ist notwendig Parteienstaat in dem Sinne, daß die Parteien als Werkzeuge der Selbstregierung des Volkes und als Hilfsmittel zur Besetzung der staatlichen Ämter dienen“ (Wilhelm F. Czerny).

Gefahren des Parteienstaates

Nicht die Tatsache des Parteienstaates gefährdet diie Demokratie, sondern Fehlentwicklungen der Parteien und dn dien Parteien. Es ist eine Folge des überholten Verfassungsdenkens, daß man alle Aufmerksamkeit auf eine demokratische Perfektionierung der Verfassung richtet und dabei übersieht, daß die nicht in, sondern neben der Verfassung lebenden eigentlichen Machtträger, die Parteien, in ihrer Struktur nur rudimentär demokratisch sind. Hier liegt die Gefahr, daß das zunehmende politische Desinteresse weiter Kreise der Bevölkerung, daß die wachsende Möglichkeit; den Menschen auch in seiner Gesinnung zu manipulieren, daß die fortschreitende Zentralisierung und die Bildung von Oligarchien in den Parteien, und zwar in allen Parteien, daß diese Tendenzen außerhalb jeder demokratischen Kontrolle wirksam werden. In diesem Punkt sollten die Parteien ein genügendes Ausmaß an Selbstkontrolle und Selbstkritik aufbringen und für sich selbst ein Regulativ schaffen. Allerdings: von welcher Vorstellung sollen sich die Parteien leiten lassen, welches Bild haben sie von sich selbst, von ihren Aufgaben in der Demokratie?

Die ÖVP hat der SPÖ voraus, daß sie sich erst gar nicht der Illusion hingibt, alle in der Partei vertretenen Meinungen und Interessen könnten zur Gänze im Rahmen der Partei integriert werden und dann als eine Meinung, als ein Interesse auftreten. Diesem irrealen Aberglauben an die Möglichkeit einer völligen Geschlossenheit und Homogenität einer Partei auch nach außen hin gibt sich die SPÖ nach wie vor mit einem Eifer hin, der einer aussichtsreicheren Sache würdig wäre. Die Volkspartei hat von Anfang an in dieser Frage der inneren Struktur der Partei eine betont realistische Haltung eingenommen, sie hat durch Ihre hündische Gliederung ihren Pluralismus institutionalisiert und nach außen hin dokumentiert. Die ÖVP ist aber in einem anderen Punkt hinter den Sozialisten zurück: in der Volkspartei sind noch immer Richtungen feststellbar, die Politik ohne Politik machen wollen, die glauben, der Mythos der Fachleute könne die Politik schlechthin ersetzen, die meinen, „Sachlichkeit“ sei das Nonplusultra jeder Politik; als ob nicht über der Sachlichkeit immer die politische Entscheidung stünde, die eine wertende ist, die einer Rangordnung von Prioritäten folgt. Formulierungen wie etwa „Der Staat ist weder das Beuteobjekt der politischen Parteien noch sonstiger kollektiver Mächte“ zeigen, welches Nichtverstehen von Rolle und Bedeutung der Parteien in der ÖVP noch zu überwinden ist. Die weltfremde Gegenüberstellung von Staat und Parteien und die Ansicht, den (an sich guten) Staat vor den (an sich bösen) Parteien beschützen zu müssen, kommen einem Versuch der „Entpolitisierung der Politik“ gleich

— ein Versuch, der einem Don Quijote zustehen würde.

Ein dringendes Anliegen Es ist die Aufgabe der Parteien, die beiden Fehlentwicklungen zu korrigieren — einerseits das verzerrte Bild von der demokratischen Funktion der Parteien, anderseits das Fehlen einer ausreichenden innerparteilichen Demokratie. Ein Anfang wäre gemacht, würden die Parteien sich selbst in die österreichische Rechtsordnung einbauen und damit ihr Verständnis für die Erfordernisse einer modernen Demokratie zeigen. Eine solche Versöhnung von Parteienstaat und Rechtsstaat, von Sein und Sollen, kann und darf nicht in der Form geschehen, daß den Parteien plötzlich, ohne Rücksicht auf die ihnen eigene Dynamik, ein starres Korsett detaillierter Rechtsvorschriften angelegt wird — ein solches Korsett wäre bald wieder gesprengt. Aber ein dringendes Anliegen ist die verfassungsmäßige Verankerung der wichtigsten Prinzipien des demokratischen Parteienstaats. Die Realitäten müssen zur Kenntnis genommen werden.

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