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Digital In Arbeit

Wachsende Kritik am Kapitalismus

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Beginn einer neuen FlJRCHE-Serie zum Thema „Öko-soziale Marktwirtschaft in Zeiten der Globalisierung”. Wie kann der neue, weltweit agierende Kapitalismus gezähmt werden?

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Beginn einer neuen FlJRCHE-Serie zum Thema „Öko-soziale Marktwirtschaft in Zeiten der Globalisierung”. Wie kann der neue, weltweit agierende Kapitalismus gezähmt werden?

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Eine Diskussionsveranstaltung jagt in diesen lagen und Wochen die andere, Thesen und Gegenthesen werden provoziert, Theorien debattiert, Bücher veröffentlicht ... Das Thema löst seit geraumer Zeit gewaltiges Interesse aus: die tiefgreifende Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft, die derzeit unter dem Titel „Globalisierung” läuft. Um dieses Wort hat sich auch schon ein Konglomerat an negativ besetzten Codewörtern gebildet wie: „Turbo-Kapitalismus”, „Terror der Ökonomie”, oder die drohende „EinFünftel-Gesellschaft”.

„Sharcholder -va lue”, das neue Dogma' der Manager, demzufolge alles in einem Unternehmen nur mehr danach beurteilt wird, ob es den Kurs der Aktie steigen läßt oder nicht, gehört ebenso in dieses Spektrum an Vorstellungen wie der dramatische Souveränitäts-Verlust der Nationalstaaten: Die Wirtschaft überspült allmählich die Politik, die Regierungen können unerwünschten volkswirtschaftlichen Entwicklungen nicht mehr gegensteuern. Die Wirtschaft hat das Sagen. Wer - angefangen von den Nationalstaaten bis hin zum kleinsten Beschäftigten -nicht mitmacht, dem droht der Verlust von Wohlstand und Sicherheit; so die Drohbotschaft.

Negative Stimmung

Das Unbehagen an der Globalisierung ist groß. Die Vortragssäle quellen über, wenn das 'Thema auf dem Programm steht. Offensichtlich werden viele von diesem negativen Stimmungswandel beeinflußt. Sie fühlen, daß sie irgendwie betroffen sein werden. Die Zukunft der Arbeit ist ebenso ungewiß wie die der Pensionen und der materiellen Existenzsicherung überhaupt. Das zehrt natürlich an den Nerven einer Gesellschaft und es ist schwierig, nicht allmählich nervös zu werden.

Die Entwicklungen eindeutig einzuschätzen und zu bewerten, ohne in eine Art Wirtschaftsfeindschaft zu verfallen, ist nicht leicht. Derzeit stehen einander, grob gesagt, zwei „Denkschulen” gegenüber.

Die Globalisierungsbefürworter argumentieren so:

■ Der Globus wird derzeit von den Unternehmen auf der Suche nach neuen Produktions- und Absatzchancen durchgekämmt. Das ist kein neues Phänomen, sondern die intensivierte Fortsetzung jener grenzüberschreitenden 'Transaktionen, die bisher unter dem Titel Internationalisierung liefen. Der Handel zwischen den Staaten brachte immer schon ein Stückchen Verflechtung mit sich. Globalisierung ist daher nichts anderes als die Fortschreibung der Liberalisierung des Waren- und Kapitalverkehrs, der Freizügigkeit im Personenverkehr sowie die Niederlassungsfrei-heit. Neu ist jedoch, daß zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit eine Ware überall in der Welt hergestellt und verkauft werden kann. Grenzenloser Freihandel, absolute High-Tech-Kommunikationsmöglichkeiten und niedrige Transportkosten haben das möglich gemacht.

■ Durch die Globalisierung wird eine optimale Arbeitsteilung auf der ganzen Welt entstehen, die in Summe zu einem Maximum an Arbeit und gesellschaftlichem Wohlstand führen wird. Die derzeitige räumliche Arbeitsteilung löst sich auf zugunsten einer dynamischen Wirtschaft, von der mehr Menschen denn je profitieren werden.

■ Die Globalisierungsstrategien hat sich nicht die böse Wirtschaft ausgedacht. Diese Ent-wicklureg ist eine. Zielvorgabe der Politik, um zu verhindern, daß sich weltweit drei große, einander bekämpfende Wirtschaftsblöcke bilden. Unter der Führung der USA wurden Schutzzölle und Importquoten abgebaut, die Handelspolitik libe-ralisiert, die Deregulierung der Güterund Finanzmärkte und politische Integrationsbewegungen vorangetrieben, die Märkte im Osten geöffnet.

■ Arbeit ist immer schon gewandert. Vom Land in die Stadt, von chancen-losen Gebieten in die Ballungsräume, von einem Produktionszweig in den anderen. Damit waren immer strukturelle Verformungen verbunden; vor allem sind das Perioden, die neue Bedürfnisse und auch neue Berufsbilder hervorbringen. Die zeitliche Dimension dieser Verformung hängt davon ab, wie rasch die Rahmenbedingun-gen (Ausbildungspolitik etc.) und natürlich die Menschen selbst darauf reagieren. Neu sind lediglich das Tempo und die Intensität des Anpassungsdruckes.

■ Der globale Wettbewerb verlangt die Lern- und Leistungsgesellschaft und nicht den „Kuschelstaat”, wo für alles so gesorgt wird, wie wir das schätzen. Das wird natürlich nur schwer akzeptiert in behäbig gewordenen Wohlstandsgesellschaften. Lieber wird zäh an „wohlerworbenen Beeilten” festgehalten, statt auf neue Herausforderungen zu reagieren.

■ Die Abwehrhaltung gegenüber der Globalisierung hängt auch damit zusammen, daß der Siegeszug des Westens zu Ende geht. Seit Beginn der Ko-lonialisierung wurden immer nur andere Länder gezwungen, sich unseren Gedanken, Wirtschaftsweisen und Kulturen zu öffnen. Jetzt kommt Anpassungsdruck aus den Oststaaten, aus Asien. Quasi über Nacht strömten durch die wirtschaftliche Verflechtung rund zwei Milliarden neuer Konkurrenten auf den Arbeitsmarkt.

Soweit die Argumente der Befürworter. Die Globalisierungskritiker sehen die Sache ganz anders:

■ Globalisierung löst den sozial gezähmten Kapitalismus, ja die gesamte, von Wohlstand und Daseinsvorsorge geprägte Welt auf. Es droht die Ein-Fünftel-Ge-sellschaft: So schreiben Hans Peter Martin und Harald Schumann in ihrem Bestseller „Die Globalisierungsfalle”: Ein Fünftel der Bevölkerung genügt, um den AVelthandel in Schwung zu halten. Es sind die Privilegierten in Nord und Süd, die Vermögenden, Aktionäre und Hochqualifizierten, denen die Globalisierung der Ökonomie auf Kosten der übrigen Bevölkerung einen immer größeren Teil des weltweit erwirtschafteten und wachsenden Wohlstandes zuschanzt. Doch dieser Turbo-Kapitalismus zerstört auch die Grundlagen seiner Existenz. Der soziale Zusammenhalt wird korrodiert, schneller noch als die ökologische Substanz zusammenbricht ...

■ Die meisten Kritiker beurteilen die Situation ähnlich: Hier eine Elite von etwa 20 Prozent, hoch bezahlt und mit anspruchsvollen Tätigkeiten gesegnet, dann die anderen 80 Prozent, die für geringen Lohn oft mehrere Tätigkeiten gleichzeitig verrichten müssen. So teilt Bobert Beich, ehemaliger Arbeitsminister von US-Präsident Bill Clinton, die künftigen Arbeitnehmer in drei Gruppen: die Boutinearbeiter in der Produktion, deren Stern aber rapide sinkt. Die persönlichen Dienstleister, deren Gehälter aber auch nicht so besonders sind. Die Symbol-Analytiker, die modernen Wissensarbeiter. Sie sind die Gewinner der totalen Weltwirtschaft. Wissenschaftler, Marketing-Experten, Anwälte, Immobilienmakler; Filmproduzenten, Drehbuchautoren, Moderatoren und Spitzenma-nager. Ihr Markt ist die ganze Welt, ihre Gagen erreichen unvorstellbare Höhen, während die übrigen ärmer werden und der Nationalstaat immer weniger Geld hat, um Infrastruktur, Ausbildung und soziale Sicherheit zu gewährleisten.

■ Mobilität und Flexibilität der Unternehmen haben dazu geführt, daß

. sie nicht mehr an nationale Sozialstandards gebunden sind oder sich hohen Steuern unterwerfen müssen. Sie produzieren überall in der Welt, wo und wie sie wollen. Die Steuer- und Abgabenausfälle machen sich in den Sozialbudgets der jeweiligen Länder ganz entschieden bemerkbar.

■ Die totale Leistungsgesellschaft braucht schnelle, flexible Arbeitnehmer: Die Unternehmen müssen ihren Daseinszweck, ihren Markt und ihre Produkte ständig ändern. Nur so können sie sich der gebotenen Geschwindigkeit anpassen. Die Mobilisierung erfaßt daher .nicht, nur die Manager, sondern auch den kleinsten Mitarbeiter. Doch viele.wird die Geschwindigkeit und die Intensität des Wandels überfordern. Was wird aus ihnen? Was wird aus denen, die nicht mitkommen, die die Sicherheit der Schnelligkeit vorziehen möchten, aus

-den Langsamen, den Begriffsstutzigen, den Schwerfälligen? Sie werden auf der Strecke bleiben.

Protest-Aufrufe

Man sieht, die Entwicklung namens „Globalisierung” hat viele Gesichter. Die einen sagen, es handelt sich um die Zwangsläufigkeit der wirtschaftlichen Prozesse. Die anderen nutzen die Gelegenheit, um das häßliche Gesicht des Kapitalismus mit all seinen sozialen Problemen zu zeigen und zum Protest aufzurufen.

Die Schlüsselfragen der Zukunft heißen: Wie setzt man soziale und ökologische Mindeststandards, die verhindern, daß ein globaler Neo-Liberalismus zur beherrschenden Kraft wird? Wie läßt sich die Entwicklung durch Eingriffe in bestimmte Bahnen lenken, das heißt, in seiner Ausgestaltung, Richtung und Tempo beeinflussen? Wie kann die Wettbewerbsfähigkeit (besonders eines kleinen Landes wie Österreich) in einer globalen Weltwirtschaft erhalten bleiben, ohne daß er zur Ausdünnung von' Solidarität und sozialem Zusammenhalt kommt?

Lesen Sie Stellungnahmen, Antworten und Interviews dazu in einer neuen furche-Serie mit dem Titel: „Öko-soziale Marktwirtschaft in Zeiten der Globalisierung”.

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