6787605-1970_20_07.jpg
Digital In Arbeit

Waffen für den Norden

Werbung
Werbung
Werbung

Schon seit längerer Zeit haben wir uns an die Vorstellung gewöhnt, daß sich Nordirland in einem Zustand politischer Krise befindet. Jetzt hat überraschenderweise auch der Premierminister der Republik Irland, Lynch, in seinem eigenen Lande eine Krise erlebt. Fast ausnahmslos ist in der irischen Geschichte eine Krise im Norden untrennbar mit Geschehnissen im Süden verbunden gewesen und umgekehrt, und so ist es auch diesmal.

Die Situation läßt sich in wenigen Worten zusammenfassen. Vor einiger Zeit hat die Polizei in Dublin den Premierminister von Absichten unterrichtet, Waffen vom europäischen Festland einzuschmuggeln. Diese Pläne sollen in Zusammenhang mit jenen südirischen Politikern stehen, die vor aller Öffentlichkeit ein bewaffnetes Eingreifen in Nordirland befürworten, ein Eingreifen zur Unterstützung der katholischen Minderheit in Ulster, falls es dort zu neuen Unruhen kommen sollte. Die südirische Regierung und die Regierungspartei „Fianna Fail“ sind jedoch gegen die Anwendung von Gewalt zur Wiedervereinigung Irlands. Als der erwähnte Polizeibericht vorlag, forderte Premierminister Lynch zwei Mitglieder seines Kabinetts auf, Rechenschaft abzulegen. Beide erklärten, sie hätten mit Waffenschmuggel nichts zu tun und lehnten zweimal die Aufforderung zum Rücktritt ab. Jetzt hat Lynch den Finanzminister und den Landwirtschaftsminister entlassen, und ein weiterer Minister ist aus Sympathie mit ihnen zurückgetreten. Außerhalb Irlands mag es fast unglaubhaft erscheinen, daß südirische Politiker in verantwortlicher Stellung eine bewaffnete Intervention im Norden auch nur in Erwägung ziehen konnten. Nordirland gehört ebenso zu Großbritannien wie — sagen wir — Wales, und ein gewaltsames Eingreifen hätte kriegerische Vorfälle zwischen den beiden Ländern zur Folge. Aber die Iren sind ein leicht erregbares Volk, und die Feindschaft zwischen den Katholiken im Süden und den Protestanten Im Norden reicht weit in die Vergangenheit zurück. Die Idee eines bewaffneten Eingreifens der Republik Irland in Nordirland ist völlig unrealistisch; aber manche südirischen Politiker meinen, man solle der IRA — einer in der Republik verbotenen Organisation — Waffen geben, damit sie den Katholiken im Norden helfen könne. Die IRA ist eine subversive Organisation, die an Gewaltmethoden glaubt.

Erfreulicherweise haben das Parlament und seine Partei dem Premierminister das Vertrauen ausgesprochen, und zunächst scheint die Krise überwunden zu sein. Die Regierungen beider Teile Irlands bekennen sich nach wie vor in aller Form zu einem Verständigungskurs, und sie sind bereit, miteinander zu reden, um einer Wiedervereinigung den Weg zu ebnen. Aber im Süden wie im Norden befürchtet man weithin, daß die beiden Regierungen unter dem Druck der öffentlichen Meinung gestürzt werden könnten. Besonders ernst ist die Lage in Nordirland, wo es dem Führer der protestantischen Extremisten, Ian Paisley, gelungen ist, durch eine Nachwahl ins Parlament zu kommen. Aber kaum weniger ernst ist die Tatsache, daß die öffentliche Meinung in Südirland den Premierminister schwerlich unterstützen würde, sollte er offen gegen die illegale IRA vorgehen. Es ist so gut wie sicher, daß die beiden Minister Anhänger unter der Bevölkerung haben, gerade weil sie militante Ansichten vertreten. Welche Schlüsse lassen sich aus dem Ganzen ziehen? An eine Wiedervereinigung Irlands ist in absehbarer Zeit überhaupt nicht zu denken. Die entscheidende Frage im Augenblick ist, ob die nordirische Regierung Zeit für die Durchführung ihrer Reformpläne gewinnen und aller Benachteiligung der katholischen Minderheit ein Ende machen kann. In diesem Falle würde sich die Stimmung in der Republik Irland wahrscheinlich beruhigen. Sollte es der südirischen oder der nordirischen Regierung jedoch nicht gelingen, der Extremisten im eigenen Lande Herr zu werden, dann könnte die Reaktion der jeweiligen Gegenseite sehr heftige Formen annehmen, und die Wiedervereinigung würde sich vielleicht um ein Jahrhundert verzögern. Für Nicht-Iren ist es schon immer schwer verständlich gewesen, daß konfessionelle Faktoren im politischen Leben der beiden Teile Irlands eine solche Rolle spielen können — selbst heute noch. Aber für die Politik der Iren gelten eben andere Maßstäbe. Vielleicht wird die nächste Generation imstande sein, die Vergangenheit zu überwinden und die Differenzen beizulegen. Im Augenblick kann man paradoxerweise nur hoffen, daß der Status quo noch längere Zeit anhält

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung