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Wahleintopf?

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Unvermutet sind wir in Oesterreich in eine Verfassungsdebatte hineingeraten. Die Aussprache hat begonnen, nachdem Bundeskanzler Raab vor einem Monat in seiner ersten Rundfunkrede nach den Sommerferien nicht nur die nächsten Nationalratswahlen für den Oktober 1959 in Aussicht stellte, sondern gleichzeitig auch den Vorschlag machte, die Legislaturperiode des Nationalrates künftig von vier auf fünf Jahre zu verlängern, wobei eine gleichartige Regelung der Landtage als wünschenswert hingestellt wurde. Ueberraschender noch als diese Ouvertüre zur politischen Herbstarbeit war, daß „die zweite Geige“ in unserem innerpolitischen Quartett acht Tage später die Melodie aufnahm. In die nüchterne politische Prosa übersetzt: Vizekanzler Pittermann sekundierte dem Kanzlervorschlag mit einem bisher selten gehörten Nachdruck, wobei er als Ergänzung zur nun einmal zur Diskussion gestellten , Verfassungsänderung eine vorzeitige Auflösung des Nationalrates künftighin nicht von einer einfachen, sondern von einer Zweidrittelmehrheit abhängig gemacht sehen will. Der Gedanke, in Zukunft, ähnlich wie in anderen Ländern, einen bestimmten Tag des Jahres als Wahltag zu erküren, gesellte sich hinzu.

Vielleicht war es mehr diese selten genug vor der breiten Oeffentlichkeit zur Schau getragene Einhelligkeit der Auffassungen durch die Führer der sonst bereits in Vorwahlplänkeleien verzankten großen Parteien als die einzelnen Vorschläge, die an vielen Orten automatisch Alarmanlagen auslöste. Nicht zuletzt wurde der österreichische Föderalismus mobilisiert und meldete durch die Stimme der Landeshauptleute unisono Bedenken an. Bedenken, denen bereits der Vizekanzler am letzten Wochenende entgegenkam, wenn er in seiner jüngsten Rundfunkrede festgehalten wissen wollte, niemand habe davon gesprochen, daß Bundes- und Länderwahlen, mögen sie auch in einem Wahljahr absolviert werden, am gleichen Tag abgehalten werden sollten .. .

Die Diskussion ist also in vollem Gange. Um sich im Getümmel zurechtzufinden — und wohl auch, um aus ihm einen Ausweg zu suchen —, tut es gut, an den Ausgangspunkt der ganzen Auseinandersetzung zurückzukehren. In -seiner Rundfunkrede vom 14. September erklärte Bundeskanzler Raab:

„Da im Herbst nächsten Jahres Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich und Vorarlberg angesetzt sind, wäre es meiner Ansicht nach aus verschiedenen Gründen zweckmäßig, auch die Nationalratswahlen am gleichen Tag abzuhalten. Eine derartige Regelung würde vor allem Arbeit und Geld sparen. Ich werde auch vorschlagen, im Wege einer Verfassungsänderung die Legislaturperiode auf fünf Jahre hinaufzusetzen. Es wäre meines Erachtens zweckmäßig, wenn auch die Bundesländer, sofeme nicht schon eine längere Legislaturperiode dort besteht, für die Landtagswahlen eine gleichartige Regelung treffen würden. Zu rasch aufeinanderfolgende Wahlen haben, wie sich immer wieder gezeigt hat, den Nachteil, daß die Arbeit der Volksvertretung auf längere Zeit lahmgelegt wird und daß die Zeitspanne für eine wirklich fruchtbare parlamentarische Arbeit zu kurz ist. Es hat sich immer wieder gezeigt daß auch Wahlen in die Landtage die Arbeit des Parlaments beeinflussen und zumindest 'für einige Monate lahmlegen können. Des weiteren bedeuten die einander überschneidenden und in jedem Jahr in anderen Bundesländern durchgeführten Landtagswahlen, dazu noch die Wahlen in den Nationalrat, große Geldausgaben für Propaganda. All dies bildet sicher ein gewichtiges Argument dafür, die Legislaturperioden des Nationalrates und der Landtage zu vereinheit-liehen und zu trachten, den Arbeiten der Volksvertretungen im Nationalrat wie in den Landtagen eine möglichst lange: und von einer Propagandakampagne ungestörte Arbeitsperiode zu sichern ...“

Der Bundeskanzler kennt seine auf den Wellen der Konjunktur segelnden und im endlichen Besitz der Backhendelzeit Nr. 2 (Hundert Jahre haben wir von ihr nur gesungen!) befindlichen Oesterreicher sehr gut, wenn er hauptsächlich mit zwei Argumenten für die von ihm initiierte und vom Koalitionspartner sekundierte „kleine Verfassungsreform“ wirbt:

• Das „liebe Geld“, das häufige Wahlgänge kosten.

Rasch aufeinanderfolgende Wahlen bringen Unruhe. Sie stören nicht nur die politische Arbeit, sie hemmen auch die ruhige wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung.

Argumente, die gewiß wohl erwogen werden wollen. Der österreichische Staatsbürger hat wenig Freude an Exzessen der „Plakatkrieger“. Er sieht lieber Häuser in die Höhe wachsen als Propagandatürme. Und wenn er über die Straßen fährt, so hat er lieber eine Betondecke unter den Rädern seines Wagens als ein von einer Flut von Flugzetteln übersätes Katzenkopfpflaster. Dieser an sich sehr gesunden Einstellung hat auch die Propaganda aller r irteien bei den letzten Wahlgängen Rechnung zu tragen versucht. Allein:

Demokratie kostet Geld. Viel mehr Geld als jede halbautoritäre, autoritäre oder gar diktatorische Staatsform. Bei der Endabrechnung kommt aber der Staatsbürger noch immer am billigsten davon. (Die Schweizer gehen mitunter jeden zweiten Sonntag zu irgendeiner Wahl und sind trotzdem — oder gerade deshalb — eines der wohlhabendsten Völker.)

Unruhe! Zugegeben: Wahlen unterbrechen den normalen Fluß — mitunter auch den Trott — des politischen Alltags. Unruhe tragen sie aber heute in der Regel nur in die Sekretariate oder politischen Führungsgremien hinein. Sie sind die Rute im Fenster. Verständlich, daß die Kinder nicht gerne oft an den drohenden Krampus erinnert werden. Nie aber sind sie so nett und umgänglich wie in den Wochen und Monaten vor diesem Datum.

Wahlen in einzelnen Bundesländern, die nicht mit den Nationalratswahlen zusammenfielen, standen bisher als „Barometerwahlen“ in hohem Ansehen. Will man das Barometer jetzt vor die Türe werfen? Wovon sollen die politischen Führungsgremien künftig ablesen, daß der Wind sich gedreht hat? Gerade die Volkspartei verdankt der politischen Auswertung manch „kleiner“ Wahl schöne Erfolge bei dem nächsten gesamtösterreichischen Urnengang. Das alles müßte bei einer bundeseinheitlichen Synchronisation der Landtagswahlen mit der Nationalratswahl wegfallen. Denn selbst auch der schon erwähnte Vermittlungsvorschlag, die Landtagswahlen in der zeitlichen Nähe, aber nicht am Tag der Nationalratswahl durchzuführen, würde ihnen höchstens den Charakter eines politischen „Nachkirtags“, statt den einer eigengesetzlichen Entscheidung geben.

Wir kennen das überlegene Lächeln vieler Männer des politischen Lebens — gleichgültig, welcher Partei —, wenn man zu bedenken gibt, daß sowohl Geld gespart als auch eine Störung der politischen Arbeit auf der Bundesebene vermieden werden könnte, wenn man Landtag und Gemeindewahlen wirklich von den Schlagschatten der Bundespolitik freihalten würde. „Graue Theorie!“ Mögen auch die bisherigen Erfahrungen nicht allzu ermutigend sein, wer hindert die beiden Koalitionsparteien, die sich in Fragen des Wahlarrangements zur Zeit gut reden, zum Beispiel daran, ein Abkommen a u f beispielsweise fünf Jahre zu schließen, Regierungsmitglieder und Fragen der Bundespolitik aus allen Landes- und örtlichen Wahlgängen herauszuhalten? Mancher gequälte Minister könnte aufatmen, müßte er nicht im Hinblick auf diese Landtags- oder jene Gemeinderatswahl unbedingt bei der Einweihung des neuen Spritzenhauses in X politische Erklärungen abgeben!

Die österreichische Länderpolitik könnte an eigenem Profil nur gewinnen. Die Gemeinde-und die Landespolitik aber würden darüber hinaus zu dem bisher fehlenden Reservoir, des politischen Nachwuchses, der hier, auf sich allein gestellt, seine politischen Gesellenstücke liefern könnte, bevor er in die „Meisterklasse“ der Bundespolitik aufsteigt, dringen.

Hiermit kommen wir dem Kern des Problems schon recht nahe.

Es gibt Zeiten, in denen politische Leidenschaften, separatistische Neigungen und- allgemeine Unsicherheit es geraten erscheinen lassen, die Exekutive zu stärken und Sicherungen gegen Auflösungserscheinungen einzubauen. Dem Parlament der Ersten Republik - mitunter wird es heute falsch glorifiziert! — ist dies nicht gelungen. Das Ende ist bekannt.

Es gibt aber auch Zeiten, die von einer Erstarrung des politischen Lebens bedroht sind. Die Apparate machen sich selbständig, die große Masse der Bevölkerung aber lebt neben der Politik dahin. In diesen Jahren - und es sind dies zumeist die „fetten Jahre“ — gebietet es staatspolitische Verantwortung, nicht den Neigungen zur Flucht aus dem politischen Engagement entgegenzukommen, sondern den Sinn und die Verantwortung des Staatsbürgers für seine politische Gemeinschaft zu schärfen. Deshalb unser seinerzeitiger Appell — er sei an dieser Stelle wiederholt -, das Ventil des „Reihens und Streichens“ auf der Kandidatenliste nicht zu verstopfen. Womit aber könnte dieser staatsbürgerlichen Erziehung - große Politiker waren stets auch große Erzieher — am besten gedient sein, als in regelmäßigen, wohl unterschiedenen „Schulungskursen“, als welche die Wahlen in Gemeinde, Land und Staat in ihrer Bedeutung über den Tag hinaus verstanden werden wollen. Damit, daß man alle fünf Jahre den Wähler in ganz Oesterreich zu „Einheitswahlen“ führt — vielleicht geht man eines Tages • noch . einen Schritt weiter und koppelt dann die Wahl des Bundespräsidenten auch noch mit diesem Gang —, wird jedenfalls ein reges politisches Mitdenken und Handeln nicht erzielt werden können.

Eine Demokratie kann an den in ihr entfachten, nicht gebändigten Leidenschaften verglühen.

Es gibt aber auch den Kältetod.

Dies sollte neben allen anderen Erwägungen nicht vergessen werden, bevor die Entscheidung über eine „kleine Verfassungsreform“ fällt, die vielleicht gar nicht so klein ist, wie sie heute selbst ihren Fürsprechern scheinen mag.

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