6752850-1967_35_01.jpg
Digital In Arbeit

Wahlen auf vietnamesisch

Werbung
Werbung
Werbung

Am 3. September finden im freien und demokratischen Südvietnam Präsidentschafts- und Senatswahlen statt, die so unfrei und undemokratisch wie nur möglich sein werden. Anders als in Griechenland brauchen die ausschließlich von Amerikas Gnaden lebenden Saigoner Militärs allerdings nicht einen Militärputsch zu veranstalten, um die bevorstehenden Wahlen zu verhindern, sondern da-sie ja bereits an der Macht sind, können sie sich darauf beschränken, diese Wahlen zu ihren Gunsten zu manipulieren. So setzt sich Ministerpräsident und Vizeluftmarschall Ky seit Monaten über alle Bestimmungen des Wahlgesetzes hinweg und reist auf Wahltournee im Lande herum. Als einige amerikanische Zeitungen Alarm schlugen und darauf hinwiesen, daß die bevorstehende Wahlfarce in Saigon der von Washington vertretenen These von der in Vietnam zu verteidigenden Freiheit und Demokratie nicht eben gut zu Gesicht stehe, verfügte Ky eine Aufhebung der Saigoner Pressezensur — offenbar um der Weltöffentlichkeit einen Beweis seiner gut demokratischen Gesinnung zu liefern. Freilich wurde gleichzeitig von der Regierung den Zeitun-

gen mitgeteilt, daß man einer Zeitung, die von der offiziellen Linie abweiche, die Papierzufuhr sperren oder sie verbieten werde...

Als die verfassungsgebende Versammlung in Saigon Staatspräsident General Thieu und Ministerpräsident Vizemarschall Ky wegen ihrer offenen Mißachtung der Bestimmungen des Wahlgesetzes aufforderte, vor dem Wahlkomitee der Konsti-tuanten zu erscheinen, um sich zu rechtfertigen, weigerten sich die beiden Machthaber, dieser Aufforderung des provisorischen Parlamentes Folge zu leisten. Es blieb jedoch nicht bei diesem Affront. Thieu und Ky riefen gleichzeitig eilig eine Sitzung der höchsten Saigoner Militärs zusammen und setzten die Polizei und einige Militäreinheiten in Alarmzustand. Außerdem entsandten sie den ihnen treu ergebenen Polizei- und Geheimdienstchef Brigadegeneral Nguyen Ngoc Loan mit einer bewaffneten Wache in das Parl'a-mentsgebäude, um der verfassungsgebenden Versammlung die Warnung der Generäle zu überbringen, daß „die Regierung die Vensammlung auflösen wird, wenn diese die Kandidaturen von Thieu und Ky für die Präsidentschaftswahlen nicht akzep-

tiert“. Worauf die Versammlung still wurde...

Das alles spielt sich unter den Augen der amerikanischen Soldaten ab, von denen jede Woche einige hundert ihr Leben lassen müssen, um Freiheit und Demokratie gegen Unfreiheit und Totalitarismus zu verteidigen. Aber es ist lange nicht alles. Unter dem Druck der Militärs hat die verfassunggebende Versammlung außerdem noch sämtlichen Präsidentschaftskandidaten, die Thieu und Ky hätten gefährlich werden können, das Aufstellen einer Kandidatur untersagt. Solches geschah General Duong Van Minh, dem Manne, der 1964 den Diktator Ngo Dinh Diem gestürzt hatte, eine Zeitlang Staatschef gewesen und dann von Thieu und Ky zur Emigration nach Bangkok gezwungen worden war. Minh ist im Lande populär, und es hätte die Möglichkeit bestanden, daß er als Sieger aus den Präsidentschaftswahlen hervorgehen würde. Als die verfassungsgebende Versammlung zunächst ihren Willen bekundete, Minh als Kandidaten zuzulassen, setzten die Generäle sie so lange unter Druck, bis sie Minh eine Absage erteilte.

Ebenso erging es einem anderen Präsidentschaftskandidaten, dem hervorragenden Nationalökonomen Au Truong Thanh, der dreimal — zuletzt auch in der gegenwärtigen Regierung — Finanzminister war, der aber wegen angeblich „linker“ Neigungen bei den Generälen in Ungnade fiel. Das Verbrechen Thanhs ist, für eine Beendigung des Krieges einzutreten — er wählte als sein Wahlkampfsymbol eine durchgekreuzte Bombe —, was Thieu und Ky genügte, um ihn als Kommunisten zu diffamieren. Obgleich sogar der amerikanische Geheimdienst CIA in Saigon diese Behauptung als unbegründet erklärte —1 Thanh erfreut sich als Fachmann bei den Amerikanern eines hohen Ansehens —, beugte die Konstituante sich auch in diesem Falle dem Wunsche der Generalsjunta, Thanh das Aufstellen einer Kandidatur zu verweigern. Ein verständlicher Wunsch, dürfte doch Thanhs Programm, den Krieg zu beendigen, bei weitem das populärste sein.

So ist es nicht weiter verwunderlich, daß auch die Senatswahlen auf dieselbe Weise manipuliert werden. Senatskandidaten, die nicht nach dem politischen Geschmack Thieus und Kys sind, wurden rechtzeitig vom Rennen ausgeschlossen. Unter diesen Umständen ist ein Sieg der beiden Militärdiktatoren Thieu und Ky absolut sicher und man versteht es, wieso alle Berichte aus Südvietnam von einer völligen politischen Interesselosigkeit der Bevölkerung — was die kommenden Wahlen anbelangt — sprechen. Auf dem Lande hat sich die Tatsache, daß demnächst Wahlen stattfinden, offenbar überhaupt noch nicht herumgesprochen. In einer Analyse der Wahlsituation berichtete die „International Herald Tribüne“ aus Saigon: „Die gegenwärtige Regierung hatte wenig Erfolg bei ihrem Versuch, außerhalb der 620.000-Mann-Armee Vertrauen oder Unterstützung zu gewinnen. Es ist unmöglich, daß ... die Wahlen vom 3. September rückblickend als erster Schritt auf eine Demokratie hin interpretiert werden können ... Die Wahlgesetze sind entsprechend den Wünschen der Regierung gestaltet worden. Die Generäle verfügten in den letzten Monaten über eine absolute Macht.“

Orwells gegen den Stalindsmus erichtete politische Gegenutopie „1984“ ist insofern Wirklichkeit geworden, als hier tatsächlich die Welt gemäß dem Prinzip „Frieden ist Krieg, Liebe ist Haß“ auf den Kopf gestellt wird: Demokratie ist Militärdiktatur, Freiheit ist Polizeizwang, Wahlen sind Akklamationen. Der Freiheitskrieg frißt seine Kinder.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung