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Wahlen im „Gleißner-Klima”

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Immer mehr werden in Oberösterreich die Strumpf-, Seifen- und Kaffeeplakate durch Wahlplakate verdrängt. Die Freiheitlichen haben ihren politischen Slogan einem alten Werbespruch der Hutindustrie entliehen und behaupten, daß man „übrigens wieder freiheitlich wählt”; die Sozialisten fordern: „Nicht stehenbleiben, weitergehen, sozialistisch wählen”, während die ÖVP trommelt: „Wer alles gründlich überdenkt, der Volkspartei Vertrauen schenkt.” Trotz der zunehmenden Wahlplakate und der überhand- nehmenden Wahlzeitungen ist von einer Wahlpsychose kaum etwas zu merken. Das gemäßigte politische Klima in Oberösterreich, das „Gleißner-Klima”, ist auch beim Wahlkampf sichtbar. Es gibt keinerlei persönliche

Auseinandersetzungen, die sachlichen bleiben in engem Rahmen. Beide großen, in der Landesregierung vertretenen Parteien, ÖVP und SPÖ, stellen ihre Leistungen in den Vordergrund, und die bisher nur aus vier Abgeordneten bestehende Landtagsfraktion der FPÖ, die sich so gerne Opposition bezeichnet, beherrschte diese Rolle nie richtig oder hatte einfach zuwenig Sauerstoff, um hier in Oberösterreich als Opposition atmen zu können.

Aber der Wahlkampf hat eine weitere, erfreuliche Seite: Fast ausschließlich stehen Landesprobleme im Vordergrund, von gesamtösterreichischen tauchen nur am Rande die Teuerung und die Kohlenkrise auf.

Die nüchterne Sprache der Zahlen

In dieser Situation rechnet kein Mensch in Oberösterreich mit politischen Verschiebungen größeren Umfanges, geschweige denn mit einem Erdrutsch auf irgendeiner Seite; ein Blick auf die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen vom Jahre 1955, aber auch auf die letzten Nationalratswahlen vom Jahre 1959 zeigt, daß allerdings auch verhältnismäßig sehr wenig Stimmen eine entscheidende Änderung herbeiführen können. Bekanntlich besteht der oberösterreichische Landtag aus 48 Mitgliedern, die auch nach der inzwischen durchgeführten Verfassungsänderung keine Ausweitung erfahren werden. Von diesen 48 Landtagssitzen besetzte zuletzt die ÖVP 25, die SPÖ 19 und die FPÖ 4, in der oberösterreichischen Landesregierung war die ÖVP mit 5, die SPÖ mit 4 Regierungsmitgliedern vertreten. Die Volkspartei hatte also die absolute Mehrheit sowohl im Landtag wie in der Landesregierung inne.

Die Achillesfersen der Parteien

Wie ist nun heute dip Situation, sechs Jahre nach den letzten Landtagswahlen vom 23, Oktober 1955 und nach den Erfahrungen der letzten Nationalratswahlen von 1959? Die Volkspartei hat zwei Direktmandate nur schwach, und zwar mit wenigen hundert Stimmen abgedeckt, und zwar das 6. Mandat im Mühlviertel und das 5. Innviertler Mandat. Bei den letzten Nationalratswahlen wurde das letzte Direktmandat im Innviertel verloren, dafür war ein starker Stimmenüberhang von 11.387 Stimmen entstanden. Es gilt also für die ÖVP, das eine Mühlviertler Mandat zu halten und das Innviertler Mandat wieder zurückzugewinnen, was nicht allzu schwer sein müßte.

Die Sozialistische Partei hat sämtliche Direktmandate verhältnismäßig gut abgedeckt, hat allerdings auch kaum die Chance, ein Direktmandat hinzuzugewinnen, es sei denn im Innviertel, wo allerdings etwas mehr als tausend Stimmen noch hinzugewonnen werden müßten. Nicht ohne Gefahr ist bei den Sozialisten allerdings das zweite Reststimmenmandat, das zu d:n Freiheitlichen, unter Umständen auch zur Volkspartei, abschwimmen könnte.

Die Freiheitliche Partei hat jeweils ein Direktmandat in Linz und im Hausruckviertel sicher; ihr einziges Direktmandat im Innviertel ist nur mit wenigen hundert Stimmen abgedeckt, anderseits fehlen ihr im Traunvsertel nur wenige hundert Stimmen, um ein Direktmandat zu erringen. Erzielt sie das, so wird sie kaum eine Chance haben, im Reststimmenverfahren ein Mandat zu erreichen. Bleibt sie aber auf ihren bisherigen vier Mandaten sitzen, so hat sie keinerlei Chance, neuerlich in die Landesregierung einzuziehen.

Die Entscheidungsschlacht wird im Innviertel geschlagen

So wird praktisch die Entscheidungsschlacht bei den kommenden Landtagswahlen für sämtliche Parteien im Innviertel, für die FPÖ auch noch im Traunviertel, geschlagen.

Schwer zu sagen ist natürlich, welche Wählerschicht den Ausschlag geben dürfte; eines aber steht fest: daß es weniger die Randschichten als die Jungwähler sein werden, Seit den letzten Landtagswahlen sind mehr als 100.000 wahlberechtigt geworden, jeder siebente Wähler wird also erstmals bei Landtagswahlen seine Stimme abgeben können. Allein seit den letzten Nationalratswahlen 1959 sind in Oberösterreich die beiden geburtenstarken Jahrgänge 1939 und 1940 mit 20.000 und 21.000 Wählern erstmals wahlberechtigt.

ÖVP: „Den besten Mann auf den wichtigsten Platz!”

Die Österreichische Volkspartei stellt zwei Dinge in den Vordergrund: die Leistungen in Oberösterreich und die Person des Landeshauptmannes Doktor Heinrich G1 e i ß n e r. Gleißner, mit seinen 68 Jahren, führt einen Adenauer-Wahlkampf mit einem Minutenprogramm von Betriebsbesichtigungen, Eröffnungen, Versammlungsreden, Ehrungen, neuen Betriebsbesichtigungen und neuen Reden. Seine Fahrten führten ihn oft an einem Tag vom äußersten Traunviertel ins hinterste Mühlviertel; er kennt das Land wie kaum ein anderer, er weiß, wie das Volk anzusprechen ist, er ist ein glänzender Redner, der sich jedem Publikum und jedem Gesprächspartner anZupäSsbn weiß. Er ist daneben aber auch der am längsten im Amt befindliche Landeshauptmann, und auch seine größten Gegner leugnen nicht, daß er einen äußerst repräsentativen Bundespräsidenten Österreichs abgegeben hätte.

Neben Gleißner ist es vor allem der väterlich-liebenswürdige, aber auch oft väterlich-polternde Landeshauptmannstellvertreter B 1 ö c h 1, der über Oberösterreichs Grenzen hinaus in Land wirtschaftsfragen ein entscheidendes Wort mitzureden hat, schließlich der jüngste innerhalb der ÖVP-Mitglieder der Landesregierung, Landesrat und Landesparteisekretär Dr. W e n z 1 (40). Er ist ein nüchterner, wenn nicht trockener Redner, keiner aus der Reihe jener Politiker, die immer nur freundlich sind und immer nur versprechen. Daneben aber ist er ein Organisationsgenie, fleißig und systematisch. Verschiedene Kreise wünschten vor Jahresfrist seine Berufung zum ÖVP- Generalsekretär, aber der nüchterne Wenzl zögerte auch nicht eine Minute mit seinem „Njet”.

Im national-liberalen Lager: Streit wie eh und je

Die Situation im „freiheitlichen Lager” — wenn man das mehr national als liberal zusammengewürfelte Lager so nennen will — ist nicht eben rosig. An sich sitzt in Oberösterreich der Motor der FPÖ Österreichs, der Lehrer Friedrich Peter (38), der politisch stark ambitioniert, fleißig und auch kein schlechter Redner (wenn auch mit einem oft unerträglichen, an frühere Zeiten gemahnenden Pathos) ist. Auch die deutschen Bundestagswahlen mit den sichtbaren FPD-Erfolgen, die allerdings im benachbarten Bayern der CSU kaum etwas anhaben konnten, müßten am ehesten der FPÖ zum Vorteil gereichen. Aber Peter hat es in anderen Bundesländern scheinbar leichter als in seinem eigenen, und der interne Parteistreit in Oberösterreich ist auch von der FPÖ wohlmeinenden Randschichten einfach nicht mehr zu übersehen: So streiten die beiden rechtsstehenden — wenn auch kümmerlichen — bäuerlichen Gruppen, der Allgemeine Bauernverband und die Freiheitliche Bauernschaft, praktisch ununterbrochen; in der eigenen Partei hat die Entfernung des stillen, aber sehr geachteten Innviertler Bauernvertreters Grünbart, der noch bei den letzten Landtagswahlen als Spitzenkandidat in vier der’ fünf ‘Wahlkreise fungierte,, weit mehr als nur Aufsehen erregt, und. die Tatsache daß sich jetzt Peter zum Spitzenkandidaten in sämtlichen oberösterreichischen Wahlkreisen machte, um nach der Wahl souverän zu entscheiden. welches Mandat er annimmt und wer durch seine Gnaden aufrückt, hat die innerparteiliche Stimmung kaum gebessert. Hinzu kommt das Durcheinander, das der einstige Vdll- Bundesrat Rabl mit seiner geplanten

Liste der „Wahlgemeinschaft der Unabhängigen” in einigen Öberösterreichischen Wahlkreisen hervorrief.

SPÖ: „Klerus und Dorf”

Die Sozialisten haben einen guten Spitzenreiter, den Landeshauptmannstellvertreter Ludwig Bernaschek (62), daneben aber keine allzu imponierende Mannschaft: Landesrat Plas- ser, durch humorvolle Zwischenrufe im Landtag bekannt, ist alt geworden, und der Landtagsabgeordnete Rechtsanwalt Dr. Zamponi hat gerade in letzter Zeit in den eigenen Reihen viel unliebsames Aufsehen erregt: Er wurde der Rechtsvertreter des Exgeneraldirektors der Stiokstoffwerke mit dem Auftrag, dessen Millionenforderungen gegenüber dem Staatsbetrieb durchzusetzen, eine Tätigkeit, die ihn vor allem unter den sozialistischen Arbeitern nicht beliebter gemacht hat; einen anderen Extremfall stellte die Verteidigung Dr. Schönpflugs dar, der wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurde; hier wurde das Unbehagen in den eigenen Kreisen noch durch einen Protest der israelitischen Kultusgemeinde bei der SPÖ verstärkt.

Die erwartete Tendenz, kirchliche Fragen aus dem Wahlkampf herauszuhalten, ist allerdings nicht eingetroffen. Ein paar Wochen vor den Landtagswahlen brachte das Organ der ober- österreichischen SPÖ einen groß aufgemachten Artikel „Dorf und Klerus”, in dem unter anderem zu lesen ist, daß „die Zeit, in der das Dorf als die in allem rückständige, von mittelalterlicher Finsternis beherrschte und nur der kirchlichen Autorität unterstellte Siedlung abseits von Zivilisation und Kultur betrachtet wurde”, noch gar nicht weit zurückliege. Konkreter wird dann über die jetzige Situation gesagt, daß die Geistlichkeit des Dorfes nach der politischen Seite hin noch immer „ein Machtfaktor im guten wie im bösen Sinn” ist, und schließlich wird erklärt: „In diesem Zusammenhang darf man den Repräsentanten des Klerus im Dorf mit der Frage beehren, ob er überhaupt zu ermessen imstande ist, für wen er — auch im Namen der Gerechtigkeit! — sein Pulver zu verschießen bereit ist.” Diese Formulierungen zeigen, daß manche Entwicklungstendenzen innerhalb der SPÖ noch nicht voll nach Oberösterreich vorgedrungen sind, eine Tatsache, die auch bei einer Betrachtung der Spitzenfunktionäre sichtbar wird: neben Bernaschek ist der Nachfolger des vor zwei Jahren zurückgetretenen Landesparteiobmannes Dr. Koref, Nationalrat Aigner, konfessionslos. Sie unterscheiden sich damit den katholischen Wählern gegenüber keineswegs von der FPÖ, die den konfessionslosen Peter an die Spitze aller Kandidatenlisten stellte.

„Wohltuende” absolute Mehrheit

Im übrigen haben gerade die letzten Monate der eben zu Ende gegangenen Legislaturperiode des oberösterreichischen Landtages gezeigt, daß auch bei scheinbar unbedeutenden und geringfügigen Bestimmungen Relikte einer Kulturkampfstimmung auftauchten, etwa als bei der Behandlung des landwirtschaftlichen Fortbildungsgesetzes die so selbstverständlich erscheinende Bestimmung über Religion’ als Pflicht-’ gegenständ (mit jederzeitiger Abmelde- möglichkeit!) von den Sozialisten nicht akzeptiert wurde, was zur einzigen Kampfabstimmung in der sechsjährigen Landtagsperiode führte. Bezeichnend war auch hier die Haltung der FPÖ- Vertreter, die im Ausschuß für den sozialistischen Abänderungsantrag stimmten, im Plenum dann wieder nicht, obwohl sie ihrerseits auch Religion als Pflichtgegenstand nicht akzeptierten ÖVP spricht von der „wohltuenden Wirkung” ihrer absoluten Mehrheit

Mit diesen oder ähnlichen Beispielen — hierher gehört vor allem auch das erst kürzlich verabschiedete lugend- schutzgesetz und die Novellierung des ICinogesetzes! . kann die Volkspartei hiit gutem Grund auf die wohltuende Wirkung ihier absoluten Mehrheit ver-’ weisen; und sie scheut sich auch gar nicht, offen auszusprechen, daß sie ganz entschieden wieder diese absolute Mehrheit anstrebt, die für die weitere Aufwärtsentwicklung des Landes weit vorteilhafter ist als ein nur allzu leicht in eine Arbeitsunfähigkeit und Lethargie übergehendes Gleichgewicht der politischen Kräfte.

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