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Wahlkampfabkommen in Verhandlung

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Läßt man den Streit um die Urheberschaft beiseite, bleibt die Tatsache bestehen, daß die beiden Großparteien bereit zu sein scheinen, den nächsten Nationalratswahlkampf unter Kontrolle zu halten. Die Eskalation der Wahlkampfabkommen kann also bisher der Wählerschaft nur recht sein.

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Läßt man den Streit um die Urheberschaft beiseite, bleibt die Tatsache bestehen, daß die beiden Großparteien bereit zu sein scheinen, den nächsten Nationalratswahlkampf unter Kontrolle zu halten. Die Eskalation der Wahlkampfabkommen kann also bisher der Wählerschaft nur recht sein.

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Freilich, die Zeit ist schon sehr weit fortgeschritten. Und die Zeit des Vorwahlkampfes hat bereits Züge der Auseinandersetzung auf sehr breiter politischer Front gebracht. Die bereits verschossene Munition kann sich sehen lassen:

• Seit dem Sommer hat die SPÖ bundesweit 6 Plakate affichiert, einen bunten Farbpostwurf versendet, Wählerbriefe ausgeschickt; dazu kommt eine unterstützende Inseratenkampagne.

• Die ÖVP war nicht so fleißig: bisher affichierte sie drei Plakatsujets und inseriert erst seit kurzer Zeit mit eher ausgefallenen Aussagen: „Mit diesem Plakat (85 oder 85) wollen wir keinen Staat machen. Aber ihn schützen.“

• Die FPÖ wiederum plakatierte einmal ihre „Formel 70“ mit kleinen Variationen und inserierte in der Massenpresse sowie in zahlreichen Illustrierten.

Daß allzuviel an Wahlkampfbeschränkungen noch möglich ist, darf angesichts der krepierten Granaten bezweifelt werden. Kalkuliert man ein, daß die Plakatflächen durchwegs fix bestellt sind, die Feroseh- und Rundfunkwerbung vom ORF vergeben ist und gewisse Werbeträger praktisch feststehen, muß angefragt werden, wo man noch sparen könnte.

So sind auch alle Parteivorschläge hinsichtlich „offener Rechnungen“

relativ hinfällig. Ganz abgesehen davon, daß es noch in keinem westlichen Land möglich war, Klarheit über Ursprung und Höhe von Wahlspenden zu erhalten. Die Wege der Parteien zu ihren Geldgebern sind zu verschlungen, um ein Nachspüren zu ermöglichen. Und die Geldgeber aus den Sphären der Privatindustrie für die ÖVP wollen genauso anonym bleiben wie, die Finanziers von linksgesteuerten Banken, Versicherungen und Genossenschaften. Das Recht darauf, Wahlspenden anonym geben zu dürfen, sollte aber auch aus grundsätzlichen Motiven in einer rechtsstaatlichen Demokratie nicht in Frage gestellt werden.

Die SPÖ schlug auf ihrem letzten Parteivorstand vor, eine Kommission zu bilden, die jeweils prompt feststellen soll, „wann eine Diffamierung“ vorliegt. Und auch die ÖVP kommt mit dem Vorschlag eines Schiedsrichterkollegiums, das amtieren soll, wenn „Diffamierungen, welche nicht den Tatbestand einer im Strafgesetz geltenden Übertretung gegen die Sicherheit der Ehre erfüllen“, vorliegen. Die Distanz ist also minimal, was die Überprüfung betrifft. Die SPÖ will „bekannte und angesehene“ Juristen, die keine öffentliche Funktion mehr ausüben, die ÖVP „unabhängige Mitglieder aus dem Stand der pensionierten Richter“.

Freilich: Kann man sich in diesem

Richterkreis der „unabhängigen Parteidelegierten“ auch darauf einigen, was in einem Wahlkampf „Diffamierung“ ist? Die ÖVP subsumiert darunter „persönliche Angriffe“, betreffend die persönlichen Eigentumsverhältnisse, die rassische Abstammung und religiöse Zugehörigkeit. Aber in dieser Beziehung ist der Wahlkampf ja schon munter entbrannt: Die SPÖ hat sich nicht gescheut, die Besitzverhältnisse von Josef Klaus und Georg Prader in aller Ungeniertheit zu behandeln. Und in der ÖVP gibt es einen uns bekannten höheren Funktionär, der sich Bruno Kreisky bei Versammlungen nach Israel wünscht

Schließlich, freilich, beinhaltet der Wahlübereinkommensentwurf noch eine äußerst seltsame Passage, die bereits im Abkommen aus dem Jahre 1966 enthalten war: demzufolge verzichten die politischen Parteien auf pressegesetzliche Entgegnungen. Die jeweilige gegnerische Parteizeitung ist nicht an die Vorschriften des Pressegesetzes gebunden.

Was heißt das? Nicht mehr und nicht weniger, als daß es Zeitungen erster und zweiter Ordnung nach Ansicht unserer Parteien gibt. Solche nämlich, die durch ein antiquiertes Pressegesetz schikaniert werden können (unabhängige Zeitungen) und solche, die an keinerlei Vorschriften gebunden sind (privilegierte Parteiblätter).

Wahlkampfabkommen hätten freilich den grundsätzlichen Zweck, Wahlkämpfe nicht in Hunnenkriege ausarten zu lassen und Information anstatt Polemik dem Wählervolk vorzuführen.

Noch immer ist der Wähler für den Politiker ein meinungsarmes Neutrum, das man quasi mit dem Holzhammer bearbeiten muß. Dabei ist hinlänglich bekannt, daß nur der sogenannte Wechselwähler den Ausgang der Wahl entscheidet. Wer aber zwischen den Parteien zu wechsln bereit ist, zeigt nicht nur ein höheres Maß an politischer Mobilität, sondern auch eine Bereitschaft zur geistigen Beschäftigung mit den Argumenten der Parteien. Wechselwähler sind gescheite Wähler. Und die nächsten Wahlen gewinnt der, der die gescheiteren Argumente für gescheitere Wähler auf den Tisch legt

Was nicht heißen soll, daß der Wahlkampf zu einer Kindergartenjause zu werden braucht: Psychologen sprechen vom „Klima“, das in der Demokratie notwendig ist, um die Wähler in entsprechender Zahl überhaupt zu den Urnen zu locken. Aber die gleichen Psychologen sagen den Parteien auch, daß Schärfe und Härte in einer Wahlkampf Strategie dort ihre Grenzen haben, wo sie den mündigen Bürger durch ihre Übertreibung frustrieren und irritieren.

Die Meinungsforscher und Statistiker haben für den kommenden Waffengang 600.000 Wechselwähler und 500.000 Jungwähler ermittelt. Diese Gruppe, die bereits ein Viertel der Wahlberechtigten ausmacht, ist weder von Polemiken aus der Zeit von Vorgestern, noch von Diffamierungen aus dem Reagenzglas von Greuelküchen zu gewinnen. Aber sie ist so zu verscheuchen, daß der parlamentarischen Demokratie ein schlechter Dienst erwiesen wird.

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