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Wahltag in Israel

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Zum dritten Male seit dem Jahr seiner Gründung, 1948, haben in Israel Parlamentswahlen stattgefunden: richtige demokratische Wahlen mit richtigen demokratischen Ergebnissen, die die Meinung der Bürger des Landes zur Innen-und Außenpolitik widerspiegeln. Daß dies vor allem betont wird, hat seinen guten Grund: denn hätte man sich noch vor zehn Jahren nach dem Stande der Demokratie im Nahen Osten erkundigt, so wäre keine derart positive Antwort über das Funktionieren der Demokratie auf diesem historisch und biblisch unendlich bedeutsamen Stück Erde erteilt worden.

Man braucht somit keinesfalls ein kritikloser Bewunderer Israels zu sein, wenn man seiner Demokratie alle Ehre widerfahren läßt. Israel hat allgemeine, freie und geheime Wahlen, hat Gleichberechtigung und Wahlrecht der Frauen, ein unpolitisches Heer und ein unpolitisches Beamtentum, eine freie Presse und eine große Zahl von Parteien, die von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken reichen, neben den gemäßigten Parteien in der Mitte. Zu den Wahlen des 26. Juli waren nicht weniger als 19 Wahllisten eingereicht worden. Die große Tageszeitung „Jedioth Chadashoth“ stellte in einem Artikel vor den Wahlen fest, es möge Menschen geben, die in der Zahl von 19 Wahllisten in einem Staate von kaum 1,7 Millionen Einwohnern ein sinnloses und lächerliches Splitterparteiwesen sehen, das durch Einführung eines neuen Wahlrechtes beseitigt werden müsse: aber anderseits sollte man, gerade wenn man die Idee der Demokratie in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellt mit der Forderung auf Llnterdrückung kleinerer Fraktionen vorsichtig sein: „Wo findet schließlich, im Bereich der öffentlichen Meinungsäußerung, die Demokratie ihren Ausdruck, wenn nicht in der freien Betätigungsmöglichkeit und der Bildung politischer Gruppen und Verbände?“

Der Wahltag in Israel hat — mit Ausnahme von ein paar kleinen Schlägereien im allzu lebhaften Austausch der Meinungen — wieder einen absolut würdigen Verlauf genommen. Und auch das Resultat spricht für die Demokratie, indem es offenbar werden läßt, daß die bisher an der Regierungsmacht befindlichen Parteien deren Spielregeln so korrekt eingehalten haben, daß sie auch eine gewisse Niederlage in Kauf nehmen müssen. Seit Bestehen des Staates Israel führte stimmenmäßig die Partei der gemäßigten Sozialisten, Mapai: es ist die Partei zahlreicher bekannter Zionisten „der ersten Stunde“, wie des bisherigen Ministerpräsidenten Mosche Sharett und des bisherigen Verteidigungsministers Ben Gurion — eine Partei, die bei aller Festigkeit in der Frage der Verteidigung der Grenzen des Staates Israel doch um Entspannung innerhalb der internationalen Probleme Israels, um Frieden mit den Arabern, um Zusammenarbeit mit der UNO und den Vereinigten Staaten sehr bemüht ist. Bis zum 29. Juni gehörten der Israel-Regierung auch die außenpolitisch ähnlich orientierten bürgerlichen „Allgemeinen Zionisten“ als aus den letzten Wahlen als zweitstärkste hervorgegangene Partei des Staates an, die innenpolitisch für freie Wirtschaft und gegen den sozialistischen Wohlfahrtsstaat ausgerichtet sind. Mit in der Regierung waren ferner die religiöse Arbeiterpartei Hapoel Hamisrachi und die kleine Intellek-tuellenpartei der „Progressiven“ („Hakidmah“). In der Opposition standen die Kommunisten, die vereinigten linkssozialistischen Mapam-Leute, von denen sich im Laufe der Parlamentsperiode seit den letzten Wahlen fast die Hälfte der Abgeordneten löste und als neue sozialistische Partei „Achduth Awodah“ - „Ehre der Arbeit“ — konstituierte, die streng religiösen Agudas-Gruppen und die aus den früheren Revisionisten hervorgegangene Rechtspartei „Cheruth“ („Freiheit“), eine Partei mit dem Programm der Eroberung ganz Palästinas für Israel, die angesichts der dauernden Grenzzwischenfälle mit ihrer Propaganda einer Politik der starken Hand gegenüber den Arabern dem Ressentiment des kleinen' Mannes sehr entgegenkam. Diese Cheruth-Partei, geführt von den beiden ausgezeichneten Volksrednern Menachem Beigin und Dr. Bader, ist die eigentliche Siegerin der Wahlen vom 26. Juli. Sie hat die „Allgemeinen Zionisten“, die von ihren bisher 23 Mandaten 10 verloren haben, von der Stelle der zweitstärksten Partei verdrängt und mit 13,25 Prozent aller Stimmen an ihren Platz vorzurücken vermocht. Die Mapai ist wohl immer noch die stärkste Partei im Staate geblieben, hat aber statt 38 nur noch 32 Prozent der Stimmen erzielt und sechs Mandate eingebüßt. Die religiösen Parteien, ob in der Regierung oder in der Opposition, haben sich zu halten vermocht: von den Oppositions-Links-sozialisten haben die abgesplitterten „Achduth-Hawodah“-Anhänger mit etwas über 8 Prozent . die Rest-Mapam mit nur 7 Prozent der Stimmen hinter sich gelassen, die Kommunisten sind bei ihren unansehnlichen 4 Prozent verblieben und die Progressiven haben mit 4,6 Prozent ein Mandat hinzugewonnen.

Der Rückgang der Mapai-Stimmen hat neben der nicht genug energischen Araberpolitik, die von den im Grenz- und Wüstengebiet neu angesiedelten und mit ihrem Blute zahlenden Neueinwanderern der letzten Jahre als unglücklich empfunden wurde, noch einen zweiten Grund: nämlich den vielleicht allzu schnellen Einsatz der Partei und der Regierung gegen ein richterliches Urteil in einem Verleumdungsprozeß, durch das der Kläger, der Leiter des Hilfswerks der ungarischen Juden während der Nazizeit, Dr. Israel Kaitner, der Zusammenarbeit mit der Gestapo und der Schuld am Tode von Hunderttausenden seiner Schicksalsgenossen belastet worden ist. Aber den „Allgemeinen Zionisten“ hat es in der Wahlkampagne auch nicht genützt, wegen der Haltung der Mapai im Falle Kastner am 29. Juni aus der Regierung ausgetreten zu sein: hier muß der Grund des Rückgangs der Stimmen eher im Sog der sozialistisch orientierten Gewerkschaft (Histadruth) gesucht werden, die der überwiegenden Masse der kleinen Leute mehr Sicherheit zu bieten verspricht als das Wagnis der freien Wirtschaft.

Für die Bildung einer neuen Regierung, die den demokratisch zutage getretenen Volkswillen repräsentiert, bestehen nun gewisse Schwierigkeiten. Ist eine Koalition Mapai-Cheruth als Zentrum denkbar? Gewiß,hat die Mapai während des Wahlkampfes schärfere Töne gegenüber den durch die Araber ständig verursachten Inzidenten angeschlagen. Ben Gurion hat in einer Wahlrede in Beer Schewa versprochen, „eventuell mit Gewalt Ordnung zu schaffen“: im Zusammenhang mit der Beschießung eines britischen Schiffes durch die Aegypter bei der Einfahrt nach Akaba erklärte er wörtlich, die ägyptische Blockade am Roten Meer sei untragbar, und die israelische Marine, Luftwaffe und Armee werde, wenn nötig, die freie Schiffahrt nach dem israelischen Rot-Meer-Hafen Eilath sichern. Auch der vorsichtigere Ministerpräsident Sharett hat ähnliche Formulierungen verwendet, obwohl seine Erfahrung auf dem Gebiete der internationalen Politik, namentlich der USA, ihm bis jetzt regelmäßig gezeigt hat, welcher Ablehnung jede israelische Repressalie begegnet. Kann die Mapai die als terroristisch verschriene Cheruth als Partner zur Regierungsbildung heranziehen? Dies ist um so weniger wahrscheinlich, als Israel in allernächster Zeit seine Beziehungen zur deutschen Bundesrepublik, die durch ihre „Reparationslieferungen“ zum Aufblühen der israelischen Wirtschaft nicht wenig beigetragen hat, regulieren muß — Beziehungen, welche von der „Cheruth“ mit ressentimentgeladener Un-versöhnlichkeit grundsätzlich abgelehnt werden. Dagegen hat sich im Wahlkampf die linkssozialistische Partei „Achduth Awoda“ als möglicher Partner der Mapai in einer künftigen Regierung auf breiter Grundlage vorgestellt, die auch alle bisherigen Regierungsparteien einschließlich der geschwächten Allgemeinen Zionisten umfassen müßte. An der Spitze der „Achduth Awoda“, die mit der prosowjetischen außenpolitischen Einstellung der „Mapam“ gebrochen hat, steht General Jigal Alon, der Schöpfer der Stoßtruppen „Palmach“ während des israelischen Befreiungskrieges, der mit seinen Leuten große Popularität genießt. Jigal Alons Wahlrede, in der er von der Anwendung von Gewalt gegen die Araber „zur richtigen Zeit und am richtigen Platz“ gesprochen hat, “verrät Kenntnis der Volksseele und der politischen Notwendigkeiten des kleinen Staates Israel zugleich. Man wird mit Interesse den Pourparlers zur Bildung der neuen Regierung folgen: in der Hoffnung, daß sich die israelische Demokratie auch bei dieser Aufgabe bewähre und niemals der Versuchung anheimfalle, den Feinden der Demokratie die Bahn frei zu geben.

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