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Wahltag mit Fragezeichen

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Die Erinnerung an das Versagen der Auguren vor den deutschen Bundestagswahlen des Jahres 1965 hat die Meinungsforscher zurückhaltend gemacht: Werden im privaten Kreis Bierkrügelwetten auf ein Grundmandat von Franz Olahs DFP abgeschlossen, so geben sich diesmal die offiziösen Demoskopen geheimnisvoll. Nur die „Aktion Mundfunk” ist — natürlich — geschwätziger und schreckt den unentschlossenen Wähler mit der Tatsache, daß angeblich nur sechs Stimmen in der Lage sind, die absolute „schwarze” Mehrheit zu verhindern.

Sicherlich: mögliche Wahlergebnisse vorauszusagen überschreitet die Grenzen jeglicher politischer Realität, doch kann man vorausschauend wohl die traditionellen politischen Lager in Österreich und ihre Beharrlichkeit berücksichtigen, die einen richtigen „Erdrutsch” zur politischen Sensation machen würden. Berücksichtigt man aber diese abgegrenzten Fronten und ihr seit 1918 stets ungefähr gleiches Stimmenreservoir, so läßt sich doch — auch ohne Horoskop und Kaffeesud feststellen, daß Mandatsverschiebungen am 6. März nur dort eintreten werden, wo entweder ein Mandat nur mit knapper Stimmenmehrheit gewonnen werden konnte oder aber nur wenige Stimmen auf einen weiteren Mandatsgewinn fehlten. Eine von der Katholischen Sozialakademie in Wien angestellte Studie hat nun versucht, die Auswirkungen solcher geringer Stimmschwankungen in den einzelnen Wahlkreisen zu berechnen, wobei allerdings auch die Folgen für das zweite Ermittlungsverfahren einkalkuliert werden müssen.

Wien: „Teurere” Restmandate

Im Wahlkreisverband I (Wien) — die Wahlkreise 1 bis 7 — erhielt 1962 die ÖVP 12 Grundmandate und zwei Restmandate, die SPÖ 20 Grundmandate und zwei Restmandate, die FPÖ nur zwei Restmandate. 182 Stimmen trennten die Sozialisten Im Wahlkreis 1 damals von einem weiteren Grundmandat, das am 6. März dank der KP-Wahl- empfehlung durchaus erreichbar scheint. Im Wahlkreis 2 wiederum kam die ÖVP knapp an ein weiteres Grundmandat heran, von dem sie — in drei „bürgerlichen” Bezirken — nur 581 Stimmen trennten. Eine der beiden Großparteien wäre also durchaus in der Lage, für sich in Wien ein Grundmandat mehr als 1962 zu erringen. Folge: Die Restmandate würden „teurer” vor allem für die Freiheitlichen, die auf eines ihrer beiden Restmandate dann wohl verzichten müßten.

In die erfreuliche Hoffnung, möglicherweise ein weiteres Grundmandat zu bekommen, teilen sich im Wahlkreisverband I Rot und Schwarz, außerdem noch ln das beruhigende Gefühl, in fast allen Wahlkreisen einen genügenden Stimmenüberhang zu besitzen. Die nur 1503 SPÖ-Stimmen, die diesen Überhang im Wahlkreis 7 (Wien- Nordost) ausmachen, werden immerhin durch die 8266 Wähler gestützt, die 1962 bei den Kommunisten als „Kreuzeischreiber” fungierten. Eines der beiden freiheitlichen Restmandate allerdings — siehe oben — wackelt…

Über den Beschluß der KPÖ, nur wenn auch unter Aufbietung aller legal gerade noch möglichen Mittel, etwa kurzfristiger Übersiedlungen — im Wahlkreis 4 (die Wiener Bezirke Leopoldstadt, Floridsdorf und Donaustadt) zu kandidieren, hat ihr Spitzenkandidat Franz Muhri dieser Tage festgestellt: „Die SP-Führung, der ein Kommunist im Parlament unangenehm wäre, hat nun ihren Vertrauensleuten ein Ziel gesetzt, das sie nie erreichen können: zu den vier Grundmandaten … ein fünftes Mandat zu gewinnen. Die SP hat keine Aussicht, im Wahlkreis 4 ein fünftes Mandat zu gewinnen, nicht zuletzt deshalb, weil sie zweifellos Stimmen an Olah verlieren wird…

Ein fünftes Grundmandat gegen Großkapital und Reaktion kommt nur zustande, wenn die Kommunisten im Wahlkreis 4 7000 Stimmen dazugewinnen…”

Einwände, daß die ausschließliche Kandidatur im Wahlkreis 4 die Kommunisten schließlich um Rest- stimmen bringt, läßt Muhri nicht gelten: „Wir wollen die absolute

Mehrheit der ÖVP verhindern, und deshalb setzten wir überall unsere Stimmen so ein, wie sie zur Erreichung dieses Zieles am wirksamsten sind.”

48 Stimmen für ein Mandat

Im Wahlkreisverband II — die niederösterreichischen Wahlkreise 8 bis ll — erhielt die ÖVP 1962 17 Grundmandate und ein Restmandat, die SPÖ 13 Grundmandate und ein Restmandat, die Freiheitlichen schließlich ein Restmandat. Im St. Pöltner Wahlkreis 8 waren es damals ganze 48 Stimmen, die die Sozialisten von einem weiteren Grundmandat trennten. Überflüssig zu betonen, daß dieses Mandat am 6. März sicherlich errungen werden wird…

Im Wahlkreis ll (Viertel unter dem Manhartsberg) kam die ÖVP bis auf etwa 3800 Stimmen an ein weiteres Grundmandat heran. Das zweite Ermittlungsverfahren ließ bed der ÖVP rund 28.770 Stimmen, bei der SPÖ 24.221 Stimmen unaus- genützt. Die Freiheitlichen dagegen erwischten gerade noch ein Restmandat, können also nicht auf un- ausgenützte Stimmen zurückgreifen. Die Schrumpfung der freiheitlichen Wählerschicht und die „Verteuerung” der Restmandate durch Vergabe weiterer Grundmandate bringen deshalb auch im Wahlkreisverband II das Restmandat der FPÖ in Gefahr.

Ein weiteres ÖVP-Grundmandat im Wahlkreis ll wiederum würde aber bedeuten, daß die Reststimmenanzahl für das bisherige Restmandat nicht mehr ausreicht. Ein zusätzlicher Mandatsgewinn der ÖVP ist also nicht wahrscheinlich, wenn auch nicht ausgeschlossen.

Berechtigte Aussicht auf das Grundmandat im Wahlkreis 8 (St. Pölten) hat die SPÖ, außerdem als „Zuwaag’ “ 23.100 kommunistische Stimmen aus dem Jahr 1962: Mathematisch errechnet ein sicheres Restmandat. Die große Unbekannte in dieser Rechnung: Franz Olahs DFP, auch die Vorgänge im Raxwerk!

Ein Sieger, zwei Verlierer

Im Wahlkreisverband III, den Wahlkreisen 12 bis 19 (Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg), erhielten 1962 die ÖVP 27 Grundmandate und ein Restmandat, die SPÖ 17 Grundmandate und zwei Restmandate, die FPÖ konnte in Salzburg knapp — mit nur 5351 Stimmen Überhang — ein Grundmandat und zwei weitere Restmandate erringen. Im Wahlkreis 15 (Traunviertel) blieben der ÖVP nach Zuweisung ihrer drei Grundmandate nur 664 Reststimmen, im zweiten Ermittlungsverfahren dagegen wurden 22.181 Stimmen nicht ausgenützt: Bei Verlust eines Grundmandates immerhin noch begründete Hoffnung auf ein Restmandat! Der Grundmandatsverlust der FPÖ freilich wäre nur dann zu ertragen, würden die Sozialisten eines ihrer Restmandate abgeben müssen, was jedoch nicht ganz ausgeschlossen scheint, da die SPÖ 1962 im zweiten Ermittlungsverfahren kaum ausgenützte Stimmen für sich reklamieren konnte.

Aussicht auf Mandatsgewinn im Reststimmenverfahren hat im Wahlkreisverband IV also nur die ÖVP, da sie 1962 auch im zweiten Ermittlungsverfahren die große Anzahl von 22.181 Stimmen nicht auszunützen vermochte, während Sozialisten wie Freiheitliche unter Umständen den Verlust eines Mandats hinnehmen müßten.

Alles bleibt beim alten!

Im Wahlkreisverband IV, der die Wahlkreise 20 bis 25 (Steiermark, Kärnten und Burgenland) umfaßt, erhielt 1962 die ÖVP 20 Grundmandate und ein Restmandat, die SPÖ ebenfalls 20 Grundmandate und ein Restmandat, während die FPÖ in Kärnten ein Grundmandat — mit immerhin 13.274 Stimmen Überhang — und ein Restmandat für sich beanspruchen konnte.

Im Wahlkreis 21 (Mittel- und Untersteier) verfügte die ÖVP 1962 nur über einen Überhang von 3020 Stimmen, im Wahlkreis 22 (Oststeier) überhaupt nur über einen von 1924 Stimmen! Im zweiten Ermittlungsverfahren konnte sie deshalb Reststimmen verwerten. Trotzdem ist anzunehmen, daß die ÖVP den Verlust eines Grundmandates im zweiten Ermittlungsverfahren ausgleichen könnte. Im Wahlkreis 23 (Obersteier) kann die SPÖ auf einen Stimmenüberhang von 9797 im Jahr 1962 Verweisen. Addiert man die damals abgegebenen 13.924 kommunistischen Stimmen, so würden auf die Wahlzahl von 23.847 im Jahr 1962 nur 136 Stimmen gefehlt haben: Wenn aber die Sozialisten dieses Grundmandat erobern, so scheint wiederum das Restmandat, das 1962 mit 12.245 Stimmen abgesichert war, bedroht… Beide Parteien, die 1962 im Wahlkreisverband IV Sitze für ihre Abgeordneten erringen konnten, werden demnach wieder in der gleichen Stärke wie 1962 im Parlament vertreten sein.

Wahlprognose mit fünf Ergebnissen

Alle diese Überlegungen und Berechnungen für den Ausgang der Wahlen am 6. März führen nun nicht zu einem, sondern gleich zu fünf Ergebnissen. So scheinen mit einiger Sicherheit festzustehen:

• ein unwahrscheinliches Ergebnis: die absolute Mandatsmehrheit der SPÖ;

• ein wenig wahrscheinliches Ergebnis: die relative Mandatsmehrheit der SPÖ;

• ein wahrscheinliches Ergebnis: eine relative Mandatsmehrheit der ÖVP;

• ein immerhin mögliches Ergebnis: eine absolute Mandatsmehrheit der ÖVP;

• ein originelles Ergebnis: 79 ÖVP, 79 SPÖ, 7 FPÖ.

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