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"32 Verfassungsklagen wurden gegen das Kanal-Projekt eingebracht. Die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes, deren Mitglieder von Daniel Ortega ernannt wurden, hat sie allesamt vom Tisch gewischt."

Durch Nicaragua soll ein 278 Kilometer langer Kanal geschlagen werden, zwischen 230 und 530 Meter breit und damit breiter als der erweiterte Panama-Kanal. Das verfügt das Gesetz 840 aus dem Jahr 2013, das dem chinesischen Investor Wang Jing gleichzeitig die Souveränität über den Streifen für 50 Jahre überträgt. Die Bedenken gegen dieses Jahrhundertprojekt, dessen Kosten vorsichtig auf 50 Mrd. US-Dollar geschätzt werden, sind nicht unerheblich. Schließlich soll der Wasserweg 105 Kilometer durch den Nicaragua-See führen, das bedeutendste Trinkwasserreservoir des Landes. Abgesehen von den ökologischen Risiken im Falle einer Tankerhavarie sind auch die programmierten Wasserverluste gigantisch. Mit jedem Schiff, das auf die 26 Meter, die der See über dem Meeresspiegel liegt, angehoben wird, würden Millionen Liter Süßwasser in den Pazifik fließen. Unter Protesten begann im Dezember 2014 der Bau. Zwei Tage nach dem symbolischen ersten Spatenstich löste die Polizei mit Tränengas und Gewalt zwei Demonstrationen auf. Mindestens 15 Personen wurden nach Polizeiangaben verletzt, darunter mehrere Polizisten. Fünf Tage hatten Hunderte Bauern in dem Ort El Tule, 260 Kilometer östlich von Managua, die Verbindungsstraße zur Provinzstadt San Carlos besetzt. Sie hielten alle Fahrzeuge und Chinesen auf. Der chinesische Investor Wang Jing ließ nämlich bereits seine Leute ausschwärmen, um Grundstücke zu identifizieren, die für die Wasserstraße enteignet werden sollten. Obwohl der Unternehmer allen Betroffenen eine angemessene Entschädigung zusicherte, herrscht bei den Bauern Verunsicherung. Gegen das Projekt konstituierte sich eine Bürgerplattform, die eine ökologische Katastrophe befürchtet. Der Nicaraguasee ist nur zwischen zwölf und 15 Metern tief. Für Hochseefrachter müsste eine Fahrrinne von 30 Metern Tiefe geschlagen werden. 32 Verfassungsklagen wurden von verschiedenen Organisationen gegen das Kanalprojekt eingebracht. Die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes, deren Mitglieder von Daniel Ortega ernannt wurden, hat sie allesamt vom Tisch gewischt.

Infrastruktur versus Umweltschutz

Nicaragua ist das ärmste Land Zentralamerikas. Selbst hinter dem wenig entwickelten Honduras liegt es in den wichtigen wirtschaftlichen Indikatoren zurück. Um die Bevölkerung nachhaltig aus der Armut zu holen, brauche das Land ein anhaltendes Wachstum von mindestens zehn Prozent, rechnete Präsidentenberater Paul Oquist vor. Das sei nur mit einem Megaprojekt wie dem Kanal möglich. Um ihn herum würden zehn weitere Infrastrukturprojekte entstehen: darunter zwei Tiefseehäfen, ein internationaler Flughafen, eine Autobahn, eine Eisenbahn, eine Ölpipeline, Touristen-Resorts und eine Freihandelszone. 50.000 Arbeitsplätze würden auf Dauer geschaffen. Die ökologischen Bedenken wischte Oquist beiseite. Die chinesische Technologie könne alle Umweltprobleme lösen.

In der renommierten US-Fachzeitschrift Nature gingen Fachleute hingegen von der Zerstörung von 400.000 Hektar Urwald und Feuchtgebieten aus. In Mitleidenschaft gezogen würden auch die Naturschutzgebiete Bosawás und Indio Maíz. Bedroht wären zudem die schützenden Korallenriffe und Mangrovenwälder am Atlantik sowie die Strände, wo Meeresschildkröten ihre Eier ablegen. Der seltene Baird Tapir, der Geoffroy-Affe und der Jaguar würden ihr Habitat verlieren oder durch die künstliche Wasserstraße entzwei geschnitten finden.

Nur hinter vorgehaltener Hand sprach man in Nicaragua von geostrategischen Interessen Chinas. Wang Jing bestritt zwar stets, Beziehungen zu den KP-Chefs zu haben. Doch kann sich kaum jemand vorstellen, dass sich ein Unternehmer ohne politische Absicherung auf ein so gigantisches Unterfangen einlässt. Inzwischen ist der Kanal aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden. Es verdichtet sich der Eindruck, dass das Kanalprojekt immer eine gigantische Fehlspekulation gewesen ist. Die Demonstranten der jüngsten Proteste fordern jetzt die Annullierung des Kanalgesetzes. Denn es erlaubt immer noch Enteignungen und öffnet der Immobilienspekulation auf Kosten der Bevölkerung Tür und Tor.

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