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Impressionen aus einer modernen Metropole, die ihrer Geschichte entkommen will.

Wo einst das Zentralkomitee der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei tagte, wechseln heute Aktien den Besitzer. In der Ironie der Geschichte, dass sich die Warschauer Börse ausgerechnet im ehemaligen KP-Sitz angesiedelt hat, verdichtet sich sowohl der rasante Wandel, den Polen in den 13 Jahren seit dem Zusammenbruch des Kommunismus erfahren hat, als auch der prekäre Umgang mit der Vergangenheit, der in dem zentraleuropäischen Land allenthalben anzutreffen ist. Während die Auseinandersetzung darüber in Intellektuellenzirkeln sehr wohl stattfindet, neigt das offizielle Polen noch dazu, Vergangenes eher unter den Tisch zu kehren als offen anzusprechen. Der EU-Beitrittskandidat Polen - ein Land, das sich auf seiner Reise in die Zukunft der Vergangenheit zu entledigen versucht.

Verdrängte Vergangenheit

Warschau heute: Die polnische Hauptstadt gibt sich den Anschein, als hätte es die langen Jahre des Kommunismus nie gegeben. An schnurgeraden, mehrspurigen Straßen, den Lebensadern der wuchernden Ränder, reihen sich verspiegelte Bürobauten, Einkaufszentren und McDonald's- oder Pizza Hut-Drive-Ins. Im Zentrum entstanden und entstehen spektakuläre Neubauten von Stararchitekten wie Norman Foster oder Frank Gehry. Von Jazzfestivals bis hin zu einer perfekten Aufführung des Musical-Klassikers "Grease", von Oper bis Avantgardetheater bietet sich ein reiches Kulturprogramm. Auf der schicken Flaniermeile, der "Nowy Swiat" ("Neue Welt"), flaniert jene Jeunesse dorée, die sich in hippen Lokalen wie dem "Club Soma" an indonesischen Gemüseröllchen labt, das nagelneue Handy stets griffbereit. Ostalgiker aus dem Westen, die der Schimäre des Ostblock-Charmes nachweinen, kommen in Warschau nicht auf ihre Rechnung. Selbst auf dem riesigen Markt im stillgelegten DziesiecioleciaStadion verkaufen die russischen, weißrussischen und ukrainischen Händler nicht obskuren Ostblock-Trash, sondern modische Kleidung, neueste Software und die aktuellen CDs westlicher Popstars von Shakira bis zu den Rolling Stones - Raubkopien, versteht sich.

Ein gutes Beispiel für den Umgang mit der Vergangenheit ist der Kulturpalast in Warschau. Der 234 Meter hohe Koloss ist das beeindruckendste Bauwerk Warschaus. Dieses Juwel des monumentalen Spätklassizismus ist nicht einmal Teil des offiziellen Besuchsprogramms, Postkarten, auf denen der 1955 fertiggestellte Kulturpalast abgebildet ist, sind vergleichsweise rar. In unmittelbarer Nähe wurde ein Hochhaus errichtet, ein zweites ist in Bau - ein stadtplanerisches Verbrechen, durch das ein einzigartiges Stadtpanorama unwiderruflich zerstört wurde. Nur weil der Kulturpalast mit der ungeliebten kommunistischen Vergangenheit verbunden ist. Er war von Stalin als "Geschenk" an Warschau gedacht. Einst das meistgehasste Gebäude der Stadt, schlägt ihm nun "wohlwollende Gleichgültigkeit" entgegen, wie die Reiseführerin formuliert.

Es scheint, als wollten viele Polen nicht nur die Zeit des Kommunismus so schnell wie möglich vergessen, sondern dass die Verdrängung sogar bis 1795 zurückreicht, als Polen von der Landkarte verschwand. Es dürfte kein Zufall sein, dass wenig im Stadtbild Warschaus an das 19. und frühe 20. Jahrhundert erinnert. Im Zweiten Weltkrieg wurde Warschau zu 79 Prozent zerstört, nach dem Warschauer Aufstand 1944 machten die Deutschen fast alles am linken Ufer der Weichsel, was die schweren Kämpfe überstanden hatte, dem Erdboden gleich. In einem nationalen Kraftakt und mit einer atemberaubenden Authentizität baute Polen Teile der systematisch zerstörten Stadt wieder auf: Besonders auf den Wiederaufbau der gesamten barocken Altstadt und des Königsschlosses ist man zu Recht stolz - allesamt Baudenkmäler aus der guten alten Zeit vor der dritten polnischen Teilung. Auf die Wiederherstellung der Gebäude aus jener Zeit, in der Polen nicht existiert hat, wurde weniger Wert gelegt. Anders als in Prag oder Budapest gibt es daher keines der für Zentraleuropa typischen Gründerzeitviertel mehr - eine Besonderheit Warschaus, die Polens Hauptstadt ein sehr modernes Antlitz verleiht.

Polens Probleme

Freilich gibt es auch das rückständige, hässliche Polen. Obwohl Antisemitismus theoretisch strafbar ist, ist er allgegenwärtig. Unter Fußballfans ist es üblich, die Gegner als "Juden" zu beschimpfen. In manchen Kiosken in Warschau kann man Broschüren mit dem Titel "So erkennst Du einen Juden" kaufen. Ein rechtspopulistischer Abgeordneter bezeichnete im Parlament einen hohen Regierungsbeamten als "Judenknecht" und forderte ihn auf, die Hosen herunterzulassen, um zu beweisen, dass er ein "echter Pole" sei.

Laut der letzten Umfrage sind 57 Prozent der Polen für den EUBeitritt und das Tor zu Europa steht für Polen jetzt weit offen. Wenn es endlich dort angelangt ist, wo es immer schon hingehörte, wird sich wohl auch die Verkrampfung im Verhältnis zur eigenen Geschichte lockern. Hoffentlich ist bis dahin der Warschauer Kulturpalast nicht zur Gänze von gesichtslosen Wolkenkratzern umstellt.

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