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Warten auf das Ende

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Totgesagte leben länger. Das ist aber auch der einzige Grund, warum die Koalition zwischen Franz Vranitzkys SPÖ und Erhard Buseks ÖVP länger Bestand haben könnte, als angenommen.

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Totgesagte leben länger. Das ist aber auch der einzige Grund, warum die Koalition zwischen Franz Vranitzkys SPÖ und Erhard Buseks ÖVP länger Bestand haben könnte, als angenommen.

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Die prominenten Kommentatoren des Landes sind sich einig: die Tage der Großen Koalition sind gezählt. Es sei eine „gute Nachricht“, daß „wir diese Regierung wohl nicht lange haben werden , spottete etwa Kurier-Chefredakteur Peter Rabl. Und profil-Herausgeber Hubertus Czernin urteilte: „Der Politiker Franz Vranitzky hat sich ebenso überlebt wie die von ihm präsentierte neue Koalition.“

Wer das 56-seitige Arbeitsüber- einkommen zwischen SPÖ und ÖVP zur Bildung einer gemeinsamen Bundesregierung liest, wird den Eindruck nicht los, daß es den beiden Koalitionsparteien tatsächlich nur mehr um ein letztes Rückzugsgefecht geht: halbherzige Formulierungen zu den Themenbereichen „Kammern“, „Demokratie“, „Justiz“; Allgemeinplätze im Abschnitt „Informationsoffensive“; zaghafte Reformansätze in den — euphemistisch mit „Aufschwung“ übertitelten - Kapiteln „Wirtschaft und Infrastruktur“; nebulöse Formulierungen unter dem Titel „Steuern“ (wobei auffällt, daß diesmal die Ankündigung einer Tarifanpassung von Lohn- und Einkommenssteuer zur Abgeltung der „kalten Progression“ fehlt); unkonkrete Absichtserklärungen zu „Arbeitswelt und Soziales“; Marginalien im Kapitel „Frauen und Familie“; Altbekanntes und noch immer nicht Verwirklichtes im Abschnitt „Gesundheit“ (also die leistungsorientierte Spitalsfinanzierung); und auch die Kapiteln „Wohnen“, „Umwelt“, „Bildung und Kultur“, „Sicherheit“ und „Europa“ sind inhaltlich bestenfalls die kleinsten gemeinsamen Nenner aus den Waschzetteln der Routinepressekonferenzen der beiden Parteien zu dfti jeweiligen Themen.

So nebenbei — als ob das so nebenbei ginge und dazu nicht ein breiter gesellschaftlicher Konsens notwendig wäre — will man halt noch die maroden Staatsfinanzen sanieren (dazu auch Seite 2 und 5), ehe sich die Wege der einstigen Groß- parteien endgültig trennen. Und das sind dann auch die einzigen halb-wegs konkreten Formulierungen, die im Regierungsübereinkommen zu finden sind: von den „konsolidierungskonformen Gehaltsabschlüssen“ für den Öffentlichen Dienst und über die Mittelkürzung für die Familien bis zu den Änderungen bei den Pensionsregelungen.

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Wer sich seit dem 9. Oktober in den beiden Regierungsparteien umgehört hat, der weiß, daß der Glaube an eine strahlende Zukunft der Großen Koalition längst verloren gegangen ist. Trifft man Spitzenpolitiker von SPÖ und ÖVP abseits von Fernsehkameras und Rundfunkmikrophonen, wird auch zumeist ein ganz anderes Zukunftsbild skizziert, als es das Koalitionsübereinkommen in seiner Diktion vorgaukeln möchte. „Eigentlich geht es nur mehr darum, zum richtigen Zeitpunkt die richtige Gelegenheit zu nützen, um aus der Koalition aussteigen zu können“, formulierte etwa ein ÖVP- Spitzenpolitiker vor wenigen Tagen. Und in der SPÖ hofft man darauf, zumindest so lange noch gemeinsam mit der ÖVP durch tauchen zu kön nen, bis eine „Ampelkoalition“ mit den Grünen und dem Liberalen Forum - nach Neuwahlen — auch über eine parlamentarische Mehrheit verfugt.

In beiden Parteien ist man sich dabei bewußt, daß ein Koalitions- wechsel natürlich auch mit einem Wechsel an der jeweiligen Parteispitze verbunden wäre. Und das ist auch der Kitt, der die Koalition tatsächlich zusammenhält: Franz Vranitzky und Erhard Busek können nichts anderes, als eine gemeinsame Koalition bilden. Und beide wissen, daß ihr politisches „Überleben“ mit dem Fortbestand der Koalition verbunden ist. So lange es ihnen gelingt, ihre innerparteilichen Kritiker auf Distanz zu halten — und Nachfolger sind derzeit weder da noch dort in Sicht -, wird auch die Koalition weiterwursteln. Totgesagte leben länger.

Was dabei komplett vergessen wird: der Riß, der mittlerweile quer durch die Bevölkerung geht (siehe FURCHE 47/1994) und von dem FPÖ-Chef Jörg Haider automatisch profitiert, wird, wenn das jetzige Arbeitsübereinkommen verwirklicht werden sollte, nicht kleiner werden. Im Gegenteil: es wird die Zahl jener, die sich - gerechtfertigt oder nicht - benachteiligt fühlen, nur vergrößern. Von den Mehrkind-Familien über die Beamten — bislang eine treue Stammwählerschaft der Koalitionsparteien — bis zu den PensionL sten.

Es bleibt zu hoffen, daß eine neue Politikergeneration — die derzeit noch nicht in Sicht ist - die Gefahren erkennt, die aus dieser Spaltung der Gesellschaft drohen, und die auch den Mut und die Kraft hat, über bisherige Tabulinien hinweg so etwas wie einen solidarischen gesellschaftlichen Grundkonsens wieder-herzustellen.

Bis dahin heißt es: Warten auf das Ende der Großen Koalition.

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