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„Was ich in Brüssel gesagt habe“

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Ich möchte festhalten, daß es über die Zweckmäßigkeit der österreichischen Neutralität, ja über ihre Notwendigkeit in Österreich keinerlei differente Auffassungen gibt und das ganze österreichische Volk diese völkerrechtliche und militärische Neutralität des Landes aufrichtig begrüßt.

Ich lege auf diese Feststellungen ganz besonderen Wert, weil im Zusammenhang mit der Diskussion über die europäische Integration das Problem der Neutralität eine besondere Rolle spielt. Ich werde später noch einiges dazu zu sagen haben, erlaube mir aber jetzt schon festzustellen, daß die Neutralität Österreichs ein Faktum ist, das in der europäischen Politik anerkannt werden muß. Es wäre auch verhängnisvoll, zu glauben, daß die Neutralität als solche eine Einrichtung der Vergangenheit ist, die in der Gegenwart und Zukunft Europas keinen Platz mehr finden dürfte. Es fällt mir nicht schwer, die Behauptung an Hand des österreichischen Beispiels zu beweisen. Die Festlegung der österreichischen Neutralität war eine Voraussetzung für den Abschluß des österreichischen Staatsvertrages von 1955 und damit auch eine Voraussetzung für die Wiederherstellung der Souveränität Österreichs. Die Neutralität bleibt aber auch, ganz abgesehen von dem schon erwähnten inneren Bekenntnis des österreichischen Volkes zu ihr, eine Grundlage für die Bewahrung der österreichischen Souveränität in Zukunft. Ein Land von der Größe, der geographischen Lage und den militärischen Möglichkeiten Österreichs hätte keine Chance, seine Freiheit auch in Zukunft zu bewahren, wenn es nicht die Absicht hätte, an der Neutralität festzuhalten. Da man, wie uns die Geschichte der letzten Jahrzehnte deutlich vor Augen geführt hat, in Europa aber auch ohne ein selbständiges Österreich keine Politik des Friedens führen kann, ist die österreichische Neutralität eben auch eine der notwendigen Komponenten des Friedens in Europa.

Es erscheint mir daher auch notwendig, eindeutig festzustellen, daß die völkerrechtliche und militärische Neutralität Österreichs nach unserer Auffassung kein wie immer geartetes Hindernis für eine freie, nach den wirtschaftlichen Bedürfnissen ausgerichtete Wirtschafts- und Handelspolitik sein kann. Abgesehen davon, daß es den Begriff einer wirtschaftspolitischen Neutralität im Kodex des Völkerrechts überhaupt nicht gibt, kann und darf zum Beispiel auch die Frage von Handelsverträgen nicht anders als nach rein ökonomischen Grundsätzen beurteilt werden.

Der neutrale Staat und die internationalen Gemeinschaften

Schwieriger wird das Problem sicherlich, wenn es sich um die Entscheidung handelt, wie die wirtschaftlichen Beziehungen eines neutralen Staates zu internationalen Gemeinschaften geregelt werden sollen, die neben wirtschaftspolitischen Zielen auch solche rein politischer Natur verfolgen.

Österreich hat den ersten tatsächlichen Schritt zu einer europäischen Integration, nämlich den Vertrag von Rom über den Gemeinsamen Markt, lebhaft begrüßt. Ich bitte Sie, verbindlich zur Kenntnis zu nehmen, daß wir Österreicher im EWG-Vertrag einen wirklichen und erfolgreichen Integrationsschritt sehen und vor allem anerkennen, daß es der entscheidende Schritt zur europäischen Integration war und daher auch der schwierigste. Wir sind uns dessen vollkommen bewußt, daß es ohne den Vertrag von Rom bis heute keine weiteren Integrationsbemühungen gegeben hätte, und wir sehen daher im Vertrag der Sechsergemeinschaft eine wahrhafte Initialzündung für die kommende europäische Wirtschaftsentwicklung. Wie Sie sehen, nehme ic!i keinen Anstand daran, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft lebhaft zu begrüßen, obwohl gerade Österreichs Sorgen mit der europäischen Integration nicht die allergeringsten sind.

Vertane Möglichkeit: Große Freihandelszone

Wir haben, als schon während der Endbemühungen um den Römer Ver-

trag die Idee einer großen europäischen Freihandelszone auftauchte, diesen Gedanken mit besonderer Begeisterung begrüßt, weil wir in einer gesamteuropäischen Freihandelszone die notwendige und sinnvolle Ergänzung der westeuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft erblicken konnten. Die Enttäuschung über das Scheitern einer Großen Freihandelszone mußte daher sehr groß sein.

Ich möchte nun auch einige Worte zur Europäischen Freihandelsvereinigung von Stockholm sagen. Da es also nicht möglich war, zu einem gesamteuropäischen wirtschaftlichen Arrange-

ment zu kommen, war es nur logisch, daß sich in Europa eine zweite Staatengruppe bildete, die ihrerseits den Weg zur Integration in Form einer Freihandelszone beschritt. Die Konvention von Stockholm über die EFTA muß daher als ein weiterer europäischer Integrationsschritt anerkannt werden. Daß Österreich sich dieser Kombination angeschlossen hat und nicht dem Gemeinsamen Markt, hat verschiedene, vor allem auch die bekannten politischen Gründe. Da die Verhandlungen über die Große“ Freihandelszone scheiterten, stand Österreich vor der Frage, ob es sich nun der Kleinen Freihandelszone von Stockhorm anschließen oder allein bleiben sollte. Da das Alleinbleiben aber die handelspolitische Diskriminierung nicht nur seitens der EWG, sondern auch seitens der EFTA zur Folge gehabt hätte, mußte Österreich den Weg nach Stockholm gehen.

Eine Klarstellung

Nun steht die Frage einer europäischen Integration auf politischer Basis zur Diskussion, aufbauend auf den Vertrag von Rom, der allerdings keine einzige politische Bestimmung enthält, dessen Annahme für dritte Staaten aber ein ganz bedeutsames politisches Faktum darstellt. Verzeihen Sie, wenn ich hier ganz dezi-diert erklären muß, daß eine politische europäische Integration, die alle freien Nationen dieses Kontinents umfassen soll, nicht möglich ist. Eine politische Integration des ganzen freien Europa ist irreal! Ich spreche hier nicht nur als Vertreter eines neutralen Staates, sondern ich brauche bloß auf die historisch begründete Vielgestaltigkeit des europäischen politischen Empfindens zu verweisen, um damit schlüssig zu beweisen, daß es eine politische Integration des ganzen freien Europa nicht geben kann. Diese Feststellung schließt keineswegs die Tatsache einer politischen Integration einiger europäischer Staaten aus. Mit anderen Worten heißt das, daß der politische Integrationsinhalt der Sechsergemeinschaft absolut realisierbar und zu begrüßen ist.

Ich möchte hier ein über Österreich verbreitetes Mißverständnis beseitigen. Wenn wir so eindeutig feststellen müssen, daß eine politische Integration aller freien europäischen Nationen unmöglich ist, so begrüßen wir dennoch die polnischen Integrationsbestrebungen der Sechsergemeinschaft lebhaft, weil wir selbstverständlich anerkennen, daß eine politische Integration der Sechsergemeinschaft die Kraft des ganzen freien Europa stärkt! Aber man kann weder von Österreich noch von einigen anderen europäischen Staaten, die nicht der Sechsergemeinschaft angehören, verlangen, daß sie den Weg einer politischen Integration gehen, der sowohl mit Rücksicht auf ihren Neutralitätsstatus als auch infolge zahl-

reicher anderer Gegebenheiten einfach unmöglich wäre.

Wenn wir so eindeutig die politischen Integrationsbestrebungen Westeuropas als Tatsache anerkennen und auch lebhaft begrüßen, so ergibt sich daraus wohl nur eine Konsequenz: die Bemühungen um ein gesamteuropäisches Wirtschaftsarrangement fortzusetzen und sich bindend vorzunehmen, nicht mehr von diesem gesamteuropäischen Arrangement zu verlangen, als eben unter den gegenwärtigen Verhältnissen durchsetzbar ist. Durchsetzbar aber erscheint mir die g e-s a m t europäische Integration zu-

nächst nur in Form eines handelspolitischen Arrangements, das im Gegensatz zum gegenwärtigen Zustand die Handelsbeziehungen der europäischen Völker nicht hemmt, sondern sie fördert. Ein solches Programm kann und muß selbstverständlich so abgefaßt sein, daß es die politischen und wirtschaftlichen Integrationsziele der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in keiner Weise hemmt.

Die Hoffnung, daß die EFTA ein gemeinsamer Verhandlungspartner werde, hat sich nicht erfüllt. Deshalb haben Großbritannien und Dänemark im vollen Einvernehmen mit ihren EFTA-Partnern beschlossen, den direkten Weg zur EWG zu suchen, allerdings mit der Maßgabe, daß es auch den übrigen EFTA-Partnern ermöglicht wird, auf ihre Weise ein Arrangement

mit der EWG zu finden. Diese Bindung geht auf einen Beschluß der EFTA-Ministerkonferenzen von London und Genf im vergangenen Jahr zurück. Sie stellt somit ein beachtenswertes Element in- den Verhandlungen dieser beiden Staaten mit der EWG dar.

Die Neutralen und Brüssel

Am 15. Dezember des vergangenen Jahres haben, ebenfalls gemäß diesem erwähnten Beschluß, die drei neutralen Staaten ihren Wunsch auf Aufnahme von Verhandlungen mit der EWG mit dem Ziel angemeldet, Verhandlungen über ein solches Arrangement einzuleiten. Es lag auf der Hand, daß die drei neutralen Staaten diesen ersten Schritt gemeinsam machten. Ganz besonders für unser Land ist dieser Umstand von außerordentlicher Bedeutung. Österreich wird in der Integrationsfrage eine Politik einzuschlagen haben, die kein Mißtrauen der Sowjetunion erweckt.

Es besteht daher — ich muß das mit allef Deutlichkeit und mit allem Nachdruck feststellen — ein großes Interesse Österreichs daran, daß es mit den beiden anderen neutralen EFTA-Staaten, Schweden, vor allem aber mit der Schweiz, gemeinsam ein Arrangement mit der EWG findet. Ein Arrangement, das auf den Neutralitätsstatus der Schweiz ebenso Rücksicht nimmt wie auf den Österreichs. Dabei bin ich mir vollkommen darüber im klaren, daß es verschiedene Formen eines solchen Arrangements mit der EWG geben kann, die alle dem Neutralitätsbedürfnis dieser Staaten entsprechen. Die Verschiedenheit ergibt sich aus der unterschiedlichen Wirtschaftssituation der neutralen Länder. Die Schweiz und Schweden sind Niedrigzolländer, Österreich zählt zu den Ländern mit höheren Zöllen. Österreich verkauft die Hälfte seiner Exportwaren auf den Märkten der EWG, die Schweiz und Schweden wesentlich geringere Teile usw. Ich will damit sagen, daß der wirtschaftliche Inhalt des von uns gemeinsam gesuchten Arrangements keineswegs derselbe sein muß, wohl aber die politische Bedingungslosigkeit.

Ein gefährliches Wort: „Kerneuropa“?

Ich weiß genau, daß die Forderung nach der politischen Bedingungslosigkeit in maßgeblichen Kreisen der EWG Widerspruch erregt. Aber ich muß wohl die Frage stellen, ob man die neutralen Staaten von jeder Teilnahme an einer Integration auszuschließen wünscht, oder ob man sich nicht doch lieber dazu bekennen soll, daß alle freien Staaten dieses Kontinents zu-, sammen Europa ausmachen. Würde man den neutralen Staaten nicht wenigstens die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Arrangements ohne politische Bedingungen einräumen, so würde man diese Staaten zunächst in eine Isolierung, dann aber zu einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit anderen Ländern* an Stelle der EWG zwingen. Es gibt ein gefährliches Wort, das man im Zusammenhang mit der Integration prägte, das Wort vom „Kerneuropa“. Gemeint sind damit die sechs Staaten der EWG. Verübeln Sie es mir bitte nicht, wenn ich einer solchen Formulierung nur mit großer Bitterkeit gegenüberstehen könnte. Neutralität ist kein Zeichen einer Unterentwicklung im politischen Sinn und bedarf daher auch keiner Entwicklungshilfe! Europa — das freie Europa — besteht aus allen Staaten und Nationen dieses altehrwürdigen Kontinents, die sich zu Freiheit und Demokratie bekennen. Alle haben einen völlig gleichen Anspruch darauf, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse weiter zu entwickeln; je enger alle freien europäischen Nationen auf wirtschaftspolitischem Gebiet zusammenarbeiten, um so besser für alle, auch für die Mitglieder der EWG. Es gibt daher keine andere Möglichkeit als die, neben der politischen Integration, die sich nur auf einen Teil der europäischen Staaten erstrecken kann, eine solche wirtschaftlicher Art, vor allem zunächst einmal handelspolitischer Natur zu bilden.

Was stellen wir uns also, ich spreche hier jetzt nur noch von Österreich,

als eine solche Lösungsmöglichkeit yor? Was soll weiterhin geschehen?

Vorschlag für das Arrangement Österreichs

Ich glaube, daß die Voraussetzung für ein solches zunächst nur handelspolitisches Arrangement gemeinsame Zollgrenzen sind, das heißt, Österreich ist1 willens und in der Lage, den kommenden gemeinsamen Außentarif der EWG zu seinem eigenen zu machen.

Also:

• Österreich akzeptiert für sich gegenüber Drittländern dieselben Zolltarife, wie sie die Sechsergemeinschaft gegenüber Drittländern haben wird.

• Zwischen Österreich und der EWG wird 'vereinbart, daß zu bestimmten Terminen die bestehenden Zollschranken, ähnlich dem EWG- und dem EFTA-Vertrag, bis auf null abgebaut werden, wobei wir erwarten, daß uns bei einigen für die österreichische Wirtschaft besonders heiklen Positio-

nen durch Einräumung einiger längerer Termine entgegengekommen wird.

• Ebenso wird zwischen Österreich und der EWG nach festzusetzenden Terminen die hundertprozentige Liberalisierung vereinbart.

• Damit ergibt sich allerdings für Österreich die Verpflichtung, zu verhindern, daß Österreich auf Grund bestehender Meistbegünstigungsverträge mit Drittländern zu einer Zoll- und Kontingentschleuse von Waren aus Drittländern über Österreich in den Bereich der EWG wird. Das läßt sich verhindern, wenn Österreich die Verpflichtung übernimmt — zu der es absolut bereit ist -, den Transitverkehr solcher Waren zu unterbinden beziehungsweise Jenen Bedingungen zu unterwerfen, die den Bedürfnissen de Gemeinsamen Marktes entsprechen. Das ist eine an sich schwierige, aber keineswegs unlösbare Aufgabe, weil ja schließlich der Osthandel ein reiner Warenkoirmensationsverkehr ist, der unter vollständiger Kontrolle der österreichischen Regierung steht.

Was hätte ein solches erstes Integrationsarrangement zur Folge? Es hätte zur Folge, daß für Österreich, aber auch für die EWG, die gegenseitige handelspolitische Diskriminierung beseitigt wird und damit der österreichische Export in die EWG gleichen Bedingungen unterworfen ist wie der Export der EWG-Staaten untereinander.

Ich gebe ohne weiteres zu, daß ein solches Arrangement für Österreich viel wichtiger ist als für die Sechsergemeinschaft, aber ich füge hinzu, es ist nicht nur wichtiger, es ist für Österreich geradezu lebenswichtig, denn eine Deroute der österreichischen Exportwirtschaft, wie sie leider bei Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes befürchtet werden müßte, würde zum wirtschaftlichen Zusammenbruch Österreichs führen. Ich glaube aber, diesen Vorteil für Österreich nicht nur deshalb in Anspruch nehmen zu müssen, weil er eine Voraussetzung für die Selbständigkeit Österreichs ist, die ja schließlich auch auf seiner wirtschaftlichen Lebensfähigkeit beruht, sondern auch deshalb, weil die Freiheit von Handelsschranken für Österreichs Waren im EWG-Raum — umgekehrt natürlich auch für Waren aus der EWG in Österreich — mengenmäßig für den Raum der Sechsergemeinschaft eine quantite negligeable darstellt. Der österreichische Export geht zu mehr als 50 Prozent in den EWG-Raum, aber dieser österreichische Export macht im Gesamtimportvolumen der EWG nur 1,9 Prozent aus. Mit anderen Worten heißt das, daß die wirtschaftlichen Ziele der EWG in keiner Weise gestört werden können, wenn diese EWG den Österreichern auf dem von mir beschriebenen Wege die Möglichkeit gibt, ihre Waren im EWG-Raum so wie bisher weiter zu verkaufen. Es kann sein, daß in weiterer Folge weitere wirtschaftliche Vereinbarungen notwendig werden; darüber wird später zu reden sein.

Noch einmal sei es mir gestattet, auf das große Interesse Österreichs an einer solchen oder ähnlichen Regelung zu verweisen. Mein Vorschlag über diese handelspolitische Regelung erhebt gewiß nicht darauf Anspruch, der einzig gangbare Weg zu sein. Wir sind mit jedem anderen gangbaren Weg, der zum Ziel führt, einverstanden.

Und nun noch eine Frage: Ist es politisch wirklich richtig, inter-

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