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Was ist los mitder oVP?

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Nach zehn Jahren kommen sie wieder: wenn die Delegierten zum Bundesparteitag der Volkspartei die Neo-Barocktreppen der Hofburg emporsteigen, ist ein Jahrzehnt nach dem ersten Parteitag der Reform vergangen. Damals, 1960, erschütterte nach der Ära Raab die Unzufriedenheit der Parteitagsdelegierten die ÖVP grundlegend. Damals, 1960, hatte man Nationalratswahlen hinter sich, bei denen die SPÖ zwar mehr Stimmen als die Volkspartei gewonnen hatte, aber dennoch mit einem Mandat hinter der Volkspartei verblieb. Der Szenerie des Jahres i960 war nach dem Abgang des Patriarchen Raab (dessen Bild bis heute unzählige Parteisekretariate der Volkspartei bewacht) in gewissem Sinn der Landschaft des Jahres 1970 ähnlich. Die Volkspartei hat freilich 1970 die Wahlen nicht einmal mit einem blauen Auge bestehen können, sondern eine gehörige Portion Wählerunwillen zu spüren bekommen und die schwerste Niederlage ihrer Geschichte hinnehmen müssen. Und sie hat — anders als 1960, als es nur um die Fortsetzung der Koalition „mit neuen Vorzeichen“ ging — den bitteren Weg über „das weite Feld der Opposition“ angetreten. Die Volkspartei hat bittere Tage hinter sich. Gewissenserforschung, jai rücksichtsloses und schonungsloses Bloßlegen der Ursachen ihrer Niederlage nach vier Jahren Alleinregierung — in der sie sich nicht auf den politischen Gegner, nicht einmal auf die Unbill einer exogenen Wirtschaftskrise oder auf außenpolitische Verwicklungen ausreden konnte — sollten eine Selbstverständlichkeit sein.

83 Tage nach der großen Niederlage hat es den Anschein, als ob die ÖVP die Fehler nicht bei sich selbst suchte; es hat den Anschein, als ob „sowieso alles in Ordnung sei“ und das Diskutieren über den Weg in die Zukunft einfach nicht nötig wäre. 83 Tage nach der großen Niederlage gibt es kaum jemanden, der ein Konzept ankündigt.

Die Volkspartei tut so,, als gäbe es keinen Grund zu irgendeiner Aufregung, als sei alles bestens, als wäre die SPÖ-Alleinregierung eine Art von Grottenbahn, durch die man amüsiert hindurchfahren müasÄ^fijtt dann wieder im gleißenden Licht des Erfolges zu stehen. Es fehlt an Überlegungen. Überlegungen, wie sie etwa die SPÖ — als sie 1966 an einer ähnlichen Situation war — rigoros anstellte, um die Resultate in der Folge konsequent durchzuführen. Es fehlt

• ein programmatisches Konzept, das über die Unverbindlichkeit etwa des Klagenfurter Manifests hinausgeht und die Partei zu einer geschlossenen Gesamtheit einen könnte;

• es fehlt ein Plan für dde Oppositionsstrategie, ein Plan dafür, wie man sich der neuen Wirklichkeit anpassen und schließlich wohl vorbereitet wieder Regierungsaufgaben übernehmen könnte;

• es fehlt an Ansätzen für die längst fällige Struktur- und Organisationsreform, um aus dem altväterlichen Gebilde aus Bünden, Kammerinteressen, Landes- und Bezirksclans eine moderne Partei zu machen;

• es fehlt an realen Möglichkeiten, die Finanzmisere zu beenden und endlich zu einem Pressekonzept zu kommen;

• und es fehlt — man mag es drehen, wie man will — an einer langfristigen personellen Reform, nicht allein an der Spitze (von der viele glauben, sie werde eine Übergangs-lösung sein), sondern auch weiter unten, vor allem dort, wo die ÖVP überhaupt noch personell in Erscheinung tritt.

Die bisherige Diskussion — und manches spricht dafür, daß es auf dem Parteitag nicht anders sein wird — bestritten einige wenige „junge Löwen“ vor allem aus der Parteizentrale in der Kärntnerstraße, und aus der Jugendbewegung, verstärkt durch Paradereformer aus dem Akademikerbund; dazu kamen Berufsreformer aus der Steiermark. Sieht man überdies von ÖAAB-Bun-desobmann Maleta ab, dessen Diskussionsbeitrag eher unartikuliert war, bleibt eine jasagende Bundesparteileitung übrig, ein absolut ge-horsam-feierlich-feiernder Bundes-parteirat („25 Jahre Volkspartei“) und ein in alten Gleisen fahrender Abgeordnetenklub. Muß man sich da noch darüber wundern, daß man den Reformparteitag, von dem so vieles abhängt, nur für einen Tag anberaumt, noch dazu hiefür einen Freitag wählt, an dem es ab 15 Uhr die Delegierten aus West und Süd zu den Ausgängen drängt? Und daß die Tagesordnung so fixiert wird, daß nur ja kein neues Element die lieben Gewohnheiten stört? Was ist los mit der ÖVP? Gibt sie sich selbst in satter Zufriedenheit auf, ist sie des Kämpfens müde? Wird so der nichtsozialistische Teil Österreichs repräsentiert? Was nottut, ist die weite Öffnung der Tore dieser Partei. Was die ÖVP braucht, ist Reform an Haupt und Gliedern, an Kopf und Statur:

• Die personellen Reformen mögen — angesichts der Situation — im Moment nur auf eine gewisse Zeit lösbar sein; aber die Ablöse jener Männer muß vor sich gehen, die Koalition und Alleinregierung in gleichbleibender Lethargie über sich ergehen ließen und bestenfalls mit ungeschickten Zwischenrufen im Parlament so demonstrierten, daß die Bevölkerung ihren Abgang wünscht.

• Die Organisationsreform muß mit der bündischen Aüfsplitterung auf Sektions-, Bezirks- und Landesebene Schluß machen. Die Bünde sind von ihrer Struktur her Instrumente des politischen Ausgleichs, nicht aber Vereine im Verein.

• Die Volkspartei wird neue Finan-ztferungsmöglichkeiten erschließen müssen; zu allererst muß man mittels eines zeitgemäßen Systems ein umfassendes Parteiinkasso ermöglichen; dazu kommen eigene Betriebe, die für eine moderne politische Partei geradezu eine Selbstverständlichkeit sind; und erst in letzter Hinsicht sollte an eine Parteifinanzierung über Steuermittel gedacht werden.

• Das Pressekonzept, das ja seit langer Zeit vorliegt, muß endlich verwirklicht werden. Dazu bedarf es einiger moderner und versierter Manager, die aus dem noch vorhandenen Torso der ÖVP-Zeitungen auch lesbare und inseratenwürdige Organe machen können. /

• Der Parlamentsklutf muß, als Motor einer wirksamen Opposition, personell aufgestockt werden; Ausschüsse müssen die zu bestellenden „Schattenminister“ beraten.

Die Sohle des Wellentales, in dem sich die Volkspartei offensichtlich befindet, ist noch nicht erreicht. Die Periode der Opposition wird länger dauern, als man in der ÖVP offensichtlich glaubt

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