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Was sind gelbe Gewerkschaften ?

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Die Gewerkschaften haben im Rahmen der Sozialreform auch die Aufgabe, das gestörte Gleichgewicht zwischen den gesellschaftlichen Großgruppen, die in ihrer Art immer bestehen werden, wiederherzustellen.

Es wird stets Arbeitnehmer und Unternehmer, gleichgültig ob Eigentümer-Unternehmer oder Verwalter-Unternehmer, geben, ebenso wie die Spannungen zwischen dem Unternehmer, zumindest als Funktionär, und dem Arbeitnehmer wohl zu mildern, nicht aber zu beseitigen sein werden. Das liegt in der Natur des Menschen und im besonderen des arbeitsteiligen Prozesses.

Jeder der beiden Partner in der arbeitsvertraglichen Auseinandersetzung um die jeweilige Größe von Leistung und Gegenleistung wird bemüht sein, das Tauschverhältnis für sich bestens zu gestalten. Auch die Gewerkschaften gehen von den Bedingungen des „liberalen“ Marktes aus, dessen Preis ein Ausdruck von Knappheitsverhältnissen ist, aber u. a. durch Machteinflüsse berichtigt wird. Es ist ein durchaus menschliches Bemühen, die jeweils besten Versorgungschancen zu erhalten (höchsten Lohn, höchsten Nettogewinn, Vergrößerung des eigenen oder auch des verwalteten Kapitals).

Die Gewerkschaft ist heute im Westen ein Ordnungsfaktor, dem einsichtigen Unternehmer im Prinzip willkommener als eine ungefüge, ziellos und ohne gesamtwirtschaftliche Rücksichten fordernde Masse von Arbeitnehmern. Anderseits ist es (menschlich) verständlich, daß der LInternehmer meist lieber eine schwache als eine starke Gewerkschaft haben, lieber befangene und freundlich gesinnte Gewerkschaftsführer als solche, die vorweg oder zumindest in bestimmten Situationen möglichst persönliche Distanz gegenüber den Unternehmerinteressen haben.

Der Versuch, die Position der Gewerkschaften zu schwächen, geht aber keineswegs lediglich von Privatunternehmern und ihren Vertretern aus, sondern auch von den Verantwortlichen in dr öffentlichen Wirtschaft (der sogenannten „Gemeinwirtschaft“), für welche die Gewerkschaft (marktwirtschaftlich gesehen) auch Widerpart ist. Für die Sozialrevolutionäre hat die Gewerkschaft gar den Charakter einer Bremseinrichtung.

So ist die Gewerkschaft irgendwie — weil wohl die Arbeiter und die Unternehmer, nicht aber die Institution im Sinne ökonomischer Gesetzlichkeit notwendig ist — ungesichert und gegenüber allen Bedrohungen besonders empfindlich.

Die Art, wie die Unternehmer (Unternehmerverbände) in einem von ihrem Standpunkt aus verständlichen Bemühen die Stellung des Partners „Gewerkschaft“ zu schwächen versuchen, ist verschieden, je nach der gegebenen Situation. Willkommenste Hilfe finden die unternehmerischen Bestrebungen auf Kürzung des Einflusses der gewerkschaftlichen Gegenmacht durch das Bestehen von gelben Gewerkschaften.

Eine Gewerkschaft kann nun als solche „gelb“, d. h. unternehmerabhängig sein, oder sie ist es in einzelnen Handlungen.

In der Geschichte der Gewerkschaften hat es drei Epochen gegeben, in denen von Unternehmern bezahlte oder indirekt unterstützte Gewerkschaften oder gewerkschaftsähnliche Verbände operieren konnten (in Deutschland: „Freier Arbeiterverein“, „Bund vaterländischer Arbeitervereine“, in Oesterreich die von der Alpine seinerzeit finanzierten „unabhängigen“ Gewerkschaften).

Echte gelbe Gewerkschaften, welche die Bestimmung ihres Handelns durch den Unternehmer nicht leugnen, gibt es selten, zumindest sind sie kaum in Zentralverbänden organisiert, sondern bestehen nur je Betrieb (sie sind streng „betriebstreu“).

In der Wirkung sind die gelben Gewerkschaften für den sie begünstigenden LInternehmer stets insoweit von Vorteil, als sie in ihren Forderungen nicht gleich hartnäckig sind als unabhängige Gewerkschaften. Auf der anderen Seite binden sie dennoch die Arbeitnehmer und verhindern auch ungezügelte Aktionen.

Die Errichtung gelber Gewerkschaften setzt voraus, daß die Unternehmer entweder den Führern der von ihnen beeinflußten Gewerkschaften persönliche Vorteile verschaffen (insoweit sind die meisten gelben Gewerkschaften nur Funktionärsgewerkschaften) oder daß eine Lage auf dem Arbeitsmarkt besteht, die den Unternehmern eine bevorzugte Stellung einräumt.

Wenn nun Gewerkschaften „wirtschaftsfreundlich“ sind, verlieren sie ihre Funktion; sie sind dann lediglich eine besondere Art der Durchsetzung von Unternehmerinteressen.

Neben den offen gelben Gewerkschaften gibt es Gewerkschaften, die an sich- unabhängig sind, aber auf Grund der gesellschaftlichen Lage oder durch eine besondere Situation in eine ungewollte Abhängigkeit kommen, die es ihnen unmöglich macht, durchweg und jederzeit die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Das gilt:

1. zuweilen bei den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, etwa dann, wenn beruflich selbst noch nicht gesicherte Gewerkschaftsführer in dienstliche Abhängigkeit von Personen kommen, welche die Interessen des Unternehmens „Gebietskörperschaft“ wahrnehmen.

2. Drastisch wird die Funktionslosigkeit von Gewerkschaften dann, wenn sie (wie im System des Laborismus und des verdeckten Syndikalismus) selbst Unternehmungen errichten und zugleich in einem grotesken Planspiel sich gegen sich vertreten.

3. Die starke politische Abhängigkeit von Gewerkschaften kann die Handlungsfreiheit der Gewerkschaftsführung stark begrenzen und sie — dem Schein nach — zu einer gelben Gewerkschaft machen.

Dagegen darf man die Gewerkschaften dann nicht „gelb“ klassifizieren, wenn ihre Führer unter Verzicht auf billigen Beifall der Vertretenen auf lange Sicht und in volkswirtschaftlichen Zusammenhängen denken. Das ist dann der Fall, wenn z. B. ungerechtfertigte und währunggefährdende Lohnforderungen der Gewerkschaftsmitglieder nicht vertreten werden oder wenn die Gewerkschaftsführer im Unternehmer wohl den Partner, mit dem man feilschen muß, nicht aber den stets und in jeder Situation zu bekämpfenden Gegner und „Ausbeuter“ sehen. Das heißt: Eingliedern der Arbeiterschaft mittels der Gewerkschaft in die Gesellschaft, nicht sie abseits halten, als bleibende und unabhängig vom Sachverhalt stets erregte ressentimentgeladene Opposition, die dann aus der sachlich wohlfundierten Gewerkschaftsidee eine Ideologie macht. Die Arbeiter wären den stets auf ihr persönliches Wohl bedachten, aber wild gegen die öffentliche und jeweilige betriebliche Ordnung gestikulierenden „Simplifikatcuren“ ausgeliefert.

Ich wiederhole: Wie prinzipiell auf dem Markt ist auch im Gesellschaftsganzen so etwas wie Gleichgewicht, das aber heißt Gleichmacht, notwendig. Macht kann aber nur (in der Gesellschaft) durch Verbände ausgeübt werden. Daher sind Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerverbände vorweg Elemente der gesellschaftlichen Ordnung. Dies gilt, trotz der stets bestehenden Gefahr des Verbandsegoismus. Wenn das Gleichgewicht gestört wird, dann durch Uebermacht auf einer Seite, die unter anderem dann entsteht, wenn ein Partner sich seiner natürlichen Chancen, Macht zu halten und auszuüben, begibt, oder dazu gezwungen wird. Wenn gelbe Gewerkschaften bestehen, stören sie also die Ordnung. Der Nutzen, den die Unternehmer vom Bestehen schwacher, ihnen verpflichteter Gewerkschaften haben, ist ein sehr kurzfristiger. Die Gegenrechnung wird in Form von Minderleistungen und Reduktion des Sozialproduktes präsentiert, wenn nicht eine Revolte von unten neues Ungleichgewicht und damit die Bedingungen lang dauernden Pauperismus schafft.

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