Was vom Kommunismus blieb

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Der Umgang mit dem Erbe des Kommunismus istambivalent. Während in Ungarn die Zeichen dieser Zeit verbannt sind, pflegt der ferne Osten die Reliquien.

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Der Umgang mit dem Erbe des Kommunismus istambivalent. Während in Ungarn die Zeichen dieser Zeit verbannt sind, pflegt der ferne Osten die Reliquien.

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Überlebensgroße Skulpturen recken ihre muskulösen Glieder dem Abendrot entgegen, die wehenden Fahnen im Triumph erstarrt. Genosse Uljanow blickt streng in die Ferne einer imaginären heilen Welt, umringt von der stolzen sozialistischen Jugend, die hier beim Sport, bei der Arbeit, im Gruß verharrt, bis der Zahn der Zeit ihnen allen ein unrühmliches Ende bereiten wird. Lenin ist mit seinen Jüngern zur letzten Parade angetreten, Kitsch und Pathos liegen sehr nahe beisammen, vor allem bei Einbruch der Dämmerung, wenn die Versammlung der steinernen Götzen sich schwarz vom leuchtend roten (!) Sonnenuntergang abhebt, unheimlich und lächerlich zugleich. Auf ein staubiges verlassenes Fleckchen am Rande von Budapest hat man sie verbannt, in den Straßen der Metropole will man nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Kommunismus ist offenbar nur noch in kleinen Dosen zu ertragen, die touristisch vermarktet werden.

Friedhof der Statuen Tatsächlich, am Souvenirstand des Statuenparks - böse Zungen nennen ihn auch den Friedhof der Statuen - sind leere Konserven zu kaufen, geschmückt mit dem roten Stern und einer Aufschrift in mehreren Sprachen: "Was vom Kommunismus übrig blieb". Am Ende eines langen Sommertages dürften sie wenigstens etwas enthalten: heiße Luft. Wird er nicht eben verhöhnt, ist der rote Stern ein verbotenes Symbol in Ungarn, ebenso wie das Hakenkreuz. Was aber nicht heißt, dass Touristen oder andere Interessenten nicht am Schwarzmarkt, auch in der Zentralen Markthalle, Kommunismusdevotionalien erstehen können. Russische Uhren, alte Parteibücher, Anstecker aller erdenklichen Jubiläen oder Verbände, selbst Orden aus dem Zweiten Weltkrieg werden dort verhökert, wo sich im Falle einer Razzia bunte Schmuckkästchen auf weißen Spitzendeckerln breitmachen.

Die Stadt wird währenddessen zusehends modernisiert und renoviert, Trabant und Lada machen allmählich VW, Mercedes oder Volvo Platz, schicke Boutiquen, teure Cafes, Restaurants und Einkaufszentren bieten Waren und Dienste, die sich nur ein Bruchteil der Bevölkerung leisten kann. Etwas blieb nämlich doch vom Kommunismus: äußerst niedrige Gehälter, vor allem im Staatsdienst. Was nicht blieb, sind ausreichend Arbeitsplätze und umfassende Sozialleistungen. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich werden größer, und viele stellen sich die Frage, ob dies die Folgen des Kapitalismus seien oder Schwierigkeiten der Übergangsphase.

Die jungen Budapester blicken großteils optimistisch in die Zukunft, an der sie kräftig mitzuwirken gedenken, mit guter Ausbildung, Elan und Initiative. Wer aber im Arbeitsleben steht oder gar kurz vor der Pensionierung, kann sich meist keine rosigen Aussichten ausrechnen, und der eine oder andere sehnt sich auch zurück nach der guten alten Zeit vor der Wende, an die recht ironisch etwa das "Marxim" erinnert, ein Szenelokal, das gleich nach der Wende eröffnet wurde. Die Tische sind mit Hasenstallgitter und Stacheldraht voneinander getrennt, und die Speisen tragen Namen wie "Pizza Aurora" oder "Marxpapas Lieblingsgericht". Der Moszkva ter, in der Nähe des nostalgischen Lokals, ist einer der wenigen Plätze, die nach der Wende nicht wieder umbenannt wurden. Die meisten Straßen, Gebäude, Plätze und Brücken haben ihre oft noch aus der Monarchie stammenden Namen zurückerhalten.

Ganz anders hingegen die Situation im Osten Russlands, wo man die Straßennamen erst gar nicht geändert hat. Kein Stadtzentrum ohne Uliza Marxa und Uliza Lenina, kein Hauptplatz ohne Arbeiterdenkmal oder Kommunistenführer. Lokomotiven ziert nach wie vor der rote Stern, Panzer am Straßenrand erinnern an den Sieg der Roten Armee im "Großen Vaterländischen Krieg". Am Sowjetplatz der burjatischen Hauptstadt Ulan-Ude thront der größte Lenin-Kopf der Welt, und auf der Baikalinsel Olchon hängt immer noch der letzte Fünfjahresplan. Aber dennoch ist die Zeit keineswegs stehengeblieben. Coca-Cola und Pepsi bestimmen das Straßenbild ebenso wie Marx und Lenin, eine Fassadenmalerei, die gleichzeitig die amerikanische Flagge und in großen Lettern die Bezeichnung "Oktjabr" zeigt, scheint für niemanden einen Widerspruch darzustellen, zumal das Gebäude ohnehin eine Spielhölle beherbergt.

In Nowosibirsk setzt sich sehr erfolgreich die Fast-Food-Kette "New York Pizza" durch, während in den Seitenstraßen der Handel mit jenen Devotionalien blüht, die auch in Budapest verkauft werden. Nur sind sie hier wesentlich billiger. Das kommunistische Erbe besteht aber auch in Sibirien weniger in materiellen Dingen als vielmehr in einem Mangel derselben, der nun durch die Öffnung dem Westen gegenüber vielen erst schmerzlich bewusst wird. Fernsehwerbung, die nur die Reichen und Schönen zeigt, weckt unerfüllbare Wünsche. "Wir haben uns früher auch nicht viel leisten können", erzählt eine junge Englischlehrerin, "wir dachten nur, wir lebten besser als der Rest der Welt." So kam es etwa, dass sie als Schülerin zusammen mit ihren Freunden Geld und Kleidung gesammelt hatte, für die armen Kinder in Afrika - und in den USA. Mit verschmitztem Lächeln präsentiert sie mir ein Buch über London. Die Illustrationen zeigen in erster Linie Demonstrationen und Obdachlose. "Und ich glaubte wirklich, das sei London." Fast ohne Bitterkeit kann sie über ihre frühere Naivität lachen. "Die Propaganda hat bei uns sehr gut funktioniert, wir dachten immer, nur in unserem Land haben alle genug zu essen." Aber auch das kann heute nicht jeder von sich sagen.

Mars und Milky-Way Während an den Kiosken Mars und Milky-Way verkauft werden, stehlen Obdachlose Kartoffelsäcke aus den Kellern oder Gemüse aus den Gärten der Datschas. Die Mafia wird reich durch Schutzgelderpressungen, die Regierung gibt Milliarden aus für Atomraketen und U-Boote, die sich mit ihren hochmodernen Torpedos selbst versenken. Drauf zahlt das Volk, heute wie damals. Nur darf man heute wenigstens öffentlich artikulieren, was einem nicht passt. Dem eigenen Chef gegenüber allerdings lieber nicht. Russland orientiert sich längst an westlichen Wirtschaftsmodellen, aber es blüht allenfalls der Kioskkapitalismus, und der Kampf um die Arbeitsplätze ist härter geworden. Alte Hierarchien sind nach wie vor präsent, manche Beamte scheinen das Ende des Kalten Krieges verschlafen zu haben, was man zu spüren bekommt, wenn man etwa sein Visum verlängern möchte oder ähnlich unverschämte Wünsche hegt.

Auch Volksbildung ist immer noch wichtig: Man ist stolz auf die hohen Akademikerquoten - in Ulan-Ude sind es angeblich an die 40 Prozent! - nur bringt gute Ausbildung allein keine Karriere, zumindest keine, die sich am Kontostand messen ließe, es hat allerdings ohnehin kaum jemand ein Konto. Die neue Freiheit schätzen wie auch in Ungarn in erster Linie junge Leute, die die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, sich einmal ein besseres Leben schaffen zu können. Viele träumen von einer Reise in die USA oder nach Europa, doch die Ära des Kommunismus wird keineswegs dem Vergessen preisgegeben. Jurij Gagarin und andere Kosmonauten sind heute noch Helden der Nation, aber auch die Verbrechen der Stalin-Ära sind kein Tabu-Thema.

Geschichte verstecken?

Die meisten sind froh über die Wende, doch ist die gegenwärtige Situation keineswegs so befriedigend, dass man sich nicht auch gerne an die positiven Aspekte der vergangenen Epoche erinnert, vor allem an eine zumindest offiziell nicht vorhandene Kriminalität, billige Wohnungen und Arbeit für alle. Die Haltung der Bevölkerung ist äußerst ambivalent - sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart gegenüber. Einig scheint man sich nur darüber zu sein, dass man historische Symbole nicht vernichten oder ins Museum sperren möchte. "Das ist unsere Geschichte, wir haben jahrzehntelang damit gelebt, warum sollen wir sie jetzt verstecken?" meinte etwa der Leiter des deutschen Lehrstuhls in Ulan-Ude.

Das gilt ebenso für die Feiertage. Am 9. Mai, dem "Tag des Sieges" der Roten Armee, wird etwa der Opfer von Krieg und Faschismus gedacht. Tränen, Feuerwerk und Wodka gehören untrennbar zusammen. Und allein die Tatsache, dass ein Mann mit KGB-Vergangenheit zum Präsidenten gewählt wurde, zeigt bereits, dass in Russland durchaus gesellschaftsfähig sein kann, was vom Kommunismus übrig blieb.

Die Autorin ist Lektorin an der Wirtschaftsuniversität Budapest und hat ein Semester lang in Ulan-Ude Deutsch unterrichtet.

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