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Was will der „Kernkreis”?

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Dr. SKALNIK: Herr Präsident, Sie gelten in der politischen Öffentlichkeit als Sprecher des sogenannten „Kernkreises” (K.K.) in der Österreichischen Volkspartei. Die Leser der „Furche” wird es bestimmt interessieren, was dieser Kernkreis, von dem in der letzten Zeit immer mehr in der Öffentlichkeit die Rede ist, darstellt, wann er gegründet wurde und welche Ziele er sich setzt.

PRÄSIDENT GRUBER: Der „Kernkreis” der ÖVP wurde von führenden Männern dieser im Sommer 1962 ins Leben gerufen. Wir waren von der Notwendigkeit einer Stärkung der Programmgesinnung überzeugt, um eine gewisse Abwehrfront zu bilden, damit die politische und geistige Haltung der Partei nicht gefährdet wird. Der „Kernkreis” fußt daher auf einer Tradition, die gegenüber dem österreichischen Vaterland, seiner wiedergewonnenen Freiheit und dem Parteiprogramm unabdingbar ist. Dies jedoch bedeutet nicht, daß sich der „Kernkreis” vernünftigen evolutionären Reformgedanken verschließt.

DR. SKALNIK: Wenn ich Sie richtig verstehe, soll also der ,,Kernkreis” der verstärkten Besinnung auf das Grundkonzept der Österreichischen Volkspartei, mit dem sie 1945 angetreten ist und mit dem sie schöne Erfolge erzielen konnte, dienen und das Wissen darum wieder stärken.

GRUBER: Sie haben recht, Herr Chefredakteur. Manche Kräfte, die wir in den letzten Jahren als Mitarbeiter in der Partei aufgenommen haben, wissen wenig um jene Zeit, in der führende Männer des österreichischen Wiederaufbaues der Volkspartei ein Programm gegeben haben. Diesem lagen etwa folgende Grundsätze zugrunde :

Wiederherstellung des Rechtsstaates, der demokratischen Staatsform und Freiheit der Menschenwürde und Gleichheit, die Verwirklichung einer modernen christlichen Soziallehre und in weiterer Folge eine moderne Auffassung über wirtschaftliche Grundsätze und Methoden, die, durch Arbeit und Leistung aller im Staat begründet, den wirtschaftlichen Wiederaufstieg und die Erreichung einer hohen Produktion sichert, damit das Sozialprodukt entsprechend wachsen und gerecht verteilt werden kann. Dazu kommt, daß sich jeder Volksparteiler eindeutig zum österreichischen Vaterland, aber auch zu den Grundsätzen einer christlichen Lebensform bekennt.

DR. SKALNIK: Nach dem Gesagten, Herr Präsident, haben die Männer des „Kernkreises” anscheinend den Eindruck gehabt, daß diesen Postulaten im Lauf der letzten Zeit nicht mehr so Rechnung getragen wurde, wie es ihnen notwendig erschienen wäre.

GRUBER: LInzweifelhaft ist festzustellen, daß durch gewisse Einflüsse, die von außen hereingetragen wurden, die Verwirklichung des Programms nicht mehr mit solchem Elan durchgezogen wurde, wie es die Begründer der Partei gewünscht haben und es dem Willen der Wähler, das heißt der großen Masse der kleinen Leute entspricht. Diese erwarten sich ja von der Volkspartei und nicht von einem anderen die Besserung und Sicherung ihres Lebens.

DR. SKALNIK: Sie sprachen mehrmals von außenstehenden Kreisen und fremdem Gedankengut. Auf welches Gedankengut spielten Sie damit an?

GRUBER: Leute, die dem Materialismus zu sehr, besonders in manchen Positionen des Wirtschaftslebens, verhaftet sind, versuchen über einzelne Funktionäre Gedankengut in die Partei hereinzubringen, das abzulehnen ist. Den Kernwählern der Partei, der überwiegenden Mehrheit, kann man nicht mit Neoliberalismus oder mit Relikten einer nazistischen Vergangenheit kommen. Wir sind nicht blind und beobachten nicht ohne Sorge eine gewisse Entwicklung in unseren demokratischen Einrichtungen und in den Parteien.

DR. SKALNIK: Wie stellen sich die Männer des ,,Kernkreises” zu der gerade in diesem Frühjahr und Sommer heftig diskutierten Frage der Koalition?

GRUBER: Vielen dauert die Zusammenarbeit der beiden großen Parteien schon zu lange. Viele sind auch der Meinung, daß diese Zusammenarbeit stagniert und unfruchtbar geworden ist. Für die letzten Jahre mögen diese Feststellungen zutreffen. Man soll aber nicht nur die Fehler sehen oder das, was nicht gemacht wurde, sondern auch die großen Leistungen als Früchte der Zusammenarbeit anerkennen. Meiner Meinung gibt es für die größte Partei in einem demokratischen Land keine andere Alternative, als die Zusammenarbeit zu aktivieren, sie fruchtbar zu gestalten, in der Regierung zu bleiben, sich nicht ausschalten zu lassen und verantwortungsbewußt weiterzuarbeiten. Opposition könnte auch den totalen Einfluß der anderen Partei bedeuten — und den Anfang zu einem sozialistischen Staat Österreich.

DR. SKALNIK: Wie ist überhaupt das Verhältnis des „Kernkreises” zu jener anderen Richtung, die als „Reformer” im Gespräch ist? Sind die Leute des Kernkreises, wie ich es in der Zeitung gelesen habe, „Antireformer”? Sind Sie der Meinung, daß alles, wie es heute in der Partei ist, zum besten bestellt ist und daß eine Reform nicht notwendig ist?

GRUBER: Der „Kernkreis” sieht die Notwendigkeit einer gewissen Reform im Sinn einer sich stets weiterentwik- kelnden Erneuerung durchaus ein. Reform aber darf nicht Umformung der Partei bedeuten, etwa in dem Sinn, daß sie sich von dem eingangs beschriebenen Grundkonzept entfernt. Wenn die sogenannte Reform zu einem guten Ende für die Partei gelangen soll, dann kann sie wohl nur darin bestehen, daß junge, weltanschaulich gefestigte Kräfte, die um Österreich, seine Tradition und Mission wissen, herangeholt werden, um langsam — „evolutionär” und nicht „revolutioär” — an Stelle der Älteren zu treten.

DR. SKALNIK: Eine Frage liegt nahe: Welche der in den letzten Wochen genannten Männer würde der ,,Kernkreis nach dem Klagenfurter Parteitag an der Spitze der Österreichischen Volkspartei sehen wollen?

GRUBER: Falls es noch gelingt, bei Minister Dipl.-Ing. Hartmann erfolgreich an die hohe Verpflichtung zu appellieren, beim Bundesparteitag dieses Amt zu übernehmen, so würde der Kernkreis zweifellos Hartmann als den geeignetsten Mann ansehen. Er besitzt hohes Ansehen nicht nur bei der Masse der Bauernschaft, er hat auch profunde Kenntnisse auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet und würde auch ein ausgezeichneter Bundeskanzler sein. Der .,Kernkreis” würde auch den Schöpfer der Schulgesetze und den ausgezeichneten Dialektiker Doktor Drimmel als Bundesparteiobmann sehr gerne sehen. Falls die Vorgenannten wirklich ablehnen sollten, wäre auch Dr. Klaus zu akzeptieren, den wir als konsequenten Verfechter einer harten Gangart, nicht aber als jenen „Reformer” kennen, der einer geistigen Unterwanderung der Volkspartei das Wort spricht. Als Generalsekretär kann sich der „Kernkreis” gut weiterhin Dr. Withalm vorstellen, nur müßten ihm eindeutige Mitarbeiter als Stellvertreter zur Seite gegeben werden. Andere Kombinationen werden kaum Aussicht auf Erfolg haben. Der neue Bundesparteiobmann sowohl als der Generalsekretär übernehmen in der gegenwärtigen Zeit eine sehr schwere politische Aufgabe. Sie werden Sorge tragen müssen, daß die zweifellos bestehenden Spannungen innerhalb der Partei abgebaut und in der Politik nicht Porzellan zerschlagen wird. Die neue Parteispitze wird sich demnach dem realen Kräfteverhältnis in Österreich anzupassen haben.

Zum Abschluß sei gesagt, daß die Parteidisziplin den „Kernkreis” bisher abgehalten hat, stärker an die Öffentlichkeit zu treten. Der Kernkreis hat Dynamik genug, um im Augenblick, wenn es um wirkliche Grundsatzfragen geht, auf den Plan zu treten.

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