Mangelnde Ressource - © Foto: Rijasolo / AFP

Wasser: Wenn das Nötigste fehlt

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In den Ländern des globalen Südens gehört Wasserknappheit zum Alltag. Mit der Coronakrise könnte diese ohnehin angespannte Lage eine neue, gefährliche Dimension erreichen.

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In den Ländern des globalen Südens gehört Wasserknappheit zum Alltag. Mit der Coronakrise könnte diese ohnehin angespannte Lage eine neue, gefährliche Dimension erreichen.

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Afrika greift im Kampf gegen Covid-19 hart durch. Während Regierungen in Europa deutlich länger zugewartet haben, erließen einige afrikanische Länder, wie etwa Südafrika, Namibia oder Gambia, nach den ersten bekanntgewordenen Infektionsfällen strengste Verordnungen und "Lockdowns". Das strikte Vorgehen hat einfache Gründe: Einerseits erreichte das neuartige Coronavirus den afrikanischen Kontinent leicht verspätet. Diesen Zeit- und Wissensvorsprung wollen die Länder für sich nutzen, damit es erst gar nicht zu einer rapiden Ausbreitung kommt. Andererseits fehlt es in vielen afrikanischen Ländern an den elementaren Ressourcen für die Eindämmung des Virus. Dazu zählen Betten und Beatmungsgeräte in den Intensivstationen, Schutzkleidung, Ärzte, Desinfektionsmittel und nicht zuletzt: sauberes Wasser.

Coronavirus in Afrika

Mit der zunehmenden Ausbreitung des Coronavirus in Afrika schlagen daher mehr und mehr Hilfsorganisationen Alarm. Corona stelle die Menschen dort vor eine Zerreißprobe, betont etwa die Hilfsorganisation „SOS Kinderdorf“. Denn viele, insbesondere Kinder, mussten schon bisher ums tägliche Überleben kämpfen und haben kaum finanzielle Rücklagen für den Vorrätekauf. Einige haben auch Vorerkrankungen oder leiden unter Unterernährung. Viele Länder auf dem Kontinent gelten daher aus Expertensicht als besonders anfällig für die explosionsartige Steigerung von Covid-19-Infektionsfällen. Cornelia Wallner-Frisee ist Ärztin in Tansania und Vizepräsidentin der NGO „Africa Amini Alama“. In dem ostafrikanischen Land sei die Lage noch „stabil“, die Maßnahmen für die Bekämpfung des Virus seien dort ähnlich wie in Europa, sagt sie.

„Überall im Land wird darauf hingewiesen, wie wichtig das Händewaschen mit Seife ist. In den offiziellen Institutionen und in fast jedem Geschäft stehen ein Eimer und Seife zum Waschen zur Verfügung.“ Sogar per SMS werden die Menschen angehalten, auf ihre Handhygiene zu achten. Seifen werden vermehrt lokal hergestellt, erklärt die Ärztin. „Wasser gibt es im Moment genug, wenn auch nicht immer in Trinkqualität“, sagt Wallner-Frisee, „zum Händewaschen reicht es aber noch aus“. Mit dem Problem der mangelnden Wasserqualität ist Tansania jedoch nicht alleine.

Diese plagt viele Länder des globalen Südens seit Jahren, wie ein 2019 veröffentlichter Bericht der Unicef und der Weltgesundheitsorganisation zeigt. Jedes Jahr sterben dem Bericht zufolge 297.000 Kinder unter fünf Jahren weltweit an Durchfallerkrankungen, die durch mangelnde Wasser-, Sanitär- und Hygieneversorgung verursacht werden. Unzureichende Sanitärversorgung und verschmutztes Trinkwasser tragen außerdem zur Übertragung von Krankheiten wie Cholera, Ruhr, Hepatitis A und Typhus bei – die wohl größten Herausforderungen auf dem afrikanischen Kontinent. Die aktuelle Statistik der WHO führt für die gesamte „Afrika-Region“ derzeit 64 Epidemien an. Das neuartige Coronavirus ist nur eine davon. Und obwohl die Bevölkerung der meisten Länder Afrikas im Schnitt sehr jung ist, gibt es etliche Vorerkrankungen und damit zahlreiche mögliche Covid-19-Risikopatienten. Desinfektionsmittel werden bereits jetzt knapp, und viele Hygienemaßnahmen, die im globalen Norden als selbstverständlich gelten, können im Süden gar nicht eingehalten werden. Mehr als die Hälfte aller Menschen weltweit haben keine sichere Sanitärversorgung und damit keinen Zugang zu hygienischen Toiletten. Drei Milliarden Menschen haben noch nicht einmal die Möglichkeit, sich zu Hause die Hände zu waschen, wie der WHO-Bericht zeigt. Mehrere Häuser müssen sich dieselben sanitären Einrichtungen teilen.

Mehrere Häuser müssen sich dieselben sanitären Einrichtungen teilen. Die notwendige Hygiene ist somit nicht gegeben.
(Cornelia Wallner-Frisee, Ärztin in Tansania)

Vor allem in ländlichen Regionen dürfte die Bekämpfung von Covid-19 schwierig werden, da der Zugang zu Wasser eine Herausforderung sein könnte, wie Michel Yao, Leiter der Notfall-Programme der WHO in Afrika, betont. Das größte Problem seien jedoch die fehlenden Distanzmöglichkeiten. Viele Menschen leben auf engstem Raum. Nach Schätzungen von UN-Habitat haben etwa im kenianischen Kibera, einem der größten städtischen Slums der Welt, zwischen 500.000 und 700.000 Menschen ihr Zuhause. Auch in Tansania sei das größte Problem die fehlende Distanz, betont die Ärztin Wallner-Frisee.

„Social Distancing“ gelingt nicht

„Die notwendige Hygiene und das 'Social Distancing' sind nicht gegeben“, sagt die Ärztin. Außerdem sei dieses in einigen afrikanischen Ländern nicht so einfach umzusetzen wie in Europa. „Es sollen nur die notwendigsten Erledigungen getätigt werden, was hierzulande nicht ganz einfach ist“, sagt Wallner-Frisee, „denn die Märkte, die die Menschen mit Lebensmitteln versorgen, sind vor allem mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar“. Die große Armut sei ein weiterer Risikofaktor: „Die größte Herausforderung ist die Isolation. Die Menschen verfügen nicht über ausreichend Geld, um zu Hause zu bleiben. Sie müssen ihren Pflichten am Feld nachgehen, um so täglich Geld zu verdienen – es gibt kein staatliches System, das sie auffängt“. Niemand könne es sich leisten, seinen Aufgaben nicht nachzugehen, sagt die Ärztin. Der Hunger bringe die Menschen auf die Straße.

Auch den Vertretern der Afrikanischen Entwicklungsbank ist der Ernst der Lage bewusst. Die Bank hat bislang zehn Milliarden US-Dollar (9,2 Milliarden Euro) für den Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie auf dem Kontinent zur Verfügung gestellt. Das Institut werfe sein ganzes Gewicht in die Waagschale, um Afrika in dieser schwierigen Zeit zu helfen, sagt der Präsident der Entwicklungsbank, Akinwumi Adesina.

Blick auf Indien

Neben den Ländern Afrikas ist Indien eine Region, auf welche die Weltgesundheitsorganisation mit Sorge blickt. Auch dort spielt die Wasserversorgung angesichts der Coronakrise eine immer gewichtigere Rolle. Schon vergangenen Sommer hatte das Land ein eigenes Ministerium für Wasserkraft eingerichtet. Jährlich sterben in Indien rund 200.000 Menschen als Folge einer unzureichenden Wasserversorgung. Bis 2030 soll der Wasserbedarf etwa zweimal so hoch sein wie die verfügbaren Ressourcen. Und das gilt nicht nur für Indien: Ein weltweit steigender Wasserbedarf, der vor allem dem Klimawandel, der zunehmenden Industrialisierung von Schwellenländern, aber auch dem Bevölkerungszuwachs geschuldet ist, bleibt mit und ohne Coronavirus die wohl größte Herausforderung der kommenden Jahre.

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