6593921-1952_45_01.jpg
Digital In Arbeit

Wechsel im Weißen Haus

Werbung
Werbung
Werbung

Erst wenige Stunden trennen uns von einem der wichtigsten weltpolitischen Ereignisse dieses Jahres und doch scheint es, als seien hüben und drüben die neuen Positionen bereits bezogen. In der Tat hat die Weltöffentlichkeit den Kampf um die amerikanische Präsidentschaft so aufmerksam verfolgt, daß sie seit langem auf die beiden Möglichkeiten seines Ausganges vorbereitet war. Nun, da die Wähler der USA entschieden haben, da die eine der beiden Möglichkeiten sich realisiert hat und die eigene Stellungnahme mitgeteilt werden kann, lohnt sich ein Augenblick der Überprüfung.

Es dürfte in der Geschichte der Vereinigten Staaten noch nie einen gleich dramatischen Wahlkampf gegeben haben. Am Beginn der Kampagne sah man in General Eisenhower den fast sicheren Sieger, in dem entgegen seinem Wunsch nominierten Gouverneur Stevenson einen Außenseiter. Jedoch verringerte sich mit jedem weiteren Tag der Abstand, der die beiden Kandidaten voneinander trennte. Es geschah, was niemand erwartet hatte: „Ike" Eisenhower erzielte als Politiker lange nicht die gleiche Wirkung, die von ihm als General ausgegangen war, und Adlai Stevenson, der etwas menschenscheue Aristokrat aus Illinois, wurde in Windeseile populär. Nach wenigen Wochen schon wurden den beiden Kandidaten die gleichen Chancen zugebilligt. Hier aber blieb diese Entwicklung stehen. Stevenson hatte seinen Gegner wohl einholen, aber niemals überflügeln können und Eisenhower zwar Zusehen müssen, wie seine überreichen Vorschußlorbeeren verwelkten, aber jederzeit mit dem demokratischen Kandidaten Schritt gehalten. Die Affäre Nixon brachte im Wahlkampf ebensowenig eine Wendung wie das energische, wenn auch nicht immer glückliche Eingreifen Präsident Trumans. Die Würfel sind auch tatsächlich erst am Tag der Wahl gefallen und der Ausgang dieses dramatischen Kampfes wurde durch jene bestimmt, die nicht den Parolen einer Partei, sondern ihrer Einsicht und ihrem Verantwortungsgefühl gefolgt waren. Die endgültige Entscheidung war eine persönliche.

Das Ergebnis liegt vor uns: der Republikaner Dwight D. Eisenhower wurde für die nächsten vier Jahre zürn Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Die Bedeutung, die diesem Ereignis zukommt, kann vielleicht dann erst richtig ermessen werden, wenn man sich vor Augen hält, daß die Geschichte der USA seit zwanzig Jahren von demokratischen Präsidenten gelenkt wurden. Washington wird in den nächsten Wochen und Monaten einem Ameisenhaufen gleichen. Ein eingespielter, wenn auch an manchen Stellen abgenützter Staatsapparat soll ausgewechselt werden: die Ministerien werden von oben herab neu besetzt und voraussichtlich auf längere

Zeit aktionsbehindert sein; in den Staaten selbst wird es gewichtige Änderungen finanz- und sozialpolitischer Natur geben, und die Beziehungen, die demokratische Politiker und Diplomaten mit dem Ausland gepflegt haben, werden von Republikanern neu angebahnt werden müssen — mit einem Wort: alles, was bisher in der amerikanischen Innen- und Außenpolitik maßgebend war, wird ausgetauscht werden. Wird es möglich sein, in dieser Situation klaren Kopf zu behalten?

Wir glauben schon. Die Amerikaner haben nicht zuletzt deshalb für Eisenhower gestimmt, weil sie von ihm diesen Wechsel in der gesamten Administration erwarten. rtIt’s time for a change!" war der Slogan, mit welchem die Republikaner die noch unentschiedenen Wählir- schichten für sich gewannen, und auf keine Aufgabe dürfte sich Eisenhower gründlicher vorbereitet haben als auf die Übernahme des Verwaltungsapparates durch die Republikanische Partei. Der General hat die Politik nicht von der Pike auf gelernt, gewiß, aber er hat sich als Organisator im zweiten Weltkrieg einen hervorragenden Namen gemacht. Die hohen Militärs sollen im Krieg nicht umgänglicher sein als die Politiker in Friedenszeiten, und es ist durchaus wahrscheinlich, daß sich der neue Präsident in dieser kritischen ersten Phase seiner Amtsperiode abermals bewähren wird.

Freilich hängt sehr viel davon ab, ob Eisenhower jetzt schon imstande ist, sich der Alten Garde der Republikaner zu entledigen. Vom reaktionären, isolationistischen Taft bis zum demagogischen Senator McCarthy ist der Präsident von einem Kreis scheinbarer Gesinnungsfreunde umgeben, die eine akute Gefahr für jene Politik des Friedens und der Freiheit bedeuten, die die USA bisher verfolgt haben. Hier darf man nicht nur, hier muß man hoffen, daß Eisenhower seine neue, fast unbegrenzte Macht dazu gebrauchen wird, die politischen Schlüsselpositionen dem linken, aufgeschlossenen Flügel seiner Partei anzuvertrauen. Nur so wird es ihm möglich sein, die Versprechen, die er während seines Wahlfeldzuges gegeben hat, einzulösen.

Glücklicherweise liegt kein Grund zu ernsterer Besorgnis in dieser Richtung vor. Die Amerikaner wußten sehr gut, daß Eisenhower als Kandidat nicht freie Hand hatte, sondern auf die republikanische Parteiorganisation Rücksicht nehmen mußte, die auch nach dem Konvent noch zum Großteil von Taft- Anhängern kontrolliert wurde. In jeder Wahlrede, in jeder Presseaussendung ist dies impliziter zum Ausdruck gekommen, und wenn er dennoch gewählt wurde, ist das das beste Zeichen für das Vertrauen, das man in den USA dem ehemaligen Kriegshelden entgegenbringt. Sollte ein Mann, den man für fähig hält, die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten zu verwalten, nidit auch in der Lage sein,

mit den rückschrittlichen Kräften seiner Partei fertig zu werden?

Eisenhower hat in der Kampagne der letzten Monate nicht nur das Programm seiner Partei verteidigt, sondern auch persönlich sehr, sehr viel versprochen. Er ist weit über den außenpolitischen Rahmen hinausgegangen, den John Foster Dulles auf dem republikanischen Konvent abgesteckt hatte. Eisenhower will den Frieden, das steht außer Zweifel, und er ist, wie sein Amtsvorgänger, der Meinung, daß die Freiheit der westlichen Welt auf keinen Fall preisgegeben werden dürfe. Die Methoden allerdings, mit denen Amerika bisher den Frieden erhalten und die Freiheit verteidigt hat, werden in den nächsten vier Jahren nicht mehr die gleichen sein.

Eisenhower will die Friedenspolitik aktivieren. Was er darunter versteht, ist nicht leicht zu sagen, man darf aber wohl annehmen, daß sich diese Absicht eher in Aktionen, als in einer entschiedenen Haltung ausdrücken wird. Vor allem in Europa wird sich dieses neue Konzept — wenn man Eisenhowers Pläne als solche bezeichnen darf — bewähren müssen. Der Präsident kennt die Schwierigkeiten, die dem politischen und wirtschaftlichen Zusammenschluß des freien Europa erwachsen sind, besser als die meisten Amerikaner und wird, wenn er gut beraten ist, zur Lösung des dornenvollen Problems der Europaunion das Seinige beitragen können. Die Absichten, die er in Ostasien verfolgt und besonders seine Politik der Sowjetunion gegenüber, werden sich, allen gegenteiligen Versicherungen zum Trotz, aus der Situation des europäischen Raumes ergeben müssen — selbst auf die Gefahr hin, daß es darüber zum offenem Bruch zwischen dem Präsidenten und dem rechten Flügel seiner Partei kommen sollte.

Die Persönlichkedi Eisenhowers ist seit einem Jahrzehnt der ganzen Welt bekannt. Er ist ein Mann, der Vertrauen einflößt und verdient. Er hat, wie wenige Generale, dazu bedgetragen, daß der zweite Weltkrieg egen die eine Diktatur gewonnen wurde — ob er imstande ist, als Politiker den Frieden gegen die andere zu gewinnen, wird die Zukunft lehren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung