Bub - © Foto: EPA

Weg mit der Atombombe

19451960198020002020

Die Atom-Supermächte müssen bei der nuklearen Abrüstung vorangehen. Sonst geraten alle Atomwaffen-Beschränkungen für andere Länder zur Farce.

19451960198020002020

Die Atom-Supermächte müssen bei der nuklearen Abrüstung vorangehen. Sonst geraten alle Atomwaffen-Beschränkungen für andere Länder zur Farce.

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn die republikanische Spitzenkandidatin für das Amt um die US-Vizepräsidentschaft diese Prognose abgegeben hätte, könnte man sich beruhigt zurücklehnen. Doch diese Ankündigung stammt nicht von der außenpolitisch unbedarften Gouverneurin Sarah Palin, sondern von ihrem erfolgreichen Konkurrenten Joe Biden. Der neue amerikanische Vizepräsident, ehemalige Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des US-Senats und von Freund wie Feind als bester Kenner der Außenpolitik der Vereinigten Staaten bezeichnete Biden sagte anlässlich eines Wahlkampf-Spendenabends im vergangenen Oktober in Seattle: "Erinnern Sie sich an meine Worte: Es wird keine sechs Monate dauern, bis die Welt Barack Obama testet, wie sie es mit John F. Kennedy getan hat. Wir sind dabei, einen brillanten 47-jährigen Senator zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu wählen. Erinnern Sie sich daran, wenn Sie sich an sonst nichts erinnern, was ich an diesem Abend gesagt habe: Wir werden eine internationale Krise haben, eine herbeigeführte Krise, um ihn zu testen. Als jemand, der die Geschichte studiert und mit sieben Präsidenten zusammengearbeitet hat, garantiere ich Ihnen, dass das passieren wird."

Obama die Kriegslogik von Bush aufzwingen

Derzeit gibt es auf dem Erdenrund genügend nicht mit Vorsatz - Verschwörungstheoretiker bitte weghören! - herbeigeführte Krisen. Und Obama ist schon mit der Bewältigung dieser "normalen" Krisen ein Halbjahr hinreichend eingedeckt. Doch sein Vizepräsident ist der Überzeugung, dass eine weitere, bewusst initiierte Prüfung für den US-Präsidenten dazukommt. Was soll das sein? Wer soll das aushecken, durchführen?

An Feinden mangelt es den USA wahrlich nicht. Doch was wäre das Schlimmste, was den Vereinigten Staaten im derzeitigen Freudens- und Hoffnungstaumel passieren könnte? Abgesehen von einem erfolgreichen Attentat auf den personifizierten Politik-Wechsel, wäre es eine Katastrophe, würde jemand oder etwas Obama die überwunden geglaubte Bush-Politik aufzwingen. Eine Terror-Attacke auf die USA, groß, tödlich und mit einem vermuteten, unterstellten, bewiesenen Zusammenhang zu einem Land, einer Region, einer Regierung dieser Welt. Wie lange würde Obama seine Falken im Käfig halten können? Wie lange sein multilaterales Verhandlungs-Credo weiterbeten und nicht den unilateralen Erstschlag-Sündenfall seines Vorgängers fortsetzen? Letztlich hängt alles von der Antwort auf diese Frage ab: Ist Barack Obama politisch willens und fähig - im Gegensatz zu George W. Bush - auf einen begrenzten Terroranschlag anders als mit einem unbegrenzten Krieg gegen ein anderes Land zu antworten?

Wie wenig das mittlerweile eine Selbstverständlichkeit ist und wie sehr die Bush-Logik Platz gegriffen hat, zeigen die Terror-Angriffe in Mumbai: Innerhalb kürzester Zeit schnellte das Drohpotenzial Indiens gegenüber seinem Nachbarn Pakistan bis zum Einsatz von Atomwaffen in die Höhe. Der Verdacht genügte, die Terror-Drahtzieher könnten in Islamabad sitzen, um die Versöhnungsschritte der vergangenen Jahre von einem Moment auf den anderen vergessen zu machen, die Cricket-Diplomatie durch die Androhung der nuklearen Verwüstung zu ersetzen. Die wiederholten und von Indien augenscheinlich wenig geglaubten Beteuerungen des pakistanischen Präsidenten Asif Ali Zardari, nichts mit dem Terror im Nachbarland zu tun zu haben, bekommen angesichts dieses Bedrohungsszenarios eine globale wie welthistorische Bedeutung. Zardari dementierte Verbindungen zur Mumbai verwüstenden Terrorgruppe Lashkar-e-Taiba: "Im Gegenteil, wir sind deren Zielscheibe und deren Opfer!" Und weiter: "Ihr eigentliches Ziel waren nicht die Zerstörungsakte, sondern die Reaktionen, die sie damit hervorrufen würden. Sie wollen einen Krieg der Zivilisationen auslösen, und das haben sie leider auch erreicht."

Gefährlicher als jedes James Bond-Drehbuch

Zum Krieg zwischen Indien und Pakistan hat es Gottseidank noch nicht gereicht, noch nicht, aber die Drehbuchschreiber für den nächsten James Bond können wieder einmal aus dem Vollen schöpfen: Der Staatspräsident eines Atomstaats von einer Terror-Meldung aus dem Schlaf gerissen, mit dem Atomkoffer auf dem Schoß auf der Bettkante sitzend, unschlüssig, ob er den Startknopf für ihre Nuklearwaffen drücken soll oder nicht, oder doch …

Michael Gorbatschow und Jimmy Carter, zwei ehemalige Präsidenten, die den Atomkoffer jahrelang neben ihrem Bett stehen hatten, haben eingedenk dieser Erfahrung vergangene Woche eine Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen gestartet. Diese Global-Zero-Initiative will ein globales Abrüstungsregime und die Vernichtung aller Kernwaffen binnen 25 Jahren durchsetzen. Erstes Etappenziel ist ein internationaler Abrüstungsgipfel im Jänner 2010, auf dem die Zukunft des Atomwaffensperrvertrags verhandelt werden soll.

Eine weitere Initiative, die den Atom-Knopf weniger gefährlich machen soll, wird von der Schweiz vorangetrieben. Gemeinsam mit fünf anderen Ländern hat Bern einen UNO-Resolutionsvorschlag eingebracht, damit Atomwaffen nicht weiterhin auf höchster Alarmstufe bereitgehalten werden. Gegenwärtig kann man Tausende Atomwaffen innerhalb von einer Minute zünden - ein zufälliger Atomkrieg ist damit nie auszuschließen. Die Schweiz schlägt deswegen in der UNO vor, Sprengköpfe gesondert von Wurfkörpern zu lagern und in die Computerprogramme Verzögerungsschritte zur Zündung einzubauen.

In Anlehnung an US-Vizepräsident Bidens Vorhersage soll die Welt Präsident Obama jetzt genau in dieser Frage testen - bevor es Atom-Terroristen tun: Die USA und Russland müssen als Vorbild für alle anderen Atomstaaten - und jene, die es werden wollen - endlich ihre Abrüstungsverpflichtung ernst nehmen. Und Amerika als der mächtigste Atomstaat muss vorangehen. Denn der Chef der internationalen Atomenergiebehörde Mohammed El Baradei hat in jeder Hinsicht recht, wenn er sagt: "Die Welt kann es sich nicht leisten, 20 Jahre nach dem Kalten Krieg 27.000 Atomwaffen zu haben."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung