Weichenstellung im Reich Nasarbajews

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Die OSZE kritisiert die Wahlen in Kasachstan scharf. Doch Präsident Nasarbajew freut sich seines geschobenen 95-Prozent-Triumphs und arbeitetet mit seinen ausländischen "Beratern“ an einer Imagekorrektur in der EU.

Der Wahlsieger in dem rohstoffreichen Steppenstaat stand am 3. April von vornherein fest. Nasarbajew hatte keine Gegner. Weder ernstzunehmende Kandidaten noch widrige soziale oder wirtschaftliche Gegebenheiten, die ihm den Sieg in der strategisch wichtigen Regionalmacht streitig hätten machen können. Nasarbajew ist einer der wenigen Granden aus der Zeit der UdSSR, die die postsowjetische Zeit überlebt haben. Die Fakten sprechen für ihn, trotz aller demokratischer Unzulänglichkeiten. Der Westen drückt ein Auge zu, denn Nasarbajew bedeutet Stabilität und gute Geschäfte.

Mit 95 Prozent Zustimmung und extrem hoher Wahlbeteiligung hat der Langzeit-Staatschef seine Werte bei früheren Wahlgängen noch übertroffen. So war es denn ein Leichtes für ihn, nach dem Wahlsieg vor Fähnchen schwingenden Fans zu verkünden, das kasachische Volk habe ihn auf breiter Basis gewählt, ergo bedürfe er keiner anderen Unterstützung.

Während der Staatschef von seinen Anhängern umjubelt wurde, ließen Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ihrem Groll freien Lauf. OSZE-Langzeitbeobachter hatten die Ausgangslage der Wahl gründlich analysiert und dabei große Mängel festgestellt. Die Kritik zielte auf den gesetzlichen Rahmen, die Einschränkungen bei Versammlungs- und Ausdrucksfreiheit sowie die hastige Vorbereitung der Wahl. Die versprochenen politischen Reformen seien nicht umgesetzt worden, stellte Daan Everts von ODIHR, dem Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, fest.

Verdacht selektiver Wahrnehmung

Den Verdacht einer selektiven Wahrnehmung auf kasachischer Seite wird man nicht los. Die Medienanalystin Elma Sehalic beklagte, die staatlichen Medien hätten die OSZE-Kritik am Wahlvorgang völlig totgeschwiegen. In der Wahlberichterstattung der großen TV-Stationen kam die OSZE-Einschätzung überhaupt nicht vor. Genau so wenig in den größeren Printmedien. Der Stellenwert von Zeitungen ist ebenso gering wie ihre Auflage. Die Kriminalisierung der Medien wirkt abschreckend. Bei Verleumdungsklagen drohen exorbitant hohe Strafen. Die Mediensituation sei zuletzt eher schlechter geworden, so die Expertin.

Die wichtigsten Oppositionsparteien boykottierten die Wahl, so die Algha und die Kommunistische Partei. Der Grund dafür mag die Aussichtslosigkeit gewesen sein, gegen das Schwergewicht Nasarbajew anzutreten. Meist wird jedoch ins Treffen geführt, man habe keine Zeit zur Vorbereitung gehabt und wolle sich lieber auf die Parlamentswahlen konzentrieren, die bis 1012 stattfinden sollen. Laut westlichen Diplomaten in Astana hätte ein längerer Vorbereitungszeitraum den Kandidaten mehr Bekanntheit verschafft.

Michael Laubsch von der Eurasian Transition Group hält den Boykott dennoch für einen Fehler. Zwar bestand keine Aussicht auf einen Sieg, doch die Chance, das Programm für die kommende Parlamentswahl zu präsentieren. Der Chef des Kasachischen Presseclubs, Seitkazy Matayev, ist der Ansicht, eine Opposition müsse jederzeit für eine Wahl gerüstet sein. "Die Opposition in Kasachstan ist wirklich schwach.“ Noch dazu bekannte sich keiner als echter Oppositioneller; der Beweis wurde am Wahltag erbracht.

Im Parlament sitzt gegenwärtig nur die Regierungspartei Nur Otan, die am liebsten Nasarbajew lebenslänglich zum Staatspräsidenten gemacht hätte. Durch ein Referendum. Aus diesem zum Jahreswechsel initiierten Referendum wurde nichts. Offiziell, weil der Amtsträger selbst keines wollte und weil man keinen Präzedenzfall schaffen wollte. Das Ergebnis waren die nunmehr vorgezogenen Präsidentenwahlen, ein Jahr vor dem regulären Termin.

Hören auf das Ausland?

Die Führung in Astana beeilt sich zu betonen, dass Kasachstan auf die negative Beurteilung im Ausland sensibel reagiert habe. Vizeaußenminister Konstantin Zhigalov, zuständig für EU-Fragen, versicherte ebenso wie der Generalsekretär der Nur Otan, Erland Karin, man habe auch auf ausländische Stimmen gehört. Doch letztlich habe der Präsident selbst entschieden, heißt es unisono. Die EU, die OSZE und die USA lehnten das Referendumsprojekt als undemokratisch ab.

Gegen Nasabajew auf Lebenszeit war, wie in Gesprächen durchklingt, auch ein illustres Beratergremium, dem Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer angehört. Laute Stimmen seien darin gegen das Referendum erhoben worden, das eine schiefe Optik erzeugt hätte. In dem Gremium für den National Wealth Fund, der das kasachische Staatseigentum managt, sitzt Gusenbauer mit sozialdemokratischen Parteifreunden wie dem früheren deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Polens ehemaligem Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski.

Die Nicht-Abhaltung des Referendums mag auch ein Signal an die jüngere Generation sein. Die neue Regierung, die Nasarbajew ernannt hat, enthält einige Vertreter aus der Generation ab 40 Jahren. Einer von ihnen ist Yerzhan Kazykhanov (46), der jüngst von seinem Botschafterposten in Wien zurückgeholt wurde. Er sollte sich um die Islamische Konferenz-Organisation (ICO) kümmern, deren Vorsitz Kasachstan im Juni übernimmt. Von Vorsitz zu Vorsitz: Im Vorjahr konnte sich Astana der OSZE-Präsidentschaft rühmen, als erstes postsowjetisches Land.

Der 70-Jährige Potentat werde jetzt über seine Nachfolge nachdenken, meint Presseclub-Chef Matayev. Ein Denkmal für die Nachwelt hat er sich mit der Hauptstadt Astana, ob ihrer modernen Prachtbauten als Abu Dhabi in der Steppe apostrophiert, schon gesetzt. Nasarbajews Nachfolger werde nicht unbedingt ein Verwandter sein, schätzt der Journalist. Mit Rakhat Aliyev, dem ambitionierten Ex-Schwiegersohn, dessen Auslieferung Kasachstan von Österreich begehrt, hat er ja genug Zores.

Nasarbajew sei für das Volk ein Symbol der jüngeren Geschichte Kasachstans, argumentiert die Entourage des Langzeit-Staatschefs. Auf politischer Ebene werde die Nachfolgefrage aufs Tapet gebracht, räumt Otan-Generalsekretär Karin ein. Doch es gehe auch um strukturelle Veränderungen, nicht nur um die Person Nasarbajews. Der Botschafter in Wien, Kairat Abdrakhmanov, hebt dessen "Popularität“ hervor. Aber auch den Reformwillen Kasachstans. So sollen die Vollmachten des Parlaments erweitert, Wahlrecht, Rechtssystem und Medienrecht verbessert werden. Bis zur Parlamentswahl? Das wurde auch vor der letzten Wahl gepredigt.

Aufgabe des neuen Außenministers wird es indessen sein, balancierte Auslandsbeziehungen zu bewerkstelligen. Bei der Vorstellung Kazykhanovs in Astana kündigte Nasarbajew an, der neue Außenamtschef solle sich verstärkt der Zusammenarbeit mit der islamischen Welt annehmen. Es gelte, das Gewicht Kasachstans in der arabischen und islamischen Welt zu erhöhen. Da kommt der ICO-Vorsitz gerade recht. Eine Entwicklung wie in Arabien wird in Kasachstan nicht befürchtet. Auch dank seiner begehrten Rohstoffe wie Öl, Gas und Uran, die den Wohlstand sichern. 2010 betrug das BIP-Wachstum sieben Prozent.

Vertiefte Partnerschaft

Zugleich strebt Kasachstan eine "vertiefte Partnerschaft“ mit der Europäischen Union an, die über die bestehende Zentralasien-Strategie der EU und wirtschaftliche Belange hinausgeht. Die Union ist zum wichtigsten Handelspartner Kasachstans geworden; 47 Prozent seiner Exporte, vor allem Öl, gehen in den EU-Raum. Die eurasische Kooperation ist gegenwärtig auf den Sicherheits- und Energiesektor ausgerichtet. Jüngste Aussagen Nasarbajews zur arabischen Welt hörten sich allerdings eher an wie "Europa war gestern“.

Unter einem wachsamen Auge behält Kasachstan auch sein ethnisches und religiöses Bevölkerungsgemisch. Die Pflege des multikulturellen Dialogs ist Teil der staatlichen Strategie. Im Süden wird ein Aufkeimen nationalistischer Strömungen und à la longue eine Bedrohung des multiethnischen Gefüges befürchtet. Seit der Unabhängigkeit hat sich der Anteil der ethnischen Kasachen von 40 auf 67 Prozent erhöht. Kasachisch wird forciert. Selbst Otan-Mann Karin gibt zu, dass dem Land ethnische Probleme erwachsen könnten. Man denkt an die unruhige Nachbarschaft etwa in Usbekistan und Kirgistan.

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