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Weißblaue Perspektiven

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Nie noch hat eine bayerische Land- tagswahl so viel nationales und internationales Interesse erregt wie die vom 20. November 1966. Bayern nennt sich stolz einen Freistaat, und durch manche Besonderheit wird das unterstrichen. Es fühlt sich überdies als großes und' gewachsenes Land, als das einzige in der Bundesrepublik mit echtem, unverfälschten Staatsbewußtsein, als Schwerpunkt deutscher Politik, als bewegende Kraft auf dem Bonner Schauplatz. Fraglos, daß die CSU seit dem Wiederbeginn nach 1945 sich weitgehend mit diesem Land identifizierte: die nun neu bestätigte Stärke dieser Partei strahlt stark in die bundesdeutsche Politik und wird dort ange-

sichts einer schweren Krise von mitbestimmendem Gewicht sein.

Politische „Flurbereinigung“

Indessen soll davon hier nicht die Rede sein, sondern die innerbayerische Politik einer Analyse unterworfen werden.

110 Mandate für die CSU, 79 für die SPD, 15 für die NPD — das sind die 204 Abgeordeneten, die im Maximilianeum — einem prächtig gelegenen Gebäude — als Landtag wirken. Die Freien Demokraten und die Bayernpartei sind nicht mehr vertreten — ihnen gelang es nicht, wenigstens in einem der sieben Regierungsbezirke (=Wahlkreise) die vom Gesetz vorgeschriebenen zehn Prozent zu erreichen. Die politische Landschaft unter dem weißblauen Himmel wird damit eintöniger. Der kulturkämpferische Elan der FDP hat oft, namentlich in den letzten Monaten, zu erregten Debatten in der Volksvertretung geführt. Obschon nicht immer frei von deutlichen Einseitigkeiten, fand diese kleine Partei, dank ihres beacht-

liehen intellektuellen Niveaus, allseits eine bemerkenswerte Beachtung. Nicht minder gilt das von der BP. Sie hatte ihre große Zeit in den fünfziger Jahren, da sie sogar im Bundestag vertreten war. Im Landtag verteidigte sie am hartnäckigsten den Föderalismus und die bayerische Eigenständigkeit.

Man war nie sicher, wo die Tren-

nungslinie zum Separatismus wirklich verlief: mancher kämpferische Politiker machte kein Hehl daraus, daß das Land in der Bundesrepublik nichts zu suchen habe. Alte Ressentiments gegen die „Preußen“, womit übrigens ziemlich wahllos jeder Deutsche nördlich des Mains bezeichnet wird, verbunden mit einer in der Tat immer stärker werdenden Überfremdung einzelner Gebiete, haben der BP zeitweilig viel Zulauf gebracht. Ihre parlamentarischen Aufführungen waren freilich nicht besonders attraktiv. Den Föderalismus selbst finden die Wähler offensichtlich auch bei der CSU gut aufgehoben — die Bayernpartei wird sehen müssen, ob ihr in der erzwungenen niöhtparlamentarischen Phase soviel Ansehen und Kraft erneut zuwächst, daß sie es in vier Jahren wieder schafft.

Ein schlechter Tausch

Fürs erste hat der bayerische Nationalismus allerdings einem deutschen Platz machen müssen. Die Nationaldemokraten sind zweifellos ein schlechter Tausch. Wenige nehmen es ihr ab, daß sie echte Demokraten sind. Demokraten auf Zeit eher. Nämlioh so lange, als es nötig ist, einem Verbot zu entgehen (wie es die KPD getroffen hat).

Ein Gerichtsurteil erlaubt es, die NPD als Nachfolgeorganisation der NSDAP zu erklären — immerhin! Kein Wunder, sind doch in der Führung ehemalige hochgestellte Nationalsozialisten vertreten. Was sie dem Volk künden, ist kein Programm: zu einer positiven, klaren Aussage sind sie bis jetzt nicht fähig gewesen. Es ist vielmehr ein Sammelsurium von Ressentiments und, freilich auch, Hinweisen auf Unterlassungen der demokratischen Parteien. Die entscheidende Unterlassung: das nationale Ethos in das Bewußtsein des Volkes adäquat zu bringen. Jenes bescheidene, gesunde Maß an nationaler Idee, auf das, wie es scheint, ein Staatswesen auch in diesem Jahrhundert nicht verzichten kann.

Im Bayerischen Landtag werden die beiden demokratischen Parteien jede Zusammenarbeit mit der NPD ablehnen — eine radikale Haltung gegenüber einer radikalen Partei.

Man sollte über den Erfolg der neuen Nazipartei indes nicht die Grundtatsache vergessen: 92,6 Pro-

zent der Bevölkerung hat den demokratischen Parteien das Vertrauen ausgesprochen. Die Stabilität der politischen Verhältnisse ist augenfällig.

„Revolution in der Wirtschaft“

Maßgebend hierfür ist neben der sachlichen Opposition der SPD die dynamische, entschlossene Politik der Christlich-Sozialen Union. Es ist ihr gelungen, in der abgelaufenen Legislaturperiode eine stille, aber wirkungsvolle Revolution durchzuführen, deren Schwerpunkte bei Wirtschaft und Kultur lagen.

Das agrarisch bestimmte Gesicht Bayerns hat sich gewandelt in ein agrarisch-industrielles. Dabei hat die Energiepolitik unter Wirtschaftsminister Dr. Otto Schedl eine umwälzende Änderung erfahren: der aus dem Boden gestampfte Rafflne- riekomplex von Ingolstadt, die Pipelines aus dem Süden und Südwesten sowie das Entstehen eines gewaltigen Chemiezentrums im Raum Burghausen, nahe der österreichischen Grenze, haben Bayerns Wirtschaftskraft entscheidend verbessert. Das künftige Programm wird diesen Prozeß vollenden. Darüber hinaus werden die elektronische und die Raumfahrtindustrie stark gefördert. Bayern ist auf diesen Gebieten heute schon führend in der BRD. Das angesehene Prognos-Institut in Basel prophezeit in einer umfangreichen Studie, daß Bayern bis 1980 die stürmischste ökonomische Entwicklung durchmachen wird.

Ein neuer Akzent der bayerischen Wirtschaftspolitik wird durch eine veränderte, positive Stellung gegenüber den osteuropäischen Ländern gesetzt. Die traditionellen Bande, vor allem nach Südosten, sollen verstärkt werden. Ein gewaltiges Projekt, der Rhein-Main-Donau-Kanal, jetzt besser Europakanal genannt, wird innerhalb der weiß-blauen Grenzen verwirklicht. Bis 1981 wird dieser Kanal fertiggestellt sein — unter immensen Schwierigkeiten und Kosten. Der Handel zwischen den europäischen Ländern wird dadurch aufs stärkste erweitert werden.

Es versteht sich, daß bei einer solchen kühnen Wirtschaftspolitik das Einkommen der Bevölkerung entsprechend steigen dürfte.

Schwierige Kulturpolitik

In der Kulturpolitik findet seit zwei Jahren ein entscheidender Durchbruch statt: auf diesem einzigen Gebiet, das die Länder autonom beherrschen (Kulturhoheit), sind neue Ideen gereift von wahrhaft entscheidender Bedeutung: die kardinale Erkenntnis von der Priorität der Bildung ist zum Leitmotiv unter Staatsminister Dr. Ludwig Huber geworden. Auf allen Gebieten der Kultur wurden und werden neue Marksteine gesetzt.

Das vor wenigen Wochen verabschiedete, schwer umstrittene Volksschulgesetz behält die Bekenntnisschule als Regelschule bei, erleichtert jedoch wesentlich die Gründung christlicher Gemeinschaftsschulen. Der entscheidende Fortschritt ist jedoch die Eliminierung der Zwergschule, der Schulen also, die in einer Klasse sämtliche acht oder neun Jahrgänge umfaßte. An ihre Stelle treten vollausgebaute Schulen oder, bei kleineren Gemeinden, die Verbandsschule. Sie ist für mehrere Gemeinden bestimmt: die Kinder werden aus den umliegenden Dörfern mit Bussen in diese zentrale Schule gefahren. Ein weiterer Schritt wurde mit dem Begabtenförderungsgesetz getan. Durch dieses werden auch die weniger begüterten Eltern in die Lage versetzt, ihre Kinder auf eine weiterführende Schule (Realschule, Gymnasium) zu schicken. Neue Internate werden es auch ermöglichen, daß Kinder aus den abgelegensten Winkeln eine höhere Schule besuchen können.

Und schließlich die Universitäten und Hochschulen. Hier steht die große Entwicklung noch bevor: die Haushaltsmittel hierfür sind in den beiden letzten Jahren um je 25 Prozent gestiegen und sie werden in ähnlicher Größenordnung weiter steigen! Anders ausgedrückt: der Wissenschaftsförderung wird so eine überwältigende Priorität eingeräumt, daß der Staatshaushalt insgesamt umgestellt werden muß! Hierin drückt sich der Wille der bayerischen Staatsregierung aus, der Herausforderung unseres neuen Zeitalters gerecht zu werden.

Eine im Bau befindliche Universität in Regensburg; eine Technische Fakultät an der Universität Erlan gen-Nürnberg; große Erweiterungen der Münchner Universität; ein Klinikkomplex dieser Universität, der nach seiner Vollendung in etwa acht Jahren der größte und modernste Europas sein wird; enge For- schungs- und Lehrverbindungen zwischen Hochschulen und den bedeutenden Max-Planck-Instituten

(allein in München arbeiten vier weltberühmte Nobelpreisträger der Naturwissenschaften) — einige Titel, die die entscheidenden Projekte der Kulturpolitik nennen.

In München hofft man, daß die Stellung des Landes im Bunde weiter gestärkt wird. Nicht weniger legt man Wert auf ein gutes nach barliches Verhältnis zu Österreich, für das viele Bayern freundschaftliche, ja herzliche Gefühle hegen. Die häufigen Besuche bayerischer Parlamentarier im Nachbarland, Charakteristika dier Vergangenheit, werdfta ihre Fortsetzung erfahren.

Inzwischen beginnt die Arbeit im Maximilianeum aufs neue.

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