Wem gehört Alexander der Große?

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Griechenland bestand bisher darauf, dass das Nachbarland nicht so heißt wie die eigene Nordprovinz. Athen befürchtete Gebietsansprüche Skopjes.

Vier Männer stehen auf dem Dach des Flughafens in Skopje. Sie entfernen die Buchstaben des Schriftzuges, der an der Gebäudefront befestigt ist. Einen nach dem anderen. Erst das kyrillische "I", es folgt ein "K". Am Boden laden Kollegen die riesigen Zeichen auf und verfrachten sie in die Flughafenhalle. Nur wenige Minuten später ziert der Name Alexanders des Großen nicht mehr den größten Flughafen Mazedoniens. Er wird umbenannt in "Internationaler Flughafen Skopje". Auch die Nord-Süd-Autobahn, die Mazedonien mit dem Nachbarland Griechenland verbindet, trägt nicht mehr den Namen des antiken Feldherren. Symbolträchtig heißt sie "Straße der Freundschaft". Mazedonien hat vor einem Jahr eine korrupte und autoritäre Herrschaft abgeschüttelt. Noch mit der Amtsübernahme hat die neue Regierung von Zoran Zaev einen Freundschaftsvertrag mit Bulgarien abgeschlossen und Griechenland die Hand zum Kompromiss gereicht.

26 Jahre Streit

Seit der Unabhängigkeit der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien im Jahr 1991 dauert der Streit um den Staatsnamen schon an. Über 130 Staaten haben bereits die Republik Mazedonien anerkannt, so heißen darf sie allerdings nicht. Stattdessen trägt das Land im internationalen Verkehr und in der UNO meist die Bezeichnung "FYROM", das steht für "Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien".

Griechenland besteht darauf, dass das Nachbarland nicht so heißt wie die eigene Nordprovinz. Denn der Name bedeute auch Gebietsansprüche und sei ein Versuch, die griechisch-mazedonische Kultur zu fälschen. So blockiert Athen bislang den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen und die Nato-Mitgliedschaft Mazedoniens.

Der jahrelange Nachbarzwist bot dem Nationalismus Raum. In Mazedonien etablierte sich das autoritäre Regime Nikola Gruevskis. Immer provokanter wurde Alexander der Große zum Vater der Nation hochstilisiert. In Griechenland bekamen die Rechten und der radikal-nationale Flügel der Griechischen Orthodoxen Kirche die Gelegenheit, sich noch stärker in die Politik einzumischen.

Verhandlungen in heikler Phase

Die meisten Bürger beider Länder wünschen sich dennoch eine Lösung der leidigen Frage. Die Normalisierung der Nachbarschaftsbeziehungen würde das Investitionsklima verbessern und Jobs mit sich bringen.

Abseits der Politik ist die erstrebte Verständigung schon längst gelebte Realität. Serben machen Urlaub in Griechenland, Griechen Geschäfte in Mazedonien. Kiro Todorovski, ein Handelsvertreter aus Skopje, ist oft auf Dienstreisen im nördlichen Griechenland. Auch in Nea Potidea, einer Siedlung, die der Makedonier-König Philipp nach einer Schlacht mit Athen eroberte, hat er Kunden. "Früher war das unser, mazedonisches Land. Es ist aber eine abgeschlossene Frage, da kannst du nichts mehr zurückdrehen. Es tut sehr weh -das ist verständlich. Gegen die Menschen hier habe ich jedoch nichts. Alle haben es gleich: in Griechenland, in Bulgarien, in Mazedonien. Die schmutzige Politik ist es, die Politiker sind schuld, wenn Menschen einander hassen," ist der Kaufmann überzeugt.

Die Botschaft ist angekommen. Die Verhandlungen sind in ihre intensive Phase gekommen, noch nie war man sich einer für beide Seiten akzeptablen Lösung so nah.

Ein Fahrplan für den zwischenstaatlichen Vertrag steht schon fest, sowie ein Referendum für Mazedonien. Für den Schluss bleiben allerdings die schwierigsten Fragen: Griechenland fordert eine neue Bezeichnung, welche dann sowohl in den Außenbeziehungen als auch im Innern der Republik Mazedonien gelten soll (erga omnes).

Der Name "Ober-Mazedonien" wird dabei als mögliche Lösungsvariante gehandelt. Für eine neue Bezeichnung wäre eine Verfassungsänderung erforderlich, wogegen sich jedoch Skopje stemmt. Premier Zoran Zaev verfügt nicht über die dazu erforderliche Mehrheit im Parlament. Und: Neue Ausweisdokumente, auch eine neue Bezeichnung der Landessprache und der Bevölkerung würden die sensible Sphäre der Identität der jungen mazedonischen Nation antasten. Ein solches nationales Branding würde auch jeden Einzelnen in der Region persönlich betreffen.

Integration wichtig für EU

Nikos Karaiskakis, ein Halbgrieche und Halbmazedonier aus Thessaloniki, meint dazu: "Geografisch gesehen gehört dieser Staat zur Region Makedonien. Die Politiker können deshalb den Ort Mazedonien nennen. Mit der Sprache ist es komplizierter. Die Sprache gehört zur Region und sie war ursprünglich altgriechisch. Eine slawische Sprache kann deshalb nicht Mazedonisch heißen."

Es ist eine sehr heikle Materie, an die sich beide Außenminister mit Mühe annähern. Mit diplomatischen Pinzetten werden Stück für Stück Komponenten aneinander angepasst, die beide Völker zufrieden stellen sollen. Sich nicht amputiert fühlen und das Gefühl der Selbstbestimmung wahren -das soll für beide Seiten gelten. Die feinmotorische Arbeit der Diplomaten darf jedoch nicht zu lange dauern. Denn die Geduld der Albaner, welche die "makedonische Frage" nicht direkt angeht und doch an der Integration in die westlichen Strukturen interessiert ist, kann vorbei sein. Deshalb steigt der Druck auf Skopje und Athen seitens der EU und der Nato.

In Mazedonien steht schließlich die eigene Handlungsfähigkeit auf dem Prüfstand. Für die Abwehr diverser Putschversuche und Einflussnahmen Moskaus fehlt der Nato auf dem Westbalkan nur noch die Mitgliedschaft Mazedoniens. Sie steht zentral auf der Agenda des militärischen Bündnisses für den nächsten Summit im Juli. Die EU-Kommission hat ihrerseits am 17. April die Eröffnung von Verhandlungen mit Skopje empfohlen. Viel gelobt wurde der Reformkurs des neuen Kabinetts und der Fortschritt im Namensstreit. Seine Schlichtung könnte Brüssel als Beispiel für Serbien und den Kosovo und auch für Bosnien-Herzegovina vorzeigen.

Die Mitgliedsstaaten sind es jedoch, die Ende Juni über ein Datum entscheiden müssen. Nicht nur Griechenland soll die historische Blockade-Haltung zurücklassen, wozu alle Institutionen an einem Strang ziehen sollten. Es steht nicht fest, ob Länder wie Frankreich oder die Niederlande die Integration des Westbalkans vorantreiben wollen.

Im Gegensatz zur EU-Kommission erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron bereits, dass zuerst über die Zukunft der Union entschieden werden sollte, die man erweitern will. Ein "Einfrieren" der Erweiterung wäre jedoch fatal für die ökonomisch schwache Region.

Der Leiter der NGO Civil-Center for Freedom in Skopje, Xhabir Deralla, warnt: "Bestimmte Kräfte versuchen, das Land nach Osten umzuorientieren. Damit meine ich nicht nur Russland, sondern auch die Türkei, Katar und andere Zentrifugalkräfte, verbunden mit dem Islamismus und Fundamentalismus, und auch China. Mazedonien ist noch fragil, weil es an der Kreuzung zwischen dem Osten und Westen steht."

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