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Wende in USA?

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Mit außergewöhnlicher Spannung und geteilten Erwartungen verfolgte die ganze Welt die Ergebnisse der Kongreßwahlen in den Vereinigten Staaten. Überall war man sich dessen bewußt, in welch hohem Maße die Politik der nächsten Jahre, ja vielleicht gar eines Jahrzehnts, von dem Ausgang dieses Votums bestimmt sein wird. In Amerika selbst ging es letzten Endes um das Erbe Roosevelts, den „New Deal“, der vor zehn Jahren Gegenstand heftiger Kämpfe zwischen dem reformistischen Präsidenten und dem konservativen Unternehmertum, das schließlich sogar das Bundesgericht anrief, geworden war. Für die Weltpolitik aber ergab sich die Frage, ob Amerikas Außenpolitik auch nach einer eventuellen Ablösung der gegenwärtig herrschenden Partei die gleiche bleiben oder ob sich jenes Schauspiel von 1920 wiederholen werde, wo ein des europäisdien Haders müder Kontinent sich Hals über Kopf vom Tisch der Streitenden zurückgezogen hatte.

Unterdessen haben die Kongreßwahlen — wie von Eingeweihten erwartet wurde — den längst fälligen Wechsel der Mehrheit gebracht. Selbst die Hoffnung auf den Senat, der nur zu einem Drittel erneuert wurde, erfüllte sich für die Demokraten nicht. So wird Präsident Truman also durch zwei Jahre mit einer Volksvertretung regieren müssen, die seine Handlungen mit einem noch größeren Maß von kritischer Aufmerksamkeit als bisher verfolgen wird. Dieser sonderbare Zustand ist allerdings keineswegs ein Novum in der amerikanischen Geschichte. Nicht nur Woodrow Wilson ist 1920 ein gleiches Schicksal widerfahren, sondern auch Herbert Hoover, der seit 1930 mit einem demokratisch bestimmten Kongreß regieren mußte.

Die Niederlage der Demokratischen Partei kündigte sich schon seit dem Tode Roosevelts immer deutlicher an. Wahrscheinlich wäre nicht einmal dieser große Präsident imstande gewesen, seiner Partei durch sein eigenes Prestige die Mehrheit zu sichern, denn wie die Engländer, die im Sommer 1945 die von Churchill geführten Konservativen von der Regierung ausschlössen, verstehen auch die Amerikaner sehr wohl zwischen Persönlichkeiten und politischen Parteien zu unterscheiden. Kennzeichnend für das sinkende Ansehen der Demokraten war eine im Juli vorgenommene Rundfrage der Zeitschrift „Fortune“, bei der nur 52 Prozent der Befragten mit der Politik Trumans einverstanden waren. Fünf Monate vorher waren es immerhin noch 82 Prozent gewesen. Die steigende außenpolitische Spannung mit Rußland rief dann innerhalb der bisherigen Mehrheitspartei eine Scheidung der Geister hervor: Wallace, der Mann des Kompromisses mit Moskau, wurde schließlich doch von Truman fallengelassen und eine Abstimmung des Gallup-Institutes im Oktober 1946 bewies, daß diese Maßnahme die Zustimmung weiter Kreise fand. 78 Prozent der Befragten stellten sich auf die Seite Byrnes, 16 Prozent auf die von Wallace, während der Rest keine Meinung äußerte. Das Zaudern des Präsidenten aber hat wohl für die Entscheidung der Wähler einen entscheidenden Ausschlag gegeben. Sie entschieden sich lieber für die Republikaner, weil sie in ihnen die neuen Besen sahen, die gut kehren würden, und weil sie schließlich nicht wissen konnten, ob der ausgebootete Wallace in seiner Partei nicht doch wieder Oberhand gewinnen würde.

Die eigenartigen politisdien Verhältnisse in Amerika ermöglichen es allerdings nicht, dort jene scharfe Trennungslinie zwischen den beiden Parteien zu ziehen wie zum Beispiel in England. Das Wahlsystem, das einen näheren Kontakt mit den Wählern notwendig madit, verleiht andererseits den Gewählten größere Unabhängigkeit von der Parteizentrale. Es gibt keinen Fraktionszwang und bei den verschiedensten Gelegenheiten finden sich die Repräsentanten beider Parteien in einem Lager, während sich im anderen gleichfalls Anhänger der Demokraten und Republikaner ein Treffen geben. Diese amerikanischen Besonderheiten zwingen, die Ergebnisse der USA-Wahlen nicht summarisch, sondern möglichst einzeln zu betrachten.

Unter den geschlagenen demokratischen Parlamentariern befinden sich einige, auch in Europa wohlbekannte Namensträger. Da ist Senator Marley Kilgore, der Vorsitzende des Ausschusses zur Untersuchung des Krieges und der Naziguthaben, ein Politiker, der für eine Annäherung an Rußland eintritt, Senator James Guffey, ein Mann des „New Deal“, der Vorsitzende des Marineausschusses, Senator David Walsh, sowie die beiden Abgeordneten Andrew May und E. O. Neal, gleichfalls Vorsitzende von Ausschüssen des Repräsentantenhauses. In New York unterlag der frühere Gouverneur Herbert Lehmann, der Vorgänger La Guardias in der Führung der UNRRA. In Kansas wieder wurde der frühere Kriegsminister Harry Woodring, ein Gegner Roosevelts in der Demokratischen Partei, von einem Republikaner geschlagen — allerdings wegen seines Kampfes gegen das Prohibitionsgesetz dieses Staates.

Zu den demokratischen Siegern gehören neben Tom Conally, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Aussdiusses im Senat, sowie die beiden „Rassisten“ Theodore Bilbo und John Rankiii„ die in den Südstaaten gewählt wurden. Sie führen einen unerbittlichen Kampf gegen jede politische Emanzipation der Neger und 'treten für eine strenge Absonderung zwischen Weiß und Schwarz ein.

Die Republikaner haben ihren größten Triumph im Staate New York errungen, wo der wegen seines unerbittlichen und unerschrockenen Kampfes gegen das Gangstertum bekannt gewordene Staatsanwalt Thomas Dewey mit einer noch nie dagewesenen Mehrheit seinen Gegner James Mead, einen Anhänger des „New Deal“, entscheidend schlagen konnte. Dieser Erfolg gibt ihm große Chancen für eine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten. Ein weiterer Bewerber für diesen Posten, John Bricker, wurde in Ohio — gleichfalls mit genügendem Vorsprung — in den Senat gewählt. Mit Interesse sah man auch dem Ergebnis in Minnesota entgegen, wo der von Harold Stassen unterstützte Gouverneur Edward Thye bei den Vorwahlen innerhalb der Republikanischen Partei den Isolationisten Henry Stipstead geschlagen hatte. Die geringe Mehrheit, die Thye gegenüber seinem nunmehrigen demokratischen Gegenkandidaten erhielt, wird als böses Omen für eine Präsidentschaftskandidatur Harold Stassens betrachtet. Im Staate Nebraska siegte dagegen der alte Isolationist Hugh Butler. Glatt wurde der Gouverneur von Kalifornien, Earl Warren, gewählt, obwohl sich der Kongreß der Industriegewerkschaften (CIO) scharf gegen ihn gewandt hatte. Warren hat sich allerdings schon 1944 die Gunst einflußreicher Politiker der Ostküste verscherzt, weil er die Nominierung zum Vizepräsidenten unter Dewey ablehnte.

In New York wurde auch der einzige Abgeordnete der Labourparty, Vito Marcantonio, ein bekannter Gewerkschaftler, auf demokratischer Liste gewählt. Dagegen sc 4er koste Vertreter der PiugrcswTcn

Partei, La Folette aus dem Staate Wisconsin, schon bei den Vorwahlen nicht mehr aufgestellt worden.

Die Welt fragt nach diesen Wahlergebnissen mit Recht, was die Folgen dieses Votums sein werden. Man hat sich beeilt, ihr z versichern, daß Amerikas Außenpolitik nicht geändert werden würde. Man darf nicht vergessen, daß seit dem Tode Roosevelts ohnehin eine gewisse Änderung — zumindest in den Methoden — der äußeren Beziehungen stattgefunden hat, die sich mit dem Rücktritt Wallaces noch weiter verstärkte. Es ist aber sicher, daß alle Befürchtungen, Amerika könnte sich diesmal wieder, angewidert wie 1920, aus Europa zurückziehen, unbegründet sind. Heute hätte nämlich eine neuerliche Rückkehr Amerikas zur Isolationspolitik für die ganze Welt katastrophale Folgen, die selbst von den Vertretern einer Politik des Rückzugs aus einer allgemeinen Weltpolitik und einer Beschränkung auf die rein amerikanischen Angelegenheiten nicht gewünscht werden. Amerikas Interesse an Europa ist eine grundlegende Vorbedingung für die Normalisierung der Verhältnisse auf diesem Kontinent. Vielleicht werden schon in naher Zukunft die Gründe für die Besetzung Deutschlands andere werden, als sie es heute noch allgemein zu sein scheinen. Der sich verstärkende Einfluß der Republikanischen Partei auf die Außenpolitik wird sich zunächst in einem weiteren Festhalten an den Traditionen der persönlichen und staatlichen Freiheit in der Welt äußern. Es wird in dieser Richtung eine noch aktivere Politik eingeschlagen werden als schon in den letzten Monaten. Diese Politik wird sich zunächst in den Vorfeldern Deutschlands, Mittel- und Donaueuropas, in Japan und Korea äußern. Vielleicht ist die bellikose Äußerung des Senators Styles Bridges, die dieser während des Konflikts mit Jugoslawien gemacht hat, kennzeichnend für den Widerwillen, mit dem das amerikanische Volk die Entwicklung im Glacis Europa verfolgt: „Die Vereinigten Staaten sollten nicht davor zurückschrecken, Waffengewalt gegen Jugoslawien zu gebrauchen, denn wir haben keine Zeit zum Wechseln von Noten und Beschwerden.“

Dieselben Probleme wie in Europa harren auch in Ostasien. Tschangkaischek darf auf weitere Unterstützung seiner Bestrebungen zur Einigung des Reiches der Mitte rechnen, während die moralischen Subsidien für die Türkei diese in ihren Plänen nur noch mehr bestärken werden. Unklar bleibt nur noch die Haltung einer republikanischen Außenpolitik zu England. Man darf nicht vergessen, daß die Mehrheit der republikanischen Vertreter im Kongreß gegen die Englandanleihe gestimmt hat und daß in diesen Kreisen eine gewisse Voreingenommenheit gegen die einstige, nicht mehr alleinige Königin der Meere besteht.

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