Wenn das Wetter zur Qual wird

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Hitze, Kälte, Hochs und Tiefs: Das Geschehen in der Natur setzt vielen von uns in unangenehmer Weise zu. Aber: auch Wetterfühligkeit läßt sich lindern.

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Hitze, Kälte, Hochs und Tiefs: Das Geschehen in der Natur setzt vielen von uns in unangenehmer Weise zu. Aber: auch Wetterfühligkeit läßt sich lindern.

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Es sind gerade die feinsten Köpfe, die am meisten von den schädigenden Wirkungen der Luft zu leiden haben", meinte schon Johann Wolfgang von Goethe. Er wußte wovon er sprach, machten ihm doch die Schwankungen des Wetters selbst derart zu schaffen, daß er "bei hohem Barometerstande leicht und schnell" schrieb, bei niedrigem alle Disziplin zusammennehmen mußte, um den Einfluß der unterschiedlichen Luftströmungen auszugleichen.

Heute wissen wir: Es sind durchaus nicht nur Dichter, Denker und andere "feine Köpfe", die sich als wetterfühlig bezeichnen und die unter Einflüssen des Wetters leiden. In Mitteleuropa ist jeder Zweite bis Dritte von Wetterfühligkeit betroffen. Dabei zeigen sich individuell höchst unterschiedliche Symptome. Zwar liegt das Schwergewicht auf Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen, Kreislaufproblemen und rheumatischen Beschwerden, es gibt aber auch Tage, an denen der Notarzt und die Rettung im Dauereinsatz sind, weil es infolge drückenden Wetters zu zahlreichen Fällen von Herzalarm kommt.

Es ist aber nicht das Wetter an und für sich, das uns krank macht. Es verstärkt nur bereits vorhandene Beschwerden, es macht auf die Schwachstellen in unserem Körper aufmerksam. Man könnte auch sagen: Der wetterfühlige Mensch hat ein feineres Sensorium für die Vorgänge in seinem Körper.

Wetterfühligkeit kann (noch) nicht geheilt werden. Man sollte deshalb danach trachten, die Grundkrankheit in den Griff zu bekommen. Darüber hinaus können eine Reihe von Vorsorgemaßnahmen getroffen werden, damit man von den Schwankungen des Wetters weniger gequält wird. Daß Wetterfühligkeit in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, hängt zum Großteil mit unserer ungesunden und naturfernen Lebensweise zusammen.

Reizbarkeit steigt Rechnen Sie selbst einmal nach: Wie viele Stunden des Tages verbringen Sie im Freien? Wie viele in angenehm klimatisierter Atmosphäre, die es Ihrem Körper erspart, sich mit Temperaturschwankungen auseinanderzusetzen?

Wetterfühligkeit resultiert zu einem Großteil aus der verlorengegangenen Regulationsfähigkeit des Körpers. Ein gesunder Mensch schafft es eher, die Einflüsse aus der Atmosphäre so zu kompensieren, daß sie ihm nicht zur Last werden. Wer bereits organische Schwachstellen hat, sollte seine Wetterfestigkeit trainieren.

Biomediziner und Medizinmeteorologen unterscheiden grundsätzlich drei Typen von Reaktiven auf das Wettergeschehen: * Wetterreagierende: Das sind im Grunde alle, auch wenn es ihnen gar nicht bewußt ist. Entsprechende Beispiele findet man etwa beim Herannahen einer Gewitterfront, wenn die allgemeine Reizbarkeit steigt, die Konzentrationsfähigkeit nachläßt und sich der "ganz normale Wahnsinn" im Straßenverkehr auf ein Höchstmaß steigert. Hier kann man nicht sehr viel dagegen tun, außer abwarten, daß die Gewitterfront rasch durchzieht und sich das Gefühlsleben der Verkehrsteilnehmer wieder auf ein normales Niveau einpendelt.

* Die eigentlich Wetterfühligen sind Menschen mit niedriger Reizschwelle des vegetativen Nervensystems. Sie hätten gute Chancen, durch entsprechendes Training ihre Reizschwelle anzuheben und damit ihre Wetterfühligkeit zu reduzieren.

* Als Wetterempfindliche bezeichnet man jene Menschen, die bestimmte Krankheiten oder Verletzungen, wie Rheuma, oder Narben nach Operationen oder Amputationen haben. Ihr vorgeschädigter Organismus wird durch den Wetterstreß zusätzlich aus dem Gleichgewicht gebracht.

Unterschiedliche Wetterlagen können der einen oder anderen Gruppe recht unterschiedliche Beschwerden verursachen, andererseits gibt es aber auch Belastungen, die für alle gleich sind. So sind es vor allem die Wetterumschwünge, die zu Recht für verbreitete Phänomene wie Kopfweh und Schlafschwierigkeiten verantwortlich gemacht werden.

Nicht alle Menschen zeigen die gleichen Reaktionen auf die gleichen Wettererscheinungen. So können viele ein langanhaltendes Schönwetter im Sommer als rundum positiv empfinden, während andere schon nach dem dritten Tag sommerlicher Wärme nach einem Gewitter mit nachfolgender Abkühlung lechzen.

Laut Aussagen der Gesundheitsberatungsstelle für Wetterfühlige in Wien (übrigens die erste, die in Europa eingerichtet wurde), haben Mediziner und Biologen gemeinsam fünf biologisch wirksame Komplexe ausgearbeitet: * Den thermisch-hygienischen Wirkungskomplex, der Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit einschließt; * den photoaktiven Wirkungskomplex mit Infrarot-, UV-Strahlung und sichtbarem Licht; * den Wirkungskomplex Luftelektrizität (luftelektrisches Feld, Ionen); * den Wirkungskomplex Luftchemie, wie etwa Schadstoffe und schließlich * den atmosphärischen Wirkungskomplex mit Summenwirkung der genannten Faktoren beziehungsweise gleichzeitiger Änderung mehrerer Faktoren. Man nennt dieses Zusammenwirken auch den "Wetterakkord".

Hinzu kommt, daß im betroffenen Organismus eine Vielzahl verschiedener Funktionen in sehr unterschiedlicher Art beeinflußt werden. Außerdem weist jeder Organismus eine sich ständig ändernde Reaktionsdynamik auf.

Föhn und Lichtmangel Mit anderen Worten: der eine bekommt Kopfweh, wenn sich die Front ankündigt, der andere wenn sie schon in Reichweite ist und der dritte wenn sie schon wieder abzieht. Dennoch haben Beobachtungen, die sich über Jahrhunderte, zum Teil sogar über Jahrtausende hinziehen, gewisse Regelmäßigkeiten in den Witterungseinflüssen erkennen lassen.

So warnte bereits der griechische Arzt Hippokrates (460-377 v. Chr.) davor, bei Wetterwechsel Aderlässe und Operationen durchzuführen oder Wunden auszubrennen. Er stellte auch fest, daß unter dem Einfluß subtropischer Luft Allergien und Entzündungen verstärkt werden, während bei extremer Kaltluft Krämpfe und Koliken häufiger auftreten. Das alles sind Beobachtungen, die sich teilweise bis ins Detail mit jenen decken, die von zeitgenössischen Ärzten gemacht werden. Chirurgen haben beispielsweise festgestellt, daß es bei bestimmten Wetterlagen zu einer verstärkten Neigung zu Blutungen kommen kann.

Sogar unsere Zähne sind vom Wetter abhängig. Die Untersuchung einer Berliner Klinik hat ergeben, daß Sonneneinstrahlung und Lichteinwirkung das Auftreten von Zahnschmerzen begünstigt. Hingegen scheint die Temperatur Zahnschmerzen weniger zu beeinflussen, als allgemein angenommen wird. Treten bei tiefen Temperaturen scheinbar Zahnschmerzen auf, so sind dies meist eher die Gesichtsnerven, die auf den Kältereiz reagieren.

Daß Föhn bei vielen recht unangenehme Begleiterscheinungen hervorruft, ist sattsam bekannt. Mit Föhn wird jener Fallwind bezeichnet, der vor allem die unmittelbar nördlich der Alpen gelegenen Gebiete heimsucht - berühmt sind die "Föhnhauptstädte" München und Innsbruck. Aber auch das Alpenvorland bis zur Donau kann sich seinem Einfluß gelegentlich nicht entziehen. Man nimmt an, daß Föhn zu einer vermehrten Serotoninausschüttung führt. Diese verengt die Blutgefäße und führt zu Migräne, Herzklopfen und allgemeiner Reizbarkeit.

Ähnliche Reaktionen ruft übrigens auch der gefürchtete Südostwind im Wiener Raum hervor. Da sich dieser meist mit einer sogenannten Inversionslage verbindet - Nebelbildung und Kaltluftseen in den Beckenlagen, während in oberen Luftschichten Sonne und milde Temperaturen herrschen - sind die Voraussetzungen für Beschwerden und Reizbarkeit gegeben.

Jeden Tag Bewegung Daß Lichtmangel zu Depressionen führen kann, ist mittlerweile bewiesen. (Gemeint ist die "saisonale Gemütskrankheit" oder "Seasonal Affective Disorder", was auch so viel wie "traurig" heißt). Der UV-Anteil des Lichts ist für die Produktion des lebenswichtigen Vitamins D verantwortlich und wirkt darüber hinaus auf die Zirbeldrüse im Gehirn. Bekommt diese Drüse zuwenig Licht, produziert sie Melatonin, ein Hormon, das die Reaktionsfähigkeit mindert, die Aufmerksamkeit einschränkt und Müdigkeit erzeugt.

Eine der größten Gefahren der Wetterlage ist der sogenannte Smog. Er kann wirklich krank machen. Bei Smog vermischt sich Nebel mit den vom Menschen geschaffenen negativen Umweltbedingungen wie Auto- und Industrieabgase und Emissionen des Hausbrandes. Smog ist gleichzeitig aber auch die einzige Wetterlage, gegen die man aktiv etwas unternehmen kann, indem man etwa an solchen Tagen auf die Benützung des Autos verzichtet.

Bei Wetterfühligkeit hilft vor allem Bewegung - jeden Tag eine halbe Stunde laufen, flott gehen oder radfahren, möglichst auch bei Nässe und Kälte, Gymnastik bei offenem Fenster, außerdem Saunabesuche oder kneippen. Beides bringt den Kreislauf in Schwung und macht ihn für wechselnde Wetterlagen fit. Größere Mengen von Genußgiften wie Nikotin, Kaffee und Alkohol sollten von Wetterfühligen möglichst gemieden werden. Bei kritischen Wetterlagen sollte zusätzlicher Streß - falls dies möglich ist - ausgeschaltet werden. Bei schwülem Wetter sollte der Flüssigkeits- und Salzverlust durch viel Trinken ausgeglichen werden. Nicht unwichtig ist auch die Wahl des individuell richtigen Urlaubsklimas, damit Wetterfühligkeit am Urlaubsort womöglich vermieden werden kann.

Rat und Hilfe erteilt die vom Gesundheitsamt der Stadt Wien in 1010 Wien, Neutorgasse 15, errichtete Beratungsstelle für Wetterfühlige. Von Montag bis Freitag, 8 bis 15 Uhr kann man sich unter der Wiener Telefonnummer 531 14-87 6 39 einen Termin für eine kostenlose Beratung geben lassen. Man erhält in der Beratungsstelle einen Beschwerdekalender, in den man acht Wochen lang die jeweils auftretenden Befindlichkeitsstörungen einträgt. Aufgrund dieser Angaben kann der Arzt dann herausfinden, welche Wetterlage einem besonders zusetzt und wie am besten geholfen werden kann.

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