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Eine junge Frau steht auf den Stufen eines großen, weißen Gebäudes mit der Aufschrift "Regierung der Russischen Föderation". Ganz in schwarz, lange hellblonde Braids zum strengen Haarzopf gebunden, Kanister Benzin in der Hand. "Ich schütte Kerosin in meine Augen - soll alles brennen, soll alles brennen. Ganz Russland schaut mir dabei zu - soll alles brennen, soll alles brennen", singend gießt sie sich das Benzin über den Kopf.

Die Frau mit der hohen Stimme und dem irren Lächeln heißt Anastasia Kreslina und bildet zusammen mit Nikolai Kostylev, der ihr im Video das Streichholz zum Benzinkanister bereithält, das Duo "IC3PEAK"(gesprochen: Icepeak). Seit 2013 machen Kreslina und Kosylev - Künstlernamen "Nastya" und "Nick" - zusammen Musik. Ihre Mischung aus Rapbeats und düsterem Gesang hat Erfolg und schlägt in ganz Russland Wellen -nicht zuletzt wegen ihrer provokanten, neuerdings auch politischen Texte: "Mein Blut ist reiner als die purste Droge, zusammen mit anderen wirst du auf dem Platz von den Bullen zusammengefaltet, ich rolle mir einen Joint in meiner brandneuen Wohnung".

Der FSB wird hellhörig

Ihr neuester Song "Death No More" ("Смерти Больше Нет") brachte es bei YouTube innerhalb kürzester Zeit auf über sechs Millionen Klicks -und zog schnell die Aufmerksamkeit des Inlandsgeheimdienstes FSB auf sich.

Während ihrer im November gestarteten Russlandtour kam es zu zahlreichen Einschüchterungen und versuchten Konzertabbrüchen: In Kasan musste der Veranstaltungsort kurzerhand dreimal verlegt -und letztlich nach nur 25 Minuten abgebrochen werden. Der Strom wurde abgedreht.

Die Band vermutet hinter den Einschüchterungsversuchen eine direkte Reaktion der Sicherheitsbehörden auf ihren neuen viralen Erfolgshit: "Sie mochten die politische Botschaft unseres letzten Musikvideos nicht, also versuchen sie, uns zum Schweigen zu bringen", heißt es auf ihrer Facebook-Seite. "Death No More" ist tatsächlich der mit Abstand politischste Song der Band, das Musikvideo hat symbolische Sprengkraft: So sieht man die Musiker auf dem Roten Platz, mit Blick aufs Lenin-Mausoleum, rohes Fleisch verzehren - eine andere Szene zeigt, wie die beiden vor dem FSB-Hauptquartier bei zwei Polizisten des OMON, einer Polizeisondereinheit, die direkt dem Innenministerium untersteht und vor allem bei Großdemonstrationen eingesetzt wird, auf den Schultern und damit buchstäblich im Nacken sitzen. Im autoritär regierten Russland gleicht das schon einer Schändung sakraler Staatsmonumente und Herrschaftssymbole.

Hip-Hop-Szene unter Beschuss

Am 30. November werden die beiden Musiker kurz vor ihrem geplanten Konzert in Novosibirsk am Bahnhof verhaftet. Der angebliche Grund der Polizeikontrolle: Drogenfahndung. Als die Band sich weigert, die Beamten in Zivil ohne Anwalt auf die Polizeistation zu begleiten, werden sie abgeführt -Nick werden Handschellen angelegt.

Laut Band-Manager Oleg Mitrifannow soll die Band von den Beamten im persönlichen Gespräch offen bedroht worden sein: "Wenn ihr das Konzert morgen nicht absagt, werden wir selber dafür sorgen, die nötigen Drogen bei euch zu finden."

Die Einschüchterungsversuche gegen "IC3PEAK" sind dabei kein Einzelfall, sondern reihen sich in eine Kette von Repressionen gegen eine junge, provokante Musikszene ein. Vor allem russische Hip-Hopper bekommen diese immer wieder zu spüren: Konzertveranstalter, Musiker und Clubbetreiber sehen sich mit Kontrollen, Drohungen und Konzertabbrüchen durch die Sicherheitsorgane konfrontiert. Die russischen Rapper von Monetochki, Eldzhey und Jah Khalib, wurden in Nizhny Novgorod mit einem Auftrittsverbot wegen jugendgefährdender Inhalte belegt. Gegen den sibirischen Rapper Husky wurde am 22. November ein Strafverfahren wegen angeblich extremistischer Songinhalte eingeleitet. Die Sicherheitsbehörden scheinen den Musikern mit allen Mitteln einen Strich durch ihre Konzertrechnung machen zu wollen.

Spätestens seit der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny im März 2017 mit seinen Antikorruptionsprotesten Zehntausende Teenager in über 200 russischen Städten auf die Straße brachte, sieht sich die russische Regierung mit einer neuen Generation Jugendlicher konfrontiert: politisiert, gut vernetzt, wütend.

Was steckt dahinter?

Perspektivenlosigkeit, vor allem in der harten Lebensrealität der russischen Provinz, und Frustration über eine alles durchdringende Korruption, die von der Schule, über Krankenhäuser bis hin in oberste politische Ämter reicht, bietet den Stoff für einen russischen Punk 2.0 -und Bands wie "IC3PEAK" liefern den Soundtrack zur Revolte. Sie schaffen es, die jugendliche Hoffnungslosigkeit und Wut in einem Klima der politischen und sozialen Kälte mit wummernden Beats zu unterlegen.

Frei nach der Devise "Gegen aufmüpfiges Verhalten hilft nur eine harte Hand", ruft die allgemeine Überforderung der Behörden mit den außer Kontrolle geratenen Jugendlichen klassische Erziehungsmethoden eines autoritären Staates auf den Plan. So wurden im März diesen Jahres in Moskau zwei junge Mädchen, 18 und 19 Jahre alt, wegen Extremismusvorwürfen verhaftet und erst nach fünf Monaten hinter Gittern vorerst in den Hausarrest "entlassen". Ein Urteil steht immer noch aus.

Die Hexenjagd gegen junge Musiker kann außerdem als Reaktion auf die Amokläufe von Jugendlichen in Kertsch und Ulan-Ude sowie den immer noch ungeklärten, tödlichen Sprengstoffanschlag eines 17-Jährigen auf ein FSB-Gebäude der Stadt Archangelsk betrachtet werden. Es scheint als wollten die Sicherheitsbehörden aus Angst vor radikalen Ausschreitungen prophylaktisch jegliches Aufflammen jugendlicher Rebellion im Keim ersticken. Konzertverbote für politisierte Bands mit großer Reichweite sind dabei eine willkommene Praxis.

Auch "IC3PEAK" sollten ihren Auftritt in Novosibirsk absagen. Laut der unabhängigen russischen Zeitung Novaya Gazeta wurden die Musiker nach drei Stunden Gewahrsam wieder freigelassen. Einschüchtern ließen sich "IC3PEAK" am Ende aber nicht. Auf ihrer Facebook-Seite postete die Band ein Video ihres Konzerts am 1. Dezember in einer geheimen Location -und widmete es der Polizei.

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