karikaturenstreit - © EPA

"Wer sich von Huntington in die Irre führen lässt, ist selber schuld

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Genau vor einem Jahr ist in Dänemark der "Karikaturenstreit" ausgebrochen: Proteste, Tumulte, Gewaltexzesse folgten. Für viele der Startschuss zum "Kampf der Kulturen" und ein Beleg neben vielen anderen Ereignissen des letzten Jahres, dass Samuel Huntington mit seiner Theorie des "Clash of civilizations" doch Recht habe.

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Genau vor einem Jahr ist in Dänemark der "Karikaturenstreit" ausgebrochen: Proteste, Tumulte, Gewaltexzesse folgten. Für viele der Startschuss zum "Kampf der Kulturen" und ein Beleg neben vielen anderen Ereignissen des letzten Jahres, dass Samuel Huntington mit seiner Theorie des "Clash of civilizations" doch Recht habe.

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DIE FURCHE: Laut einer aktuellen Umfrage stimmen 56 Prozent der Deutschen Samuel Huntingtons These zu, dass es den "Kampf der Kulturen", vor allem Christentum gegen Islam, gibt; nur 22 Prozent sind dagegen: In den Augen der meisten Menschen hat Huntington mit seiner Vorhersage vor über zehn Jahren also Recht behalten.

Heinz Gärtner (Österreichisches Institut für Internationale Politik): Auch wenn noch so viele Umfragen Huntington bestätigen, hat dieser trotzdem nicht Recht: Aus dem einfachen Grund, weil die meisten gewaltsamen Konflikte heute innerhalb und nicht zwischen - wie Huntington sagt - den Kulturen stattfinden. Es gibt keinen größeren Krieg seit dem 1. Weltkrieg, der mit einem Kulturkampf erklärt werden könnte.

Anton Pelinka (Central European University, Budapest): Und Indien gegen Pakistan?

Gärtner: Das ist Nationalismus. Beide haben die Atombombe.

Pelinka: Hinduismus und Islam spielen da keine wichtige Rolle?

Gärtner: Den Konflikt zwischen Indien und Pakistan als Kulturkonflikt und die Bombe, als islamische bzw. als hinduistische Bombe zu bezeichnen, geht zu weit. Und es gibt genügend andere Beispiele gegen Huntington: Im 1. Weltkrieg kämpfte das protestantische Berlin gemeinsam mit dem katholischem Wien und dem muslimischen Istanbul. Im 2. Weltkrieg war es Churchill egal, ob Stalin kommunistisch oder christlich-orthodox war. Im 1. Golfkrieg haben sich der muslimische Iran und der muslimische Irak bekriegt. Im 2. Golfkrieg gab es eine Koalition des Westens mit arabischen Staaten gegen den Irak. Und im Bosnienkonflikt war der Westen auf der Seite der Moslems, so wie im Kosovo-Konflikt. Die grausamsten Genozide haben innerhalb der Kulturen stattgefunden. Ich finde da nirgendwo Huntington.

Pelinka: Huntington ist ein bequemer Buh-Mann. In den meisten Debatten wird erklärt, warum Huntington falsch liegt. Ich behaupte, er hat zu einem guten Teil Recht. Huntington bietet keine Theorie über den Konflikt zwischen dem Westen und dem Islam, sondern er schafft einen Erklärungsansatz primär für die Welt nach dem Kalten Krieg.

DIE FURCHE: Da suchte die Welt und besonders die Politikwissenschaft nach einer neuen globalen Erklärung - und Huntington hat dieses Bedürfnis erfüllen können?

Pelinka: Das Bedürfnis nach Megatheorien gibt es immer, aber in Zeiten, wo eine Megatheorie kollabiert, nämlich, dass wir alles aus dem West-Ost-Konflikt erklären können, ist dieses Bedürfnis besonders stark. Und auch die Militärs der Welt haben Huntington genutzt. Nach dem Zerfall des Warschauer Paktes brauchte die NATO eine Rechtfertigung für ihr Weiterbestehen - dafür war Huntington hervorragend geeignet. Die Militärs konnten sagen: Wir haben zwar keinen Kalten Krieg mehr, aber dafür Huntingtons Warnung: Wir müssen uns vor dem jeweils anderen schützen.

DIE FURCHE: Huntingtons Erfolg liegt doch auch daran, dass er sehr einfach zu verstehen ist.

Gärtner: Einfach zu einfach, würde ich sagen, deswegen ist er auch verführerisch. Er hat sechs Weltkulturen, die er dann noch auf zwei reduziert; weil er so einfach ist, ist er aber keine Megatheorie, er ist viel zu plakativ, er nimmt Anleihen von allen herumschwirrenden Theorien: vom Realismus, vom Konstruktivismus, von der Geopolitik … - er mischt alles zusammen und macht sein Konzept daraus. Für eine Megatheorie ist er jedoch zu dünn und zu flach.

Dimitar Dimitrov (Economic and Social Research Center - ESCE): Die westliche Welt ist aus dem Kalten Krieg als dominierende Macht hervorgegangen; und sie hat daraufhin mehrmals versucht, sich und ihre Kultur global durchzusetzen. Die westliche Welt versuchte die Nachfrage nach einer universellen Zivilisation zu befriedigen. Laut Huntington hat das nicht geklappt und wird auch nie klappen.

Pelinka: Mit dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes, sagt Huntington, wurde ein Spannungsfeld zwischen primär-religiös zu verstehenden Zivilisationen freigelegt. Da ist der Begriff "Kampf der Kulturen" eine sehr verwirrende Übersetzung. Es geht vielmehr um den Zusammenprall von Zivilisationen, die Huntington primär mit religiösen Großregionen in Zusammenhang setzt. Für ihn bestimmt Religion maßgeblich die Identität.

Gärtner: Deswegen waren die ersten, die Huntington kritisiert haben, die Realisten. Die haben gesagt: Staaten führen Kriege nicht Kulturen.

Pelinka: Doch entlang religiöser Identitäten ist der Jugoslawien-Krieg, der größte europäische Krieg seit 1945 ausgebrochen. Das ist mit Hilfe des Huntington'schen Zivilisationsansatzes zu verstehen. Selbstverständlich ist nicht alles mit Huntington zu erklären. Aber er kann uns helfen, vieles zu begreifen.

Henriette Riegler (Österreichisches Institut für Internationale Politik): Da muss ich deutlich widersprechen: Huntington beschäftigt sich zwar mit realen Phänomenen, kommt aber sehr oft zu ideologischen Schlussfolgerungen. Was hat Huntington zum Bosnien-Krieg geschrieben? Da spielt der Islam eine wichtige Rolle, weil Huntington von den "blutigen Grenzen des Islam" ausgeht. Damit hat er aber diesen Konflikt völlig umgedreht, nur damit er in seine Kategorien hineinpasst. Doch die Muslime haben den Krieg in Bosnien-Herzegowina nicht angefangen, im Gegenteil, sie waren die größten Opfer dieses Konflikts.

DIE FURCHE: Führt uns Huntington mit seiner Theorie nicht sehr leicht auf eine falsche Fährte? Wir sehen nur mehr Kultur-und/oder Religionskonflikte, während wirtschaftliche Konfliktgründe viel wichtiger wären.

Pelinka: Wer sich in die Irre führen lässt, ist selber schuld. Es geht nie um monokausale Erklärungen. Das klassische Missverständnis ist, wenn man Huntington als Fahrplan lesen will, in dem man nachschlagen kann, wo und wann der Zug abfährt und wo und wann er ankommt.

Riegler: Wo Huntington Recht hat: Konflikte werden oft gerechtfertigt, indem man sich auf eine ethnisch-nationale Gruppe oder auf die religiöse Überlegenheit beruft. Diese Selbst-und Fremdzuschreibungsprozesse sind tatsächlich sehr wichtig, um Interessen zu definieren und Macht durchzusetzen und um in Konflikten auf der einen oder anderen Seite zu stehen. Und wenn man größere Allianzen bilden will, so verstehe ich Huntington, kommt letztlich die Berufung auf eine Zivilisation heraus.

Dimitrov: Aber wie definiert Huntington Zivilisationen? Als "ultimate human tribes", letztlich also als Stämme und der "clash of civilizations" sind Stammeskonflikte in globalem Ausmaß - das ist nie zitiert worden und das schockiert mich.

Riegler: Zivilisationen als Stämme? Was soll dieser Riesenstamm sein? Unter Stamm stellt man sich doch etwas kleines, maximal eine größere Gruppe vor?

Dimitrov: Hat Huntingtons Theorie die Ereignisse vom 11. September vorhersehen können? Nein! Hat Huntington vorhergesehen, dass die Radikalisierung innerhalb der einzelnen Zivilisationen ansteigen wird? Wieder Nein! Huntingtons Theorie, dass der Mantel zerfetzt oder der Deckel weg ist und jetzt überall der Dampf rauszischt und wir deswegen Konflikte auf allen gesellschaftlichen Ebenen haben - das stimmt doch einfach nicht.

Gärtner: Vier Fünftel muslimischer Terroranschläge passieren gegen andere muslimische Gruppierungen und ganz wenige gegen westliche Einrichtungen. Dadurch, dass man immer Huntington zu bestätigen sucht, macht man sein Argument viel wichtiger als es ist.

Pelinka: In der österreichischen Debatte wird ununterbrochen versucht, Huntington zu widerlegen. Man ist in Österreich ein Außenseiter, wenn man Huntington nicht für völlig falsch und einen Ideologen des George W. Bush hält, so wie ich. Der Mainstream ist Huntington-Bashing.

Riegler: Ich sehe mich nicht als Huntington-Basherin. Wir sollen Huntington sehr ernst nehmen, aber als Wissenschafter und Wissenschafterinnen sollen wir auch versuchen, ihn zu widerlegen, wo er einfach falsch liegt, wo er zum Propheten einer "self fulfilling prophecy" wird.

DIE FURCHE: Wo sehen Sie diese sich selbst erfüllende Prophezeiung bei Huntingtons Theorie?

Riegler: Wer waren die wichtigsten Persönlichkeiten, die Huntington bestätigt haben? Das waren Osama Bin Laden und Papst Benedikt XVI. Ich möchte die beiden nicht gleichstellen, es gibt einen fundamentalen Unterschied, was die Gewaltbereitschaft betrifft. Trotzdem muss man den Papst scharf kritisieren, dass er mit seiner Regensburger Rede Öl ins Feuer gegossen hat. Zuerst zitiert er einen byzantinischen Herrscher, der meinte, mit dem Islam ist etwas nicht in Ordnung und dann sagt er: "Eigentlich hab ich das eh nicht so gemeint." Der Papst muss wissen, es gibt politische Akteure, hinter denen sich Zivilisationen versammeln - und er ist einer von ihnen.

Pelinka: Für das Recht, einen byzantinisches Kaiser zitieren zu dürfen, müssen wir auf die Barrikaden steigen. Das ist ein Grundbestandteil der Grundfreiheiten der westlichen Zivilisation. Ich bin bereit, mit dem Herrn Haderer dafür zu kämpfen, dass er Jesus Christus in Karikaturen darstellen kann, so wie er will. Ob die Karikatur gut oder schlecht ist, spielt keine Rolle. Und auch ob das Zitat eines byzantinischen Kaisers gut oder nicht gut gewählt ist, spielt keine Rolle. Das kann niemals zum Anlass genommen werden, Gewalt zu rechtfertigen.

Riegler: Das hat auch niemand so behauptet.

DIE FURCHE: Mit Huntington gibt es jedoch auch eine seltsame Allianz derer, die die Universalität der Menschenrechte offen ablehnen.

Pelinka: Dazu gehört im Wesentlichen die katholische Kirche, das Mullah-Regime im Iran und das Politbüro der Kommunistischen Partei der Volksrepublik China. Sie sind sich einig, dass das, was ich als Westen bezeichne, nicht gelten soll, jedenfalls nicht universell. Zum Beispiel die gleichen Grundfreiheiten für Frauen und Männer.

Dimitrov: Huntington leugnet die Möglichkeit einer globalen, universalen Zivilisation; sollte diese Zivilisation zustande kommen, wäre sie laut Huntington zu dünn, sie würde nur aus ein paar Normen bestehen. Die Zukunft gehört den sich auf Kriege vorbereitenden globalen Zivilisationen, die sich in einem dynamischen Gleichgewicht befinden. Insofern beschreibt auch Huntington ein Ende der Geschichte - alles ist erklärt, er braucht nichts weiteres.

Pelinka: Ich bin da eher geneigt, Huntington nicht Recht zu geben. Ein Grund, warum ich da optimistischer als Huntington bin, ist sicher Indien. Die indische Demokratie ist ein sehr aussagestarker Beleg dafür, dass die Universalität der Menschenrechte, Rechtsstaat und parlamentarische Demokratie auch jenseits der westlichen Zivilisation stabil existieren können.

Gärtner: Da hat Anton Pelinka Recht: Es gibt universelle Werte, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die für alle Kulturen gelten sollen. Huntington sieht das völlig anders, laut ihm können alle Kulturen zwar Modernität annehmen, aber er reduziert diese Modernität auf die Technik: Toyota, Toshiba … - die sind global, die können alle Kulturen annehmen; doch ich würde das erweitern: Modernität heißt auch universale Werte, universale Menschenrechte - und das bedeutet: Es gibt in der Moderne auch die Möglichkeit einer Versöhnung der Kulturen.

Das Gespräch ist die Zusammenfassung einer letztwöchigen Diskussionsveranstaltung im Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP); Moderation: Wolfgang Machreich.

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