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Wer sind diese Vietkongs?

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Wer sind diese Vietkongs, die den südvietnamesischen Regierungstruppen uhd ihren amerikanischen Verbündeten so viel zu schaffen machen?

Saigon in den Wochen nach der Frühjahrsoffensive der Vietkongs: Lautsprecher fahren durch die Straßen und fordern die Bevölkerung dazu auf, sich eine Ausstellung von Waffen anzusehen, die südvietname- sische Marinainfanteristen in den jüngsten Kämpfen erbeutet haben. Militärpolizei mit weißen Stahlhelmen zieht auf, Schranken werden auf dem Platz vor dem Parlaments- gebäude in Saigon errichtet. Sie umschließen ein Viereck, in dem die Ausstellung gezeigt werden soll. Ein General der Regierungstruppen trifft ein, durchschneidet ein farbiges Band, Militärmänsche werden gespielt, die Ausstellung ist eröffnet. Was zeigt sie?

.. Der Vietkong, so weit , er in den „Main-Forces” (den regulären Verbänden) ficht, ist im Jahre 1968 weitaus besser ausgerüstet, als noch vor zwei Jahren. Ihm eteht das Waffenarsenal der ganzen kommunistischen Welt zur Verfügung, soweit es für den revolutionären Dschungelkrieg verwendbar ist.

Als Sturmgewehr dient die in Rotchina hergestellte „AK 47”, deren Qualität als hervorragend gilt. Mehr und mehr verdrängt der sowjetzonale Nachbau dies MG 42 die Vielfalt leichter Maschinengewehre. Die Granatwerfer vom Kaliber 6, 8,2 und 12 Zentimeter gehören zu den Stan- dardwaffem, wie sie auch die Sowjetarmee verwendet. Maschinenpistolen kommen aus mehreren Ostblockstaaten, viele Pistolen Sind moderne tschechische Fabrikate.

Raketen und sMG

Wirkungsvoller als diese Infanteriewaffen sind die sogenannten Raketengeschütze, die man besser als rückstoßfreie Geschütze bezeichnen sollte. Sie sind leicht zerlegbar, können von zwei Mann transportiert werden und besitzen eine Reichweite von 3,9 bis zu 8 Kilometer. Sie werden im Kampf gegen die Befestigungen der Wehrdörfer, aber auch gegen Flugplätze, Truppenunterkünfte und Verwaltungsgebäude benutzt. Da die Amerikaner über Geräte verfügen, die auch bei Dunkelheit schnell berechnen können, wo sich die Abschußstelle der Raketengeschütze befindet, werden nicht mehr als sechs Granaten aus einer Stellung abgefeuert, dam wird ein Stellungswechsel vorgenommen.

Zu der Ausrüstung mit schweren Waffen gehören ferner überschwere Maschinengewehre, die aus der Sowjetunion stammen und gegen Luftziiele beachtliche Erfolge erreicht haben, Feldgeschütze bis zu großem Kaliber, Stalinorgeln und ganz vereinzelt auch Panzer vom Typ T 34/85, einem Modell, das nach Kriegsende die Standardwaffe der kommunistischen Banzertnuppen war. Da die Amerikaner jedoch die vollständige Luftherrschaft besitzen — über Süidvietmam 1st noch niemals ein Flugzeug mit dem roten Stern gesichtet worden —, ist der Einsatz von gepanzerten Fahrzeugen im Dschungelkdeg wenig sinnvoll. Fast alle aus dem Norden oder aus Kambodscha eingedrungene Panzer wurden alsbald vernichtet.

Soldaten, Milizen, Aktivisten

Nach zuverlässigen Informationen verfügen die „Main-Forces” über 250 Bataillone, die eine Durchschnittsstärke von 400 Mann haben. Manche Bataillone sind aber in den letzten Kämpfen so stark mitgenommen worden, daß ihre Kampfstärke bis auf ein Viertel abgesunksn ist. Die genannte Zahl der Bataillone bezieht sowohl die Divisionen der eigentlichen Vietkongs als die der nordvietniamesischen Armee mit ein. In jüngster Zeit wurde vielfach eine Vermischung von Kampfeinheiten der Kommunisten aus dem Süden und dem Norden festgestellt. Vielleicht hängt dies damit zusammen, daß die Verluste bei der Frühjahrsoffensive eine Auffrischung durch Rekruten aus dem Norden auch bei den südvietnameisdscben Guerillas notwendig machte.

Neben den „Main-Forces” verfügen die Vietkongs über lokale und regionale Milizen, von denen viele „Partisanen auf Zeit” sind, das heißt, sie üben einen Zivilberuf aus und werden für besondere Gelegenheiten mobilisiert. Die Stärke dieser Milizverbände wird unterschiedlich geschätzt; die niedrigste Zahl, die ich hörte, lautete 223.000, die höchste 248.000 Mann. Diese zweite Linie verfügt im wesentlichen über Beute- oder solche Waffen, die die „Main-Forces” nach ihrer modernen Ausrüstung abgegeben haben.

Auge und Hand der Führung

Zu den genannten Kräften kommt noch eine dritte Gruppe, deren Bedeutung für die Kriegsführung in Vietnam nicht unterschätzt werden sollte. Es handelt sich um etwa 80.000 „politische Kaderangehörige”, das heißt, geschulte Parteiaktivisten, die für die Propaganda unter der Bevölkerung, für Spionage und Zersetzungstätigkeit, gelegentlich auch für Sabotageakte Verwendung finden. In einigen Gebieten, in denen sich diie Vietkongs militärisch kaum rühren können, haben gerade diese Aktivisten eine, besondere Bedeutung; sie sind dann Auge und Hand ihrer Führung.

Wenn zunächst hie militärische Seite behandeltr wurde, so. soll dies nicht besagen, daß dort der Schwerpunkt der Vietkongtätigkeit zu suchen ist. Militärisch haben die Ereignisse im Februar und März nur unterstrichen, daß eine disziplinierte, gut versorgte und klug geführte Guerilla-Organisation jederzeit jeden Ort in Mitleidenschaft ziehen kann. Nach einer Faustregel müssen gegenüber einem solchen Feind die Verteidiger über mindestens die fünffache Überlegenheit verfügen.

Aber bedeutsamer für das Schicksal Vietnams ist es wahrscheinlich, daß vor und neben der Anwendung von Waffengewalt eine meisterhafte politische Strategie geübt wurde und wird. Wir finden in Vietnam ausgezeichnete Beispiele dafür, daß ohne die Mithilfe der Bevölkerung eine erfolgreiche Abwehr einer terroristischen Kampfesführung mit politischen Zielsetzungen unmöglich ist.

Das Auftreten der Vietkongs begann nicht mit Überfällen, sondern mit dem Aufbau eines Propaganda- und illegalen Verwaltungsapparates. Zunächst ging es den Vietkongs darum, sich in den Ortschaften, Schulen, Pagoden und Verwaltungsdienststellen einzundsten. Dange bevor das erste Raketengeschütz abge- feuert wurde, war getreu den Lehren Maos und seines Schülers Giap eine Serie von politischen Morden verübt worden, deren Opfer vor allem Beamte, Polizisten, Gemeinderäte, Lehrer waren, die sich von den Vietkongs weder gewinnen noch ein- schücbtem ließen.

Die „Vietkongregierung”

Neben den Guerillas gibt es, und zwar diesen streng übergeordnet, zahlreiche politische Organisationen der Vietkongs, die ihr Dach in der „Nationalen Befredungsfront” finden.

In dieser „Vietkongregierung” bestimmen die Kommunisten eindeutig. Zur Täuschung haben sie dime Anzahl von Organisationen aufgebaut, die so unverfängliclbe Namen wie „Bauem-Befreiungsgesellsdiaft” oder „Frauen-Befreiungsgesell- scbaft” führen. Wie einst in Warschau, Prag oder Bukarest entscheiden auch in diesen Organisationen die Kommunisten das Geschehen.

Das bedeutet nicht, daß alle Vietkongs Kommunisten sind. Viele von ihnen sind Nationalisten, die ihr Land vereinigt und frei von ausländischer Anwesenheit sehen wollen. Andere hat die nur zu verständliche Verbitterung über Korruption und unsoziales Verhallten der Regierung zu den Vietkongs getrieben, manche sind unter ‘ Zwang und Furcht dabei. Mehr und mehr nehmen auch Wehrpflichtige aus dem Norden nach dreimonatiger Ausbildung einen Platz im südlichen Kampfgeschehen ein. Wie groß mag die Zahl derjenigen sein, deren Angehörige bei Kampfhandlungen oder Luftangriffen ums Leben kamen oder verstümmelt wurden, die sich nun dafür am den Amerikanern rächen wollen?

Aber auch diese Aussage der „RVP” (Revolutionäre Volkspartei, die KP Südvietnams) ist wahr: „Unter der Anwendung der Lehren des Marxismus-Leninismus auf die besonderen Bedingungen in Vietnam hat die Partei mit Realismus und Begabung die Linie und die Leitung für die Revolution in Südvietnam gesetzt, bei der der politische mit dem bewaffneten Kampf verbunden ist. Es geht vorwärts zu einem allgemeinen Aufstand.”

Dieser allgemeine Aufstand ist das erklärte Ziel der Vietkongs. Er hat bisher niaht stattgefunden. Diejenigen, die in Vietnam der Ansicht sind, daß die Vietkongs nicht mehr als eine starke und kampfgeschulte Minderheit innerhialb der Bevölkerung darstellen, können darauf verweisen, daß in Saigon, Hue und anderen Städten, to die die Vietkongs während ihrer , Frühjahrsoffensive eingedrungen waren, der Ruf zum Aufstand der Massen fast ungehört verhallte. Die Bevölkerung setzte.

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